Selbst Sparen rettet die USA nicht vor dem Absturz

USAA+ ohnmächtig

Trotz harter Sparbeschlüsse der US-Regierung herrscht an den Aktienmärkten derzeit die reine Panik. Der US-Schuldenkompromiss zeigt, dass die USA immer weniger in der Lage sind, ihre Führungsrolle in der Weltwirtschaft auszuüben. ­Alternativen sind aber auch nicht in Sicht.

Begeisterung sieht anders aus: Bei dem abendlichen TV-Auftritt am Montag vergangener Woche, bei dem US-Präsident Barack Obama den Schuldenkompromiss zwischen Demokraten und Republikanern verkündete, verteidigte er zwar die ausgehandelte »Rettung vor der Zahlungsunfähigkeit« der USA, konnte aber nicht umhin einzugestehen, die Regierung sei auf ein Maß zurückgestutzt worden, wie dies zuletzt vor einem halben Jahrhundert der Fall gewesen sei. Tatsächlich offenbart die 51. Anhebung der Schuldengrenze seit 1980 die zunehmende Handlungsunfähigkeit der USA.
Innenpolitisch werden die Maßnahmen den Kompromiss der US-Regierung zwischen der weiteren Förderung der privaten Aneignung immer größerer Vermögen und der zumindest teilweise schuldengestützten, mühsamen Aufrechterhaltung des Massenkonsums zu Lasten des letzteren auflösen. Denn die Anhebung der Schuldengrenze von bislang 14,3 Billionen US-Dollar bis zum Ende des Jahres 2012 um mindestens 2,1 Billionen Dollar wird flankiert von Einsparungen im Umfang von 2,4 Milliarden Dollar im gleichen Zeitraum, die den Lebensstandard immer weiterer Teile der Bevölkerung angesichts steigender Arbeitslosigkeit und von Reallohnverlusten immer stärker bedrohen.

Bei den Verhandlungen eines aus jeweils sechs Vertretern beider Parteien bestehenden Sonderausschusses werden dann neben den Einsparungen im Militäretat vor allem diverse Kürzungen im öffentlichen Dienst und in der Infrastruktur, bei den Renten und Sozialtransfers, wie etwa dem Arbeitslosengeld und bei Lebensmittelmarken, zur Diskussion stehen. Dies gilt dann auch für die zwei spektakulärsten sozialpolitischen Reformen der Demokraten: die Krankenversicherungen für Senioren (Medicare) und die für Arme (Medicaid). Sollte man hier bis zum 24. November zu keiner Einigung kommen – was angesichts der Szenen der vergangenen Wochen durchaus zu erwarten steht –, werden automatisch Kürzungen auch bei den Sozialausgaben und im öffentlichen Dienst sowie Subventionsstreichungen bei Krankenhäusern und Altersheimen erfolgen, was die Gesundheitskosten insbesondere für die Beschäftigten drastisch in die Höhe schnellen lassen würde. Justin Ruben, Exekutivdirektor der medial ausgesprochen präsenten Bürgerbewegung Move On, bezeichnet dies als »einen desaströsen Plan für Arbeiterfamilien«.

