Der Film »Im Bazar der Geschlechter« zeigt die Facetten des Ehelebens im Iran

»Haben Sie schon geheiratet?«

»Im Bazar der Geschlechter« ist ein ungewöhnlicher Film über die Ehe im Iran.

Im Iran geht es heiß her. Die Jugend ist auf der Straße, die Atomdebatte wird geführt, Oppositionellen drohen drakonische Strafen – da konnte diese Frage nicht ausbleiben: Was stellen die Iraner eigentlich alles unter der Bettdecke an? Und vor allem: Wie?
Wie es um das Liebesleben von Ottonormal-Iranern bestellt ist, das wollte die iranische Filmemacherin und Festivalkuratorin Sudabeh Mortezai, 1968 in Ludwigsburg geboren und in Teheran und Wien aufgewachsen, genauer wissen. Sie schnappte sich die Filmkamera und lotste etliche Passanten vor die Linse, die sich – jeder Iraner ist kameratauglich – als professionelle Darsteller ihrer selbst präsentieren. »Im Bazar der Geschlechter« heißt die flotte Dokumentation, die dabei herausgekommen ist.
Man erfährt hier: Mutti und Vati sind im Iran von den Stellvertretern Allahs auf Erden eigentlich immer freundlich verheiratet worden, lieben ihre Liebsten und verstehen sich sogar mit der Schwiegermama. Soweit die graue Theorie und die offizielle Version. Glücklich ist, wer so in Einklang mit Gott, seinen Ablegern und der Gesellschaft inklusive Präsident Ahmadinejad lebt.
Aber manchmal ist es dann doch nicht so im Iran. Und genau hier setzt der Film an: bei der von denen, die sie praktizieren, höchst wertgeschätzten Ehe auf Zeit. Im Iran, so lernt der Zuschauer, kann man nämlich – gemäß schiitischer Tradition – auf Zeit heiraten, wenn man denn beim zuständigen Geistlichen die korrekte Gebühr entrichtet.
Dazu will auch jenes Pärchen genaue Angaben erhalten, das nun bei dem iranischen Pendant eines Standesamtes sitzt. Der Mann: »Wieviel kostet mich das jetzt hier? Aha? Für ein Jahr?« – Frau: »Was muss ich tun? Wie geht’s weiter?«
Der Beamte erklärt den beiden und dem Zuschauer geduldig, was es mit den zeitlich begrenzten Verbindungen auf sich hat. Es scheint, als hätten findige Bürokraten gut verständlich am grünen Buch Koran mitgeschrieben. Denn der Beamte ist nie um eine religiöse Auskunft verlegen, und am Ende sagt er: »So, und jetzt gehen Sie bitte zur Kasse!«
Für weitere Erkundung über die Zeitheirat setzt die Filmemacherin Mortezai denn auch folgerichtig auf einen jungen Mullah. Mohsen Mahmudi steigt auf der Suche nach Wissen und Weisheit zum Taxifahrer ins Auto und unterhält sich mit ihm auf dem Weg ins religiöse Zentrum des Iran, die Stadt Qom, über das Verhältnis von Mann und Frau: »Haben Sie schon geheiratet?« – »Ja. Ganz oft.«
Mehrmals geschieden ist er deswegen nicht. Der Takt der Zeitehe kann sehr modern sein: Er reicht von minimal 30 Minuten bis zu mehreren Jahren.
Manchmal wird’s so auch eine Dauerlösung.
Denn ordentliches Heiraten ist in Allah’s own country unvorstellbar teuer und extrem gefährlich. Denn was macht man, wenn der Gatte drogenabhängig ist und einen prügelt? Und wichtig für die Herren: Bei einer Scheidung kann das Brautgeld fällig werden, und dann ist die Familie des Mannes pleite. In anderer Hinsicht präsentiert sich die iranische Rechtsprechung erschreckend eindeutig: Außerehelicher Geschlechtsverkehr wird mit Steinigung bestraft.
Auch am anderen Ende des Spektrums warten womöglich Schmerzen: Denn wer unverheiratet ist und dennoch Sex mit jemandem hat, wird mit 100 Peitschenhieben bestraft. Im Wiederholungsfall droht die Todesstrafe.
