Die Beschlusslage der Partei und die wenig konsequenten Konsequenzen

Antisemiten? Gibt’s hier nicht!

Mit allerlei Beschlüssen hat die Linkspartei versucht, den Antisemitismusvorwürfen entgegenzuwirken und sich gleichzeitig einen Freibrief für die »Israel-Kritik« aus­zustellen. Noch immer dominiert die irrige Ansicht, dass linke Judenfeindlichkeit ­eigentlich gar nicht existierte.

Wenn sich die Delegierten der Linkspartei Ende Oktober in Erfurt zum Parteitag treffen, wird die Diskussion und Abstimmung über den vom Vorstand vorgelegten Entwurf für ein neues Programm im Mittelpunkt stehen. In diesem Entwurf ist auch eine Stellungnahme zum Nahost-Konflikt enthalten. Unter der Überschrift »Woher wir kommen, wer wir sind« heißt es unter anderem: »Deutschland hat wegen der beispiel­losen Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden während des deutschen Faschismus eine besondere Verantwortung und muss jeder Art von Antisemitismus, Rassismus, Unterdrückung und Krieg entgegentreten. Insbesondere diese Verantwortung verpflichtet auch uns, für das Existenzrecht Israels einzutreten. Zugleich stehen wir für eine friedliche Beilegung des Nahost-Konfliktes im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung und damit die völkerrechtliche An­erkennung eines eigenständigen und lebensfähigen palästinensischen Staates auf der Basis der Resolutionen der Vereinten Nationen.«

Man liegt sicher nicht falsch, wenn man diese Festschreibung – insbesondere das Versprechen, für das »Existenzrecht Israels« einzutreten – als weiteren Versuch betrachtet, die seit Wochen gegenüber der Linkspartei geäußerten Antisemitismusvorwürfe zu entkräften und die damit verbundene Diskussion zu beenden. Gleichzeitig wird daran deutlich, dass die gesamte Debatte über Judenfeindlichkeit in der Partei nichts an deren Haltung geändert hat. Denn der Passus im Programmentwurf findet sich in inhaltlich identischer und fast wortgleicher Form bereits in einem Beschluss, den die Linksfraktion im Bundestag am 20. April 2010 gefasst hatte – also lange bevor die Kritik an Intensität zunahm – und den der Parteivorstand am 21. Mai dieses Jahres in einer Erklärung noch einmal bekräftigte.
Was folgte, waren zwei weitere Beschlüsse der Fraktion: Am 7. Juni der erste, in dem man versicherte, man werde sich »weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte, noch an der diesjährigen Fahrt einer ›Gaza-Flottille‹ beteiligen« (Jungle World 24/2011). Am 28. Juni folgte dann der zweite Beschluss, in dem die Fraktion ankündigte, »als Linke weiterhin die Politik der israelischen Regierungen gegenüber den Palästinenser­innen und Palästinensern öffentlich zu kritisieren« und es nicht zuzulassen, »dass Mitglieder unserer Fraktion und Partei öffentlich als Antisemiten denunziert werden«. Die »inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus« nämlich, so heißt es in dem Beschluss weiter, »schadet dem Kampf gegen ihn«.
Mit der zweiten Entschließung sollte vor allem jener lautstarke Teil der Partei beschwichtigt werden, der gegen die Fraktionsentscheidung vom 7. Juni aufbegehrt hatte – und ihn teilweise schlicht ignorierte: Mit der pensionierten Kunst­erzieherin Elfi Padovan nahm ein Mitglied des Kreisvorstands der Münchner Linkspartei an der zweiten »Gaza-Flottille« teil; dabei genoss sie die ausdrückliche Unterstützung durch die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke, die auch dem bayerischen Landesvorstand der Partei angehört. Gohlke rief auf einer Versammlung des Münchner Kreisverbands aus, dass »die Elfi die Einzige aus der deutschen Linken« sei, die auf einem der Schiffe mitfahre, und nannte den Beschluss der Bundestagsfraktion »falsch« und »erpresserisch«. Mit Erfolg: Der Kreisverband billigte bei nur wenigen Gegenstimmen nachträglich Padovans Teilnahme an der Flottille.
Die linke Abgeordnete Annette Groth wiederum war diesmal zwar nicht wie im vorigen Jahr an Deck eines »Free Gaza«-Schiffes, traf sich Anfang Juli jedoch in Griechenland mit der Besatzung und den Passagieren der »Audacity of Hope«, nachdem dieser von den griechischen Behörden ein Auslaufverbot erteilt worden war, und forderte: »Freie Fahrt für die Gaza-Freedom-Flottille!« Zudem verabschiedeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Landesparteitags der baden-württembergischen Linkspartei Mitte Juli eine Resolution, in der sie sich mit den »Friedens-Flottillen« solidarisierten. Ein Antrag des Kreisverbands Stuttgart, der zur »Solidarität mit Palästina« aufrief, die »Ein-Staaten-Lösung« diskutieren wollte und sich für die Unterstützung antiisraelischer Boykottkampagnen stark machte, wurde letztlich nicht behandelt.