Mahmudi recherchiert vor Ort. In Qom angekommen, befragt er einen der 14 Großayatollahs des Irans, Gerami. Der erklärt: Während der Herrschaft des Schahs sei die Zeitehe wie auch die Polygamie verboten gewesen. Statt dessen seien Bordelle eingeführt worden. Zeitehe? Sei voll korrekt: »Es geht um den moralischen Bestand der Gesellschaft!« sagt Gerami.
»Junge Männer wollen sich sexuell austoben, aber dann eine Jungfrau heiraten«, stöhnt Mortezais Gewährsmann. »Das ist die iranische Kultur.«
Wie beurteilen denn aber nun die Frauen dieses Phänomen? Der alleinerziehenden Mutter Maryam zufolge gehe es bei der Ehe wie bei der Zeitehe doch nur darum, dass sich Männer ab und an eine Mätresse halten können. In ihrem Land könnten Frauen Astronautinnen werden und – eine Anspielung auf ein besonders inniges, beinahe obsessives Verhältnis zur Physik, die in fast keinem Film über den Iran fehlt – Atomwissenschaftlerinnen. Doch dann gebe es immer noch all diese Ungleichheiten, und die Frauen müssten sich verhüllen.
Auch andere sind – iPhone statt Islam – etwas genervt von der iranischen Kultur. Wie der junge Webmaster einer Homepage zum Thema Zeit­ehe-Anbahnung: Die Geschlechterordnung der Gesellschaft, wie man sie bisher kannte, mag ihn nicht mehr überzeugen. Auf seinem Portal konnten sich Mann und Frau verabreden – bis ihm die Zensur den Saft abdrehte.
Die Iraner geben viel und gerne Auskunft über ihr Liebes- und Unliebesleben. »Denn im Islam wird Sexualität generell als etwas Positives gesehen«, sagt die Regisseurin. Die Lust sei ein Vorbote der Wonnen des Paradieses. Insbesondere der schiitische Islam sei da pragmatisch und flexibel. Alles Mögliche, was zu Mohammeds Zeiten noch nicht existiert habe, beschäftige heute die Geistlichen: »Es gibt Fatwas zu Geschlechtsumwandlungen, Empfängnisverhütung und Online-Chatten.«
Wegen des Raums für Interpretation spreche sie auch vom »Bazar« und nicht vom »Kampf der Geschlechter«. Alles unterliege rigiden Regeln – und dann finde man doch immer wieder Schlupflöcher. »Theoretisch ist fast alles verboten. Gleichzeitig wird fast alles praktiziert«, sagt Mordezai.
Letztlich habe sie keinen Film über den Iran gedreht, sondern »einen über Männer und Frauen«. Sie sagt: »Der einsame Junggeselle, der sich nicht binden will, die jüngere Geliebte eines älteren verheirateten Mannes, das sind doch universelle Geschichten.«
Drei Jahre hat Mortezai im Iran recherchiert und gedreht, auch über den Tag der Präsidentenwahl am 14. Juni 2009 hinaus. Das politische Aufbegehren der Iraner sieht sie im Bedürfnis nach persönlicher Freiheit begründet und in bildungspolitischen wie demographischen Ursachen.
»Dass der islamische Staat versprochen hat, dass es in den Schulen und Universitäten keusch zugeht, hat viele konservative Familien motiviert, ihre Töchter in die Schulen zu schicken«, sagt Mortezai. »Ein riesiges emanzipatorisches Potential, das nun zum Aufbegehren gegen das System führt – auch wenn das nicht unbedingt beabsichtigt war«, erklärt sie.
Am Schluss des Films sitzt der junge Mahmudi im Restaurant. Eine Gruppe Frauen macht sich über ihn lustig – »Hey, guck doch mal hier rüber, hier sitzen Frauen – ach nee, bist ja ein Mullah, darfste ja nicht.«
»Das ist mir jetzt peinlich«, wendet der sich an das Filmteam. »Nicht mal beim Essen hat man seine Ruhe. Was mache ich jetzt? Könnt ihr mal die Kamera ausmachen?«

»Im Bazar der Geschlechter« (A/D 2009). Regie: Sudabeh Mortezai. Kinostart: 5. August