Konsequenzen müssen die Genannten voraussichtlich nicht fürchten. Ebenso wenig wie viele weitere Angehörige der Linkspartei, die wie der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko den Beschluss der Fraktion vom 7. Juni als »Unterwerfung der Linken, insbesondere ihres linken Flügels, unter die Attacken der Kriegsparteien« ­bezeichnen oder sich ihm widersetzen. Zwar gibt es in einzelnen Landesverbänden den Plan, gegen zwei Mitglieder ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten, zum einen gegen den gescheiterten Duisburger OB-Kandidaten Hermann Dierkes, der antiisraelische Boykotte befürwortet und die Frage nach dem Existenzrecht des jüdischen Staates für »läppisch« hält, und zum anderen gegen den ehemaligen Bundestagskandidaten Chris Sedlmair aus Dachau, der Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi verehrt, Israel ein »rassis­tisches Siedlerregime« nennt und die Hamas sowie die Hizbollah »entkriminalisieren« will. Doch der Entscheidungsprozess wird sich eine ganze Weile hinziehen, und ob das Ergebnis im Sinne der Antragsteller ausfallen wird, ist mehr als fraglich. Denn führende Parteifunktionäre – nämlich der Parteivorsitzende Klaus Ernst im Deutschlandfunk und der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi in der Taz – haben kategorisch ausgeschlossen, dass es Antisemiten in ihrer Organisation gibt, und dies mit dem Beschluss vom 28. Juni, der ein Persilschein für die »Israel-Kritiker« und »Antizionisten« ist, auch noch einmal untermauert.
Dieses Beharren darauf, dass es in der Partei keinerlei Judenfeindlichkeit, sondern allenfalls »zu viel Leidenschaft bei der Kritik an Israel« (Gysi) gebe, resultiert aus einem stark verengten Antisemitismusbegriff, der Judenhass nahezu ausschließlich in der extremen Rechten verortet. »Antisemitismus besteht dann, wenn Menschen aufgrund ihrer jüdischen Abstammung diskriminiert, möglicherweise verfolgt oder ähnliches werden«, meint beispielsweise Klaus Ernst, und Gregor Gysi findet: »Antisemitismus bedeutet, Juden oder Jüdinnen zu benachteiligen oder Schlimmeres zu tun, weil sie Juden oder Jüdinnen sind«. Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeord­neter und Mitglied im Parteivorstand, glaubt gar, er könne schon deshalb kein Antisemit sein, weil er »viel zu viele Freunde in Israel« habe.
Mit solchen Definitionen erteilt sich die Linkspartei selbst einen umfassenden Freispruch, getreu dem Diktum des Schriftstellers und ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten Gerhard Zwerenz, der bereits 1976 in einem Beitrag für die Zeit behauptet hatte: »Ein ›linker Antisemitismus‹ ist unmöglich.« Das ist er jedoch keineswegs, und daran ändert auch das generöse Bekenntnis zum »Existenzrecht Israels« im Entwurf für das neue Parteiprogramm nichts. Denn spätestens, wenn Israel militärische Maßnahmen zur Verteidigung seiner Existenz ergreift – etwa gegen die antisemitische Terrororganisation Hamas, deren »Einbeziehung in politische Gespräche« die Linkspartei allen Ernstes fordert –, zeigt sich, dass dieses Bekenntnis nichts mehr als eine hohle Phrase ist und den Genossen die Dämonisierung und Delegitimierung Israels erheblich näher liegt, als tatsächlich gegen »jede Art von Antisemitismus« einzutreten.