Ungeschoren kommen dagegen die »Reichsten der Reichen« (Spiegel) davon. Die von Obamas Vorgänger George W. Bush eingeführten Steuerleichterungen bleiben von den Einsparungen unberührt. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz analysierte jüngst in Vanity Fair, dass die derzeitige US-Regierung damit den Trend der vergangenen Jahrzehnte weiterverfolge. In den vergangenen 25 Jahren habe das reichste Prozent der US-Einwohner seinen Anteil am Gesamteinkommen auf ein Viertel desselben fast verdoppeln können. Es besitzt derzeit auch etwa 40 Prozent des Gesamtvermögens. Vor 25 Jahren seien es noch 33 Prozent gewesen. Und die Tendenz sei, sagt Stiglitz, auch unter Obama steigend geblieben, was zumindest den Verdacht nahelegt, dass die Ausrichtung der neuen Sparmaßnahmen nicht ausschließlich dem Druck der Republikaner geschuldet ist.
Stiglitz’ Kollege Paul Krugman sieht die USA angesichts dieser Entwicklung gar auf den »Status einer Bananenrepublik« zurückfallen. Vor allem dass die USA, deren Einnahmen aus Sozialbeiträgen und Steuern mit 24 Prozent des Bruttoinlandsproduktes den geringsten Wert unter allen OECD-Staaten (Durchschnitt 35 Prozent) aufweisen, die Steuern nicht erhöhen, wird von Krugman, aber auch zahlreichen anderen Ökonomen kritisiert. Unterstützung erhielten die beiden populärsten keynesianischen Wirtschaftswissenschaftler dabei von ungeahnter Stelle. »Die Arbeitslosigkeit wird höher sein, als sie es sonst wäre«, prophezeite auch Mohamed al-Erian, der Chef des weltgrößten Anleiheninvestors Pimco, auf dem Fernsehkanal ABC. »Das Wachstum wird niedriger sein als sonst, und die wirtschaftliche Ungleichheit wird schlimmer sein als sonst.«
Ein Blick auf die Zahlen lässt tatsächlich den Vergleich der USA mit Ländern der kapitalistischen Peripherie zu. In den kommenden Wochen wird die Verschuldung der USA die 100-Prozent-Marke im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt überschreiten, der notorisch unterfinanzierte Haushalt weist ein Defizit von annähernd zehn Prozent des BIP aus, und die Außenhandelsbilanz wies 2010 ein Defizit von immerhin 498 Milliarden US-Dollar auf. Angesichts des ausgesprochen mageren Wirtschaftswachstums von lediglich 0,4 Prozent im vergangenen Quartal sind hier zudem weitere Einbrüche zu erwarten.
Und dennoch waren und sind die USA von zentraler Bedeutung für die Weltwirtschaft. Für 2,15 Billionen Euro importierten sie im vorigen Jahr Güter. Besorgnis erregt daher der nun zu erwartende Rückgang der US-Konjunktur. Der Einbruch an den Börsen und die Flucht vieler Anleger zum Gold – in der vergangenen Woche stieg der Goldpreis erstmals in der Geschichte auf 1 600 Dollar pro Feinunze – sowie zum Schweizer Franken waren ein erstes Signal der fehlenden Zugkraft der USA. Viele Analysten befürchteten angesichts der Sparbeschlüsse in den USA das Abrutschen in eine erneute Rezession. »Die weltwirtschaftliche Schwäche könnte dadurch länger anhalten, als wir es bisher vermuteten«, meint etwa Holger Schmiding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank. Der ehemalige US-Arbeitsminister Robert Reich kritisierte in seinem Weblog zuletzt vor allem die »Beschneidung der Fähigkeiten der Regierung, auf die Arbeitsmarkt- und Wachstumskrise zu reagieren«.

Immerhin stellen die Abwendung der Zahlungsunfähigkeit der USA und die kapitalfreundliche Ausrichtung der Sparmaßnahmen für die exportorientierte deutsche Wirtschaft eine Konsolidierung ihres wichtigsten nationalstaatlichen Exportmarktes dar. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich denn auch »erleichtert« über die Einigung in Washington. Hinzu kommt, dass deutsche Gläubiger lediglich amerikanische Staatsanleihen im Wert von 61 Milliarden Dollar halten und bei einer Abwertung des Dollars nur ein relativ geringes Risiko zu tragen hätten. Ebenso ergeht es anderen EU-Ländern wie etwa Frankreich. Dessen Wirtschaftsminister François Baroin bekundete, ein »uneingeschränktes Vertrauen in die Stabilität der amerikanischen Wirtschaft« zu haben.
Demgegenüber reagierten die beiden mit Abstand größten Gläubigerländer der USA deutlich schonungsloser. Japans Außenminister Fumihiko Igarashi begrüßte zwar den kurzfristigen Schuldenkompromiss, forderte aber zugleich weitere Sparanstrengungen. Japanische Gläubiger halten derzeit US-Staatsanleihen im Wert von über 900 Milliarden Dollar und stellen somit nach China, das Anleihen im Wert von 1,16 Billionen Dollar hält, die zweitgrößte Gläubigernation dar. Noch deutlicher wurde die chinesische amtliche Nachrichtenagentur Xinhua: »Die US-Regierung muss die schmerzhafte Tatsache anerkennen, dass die guten, alten Tage vorbei sind, in denen sie sich in selbstverschuldeten Problemlagen einfach mehr Geld leihen konnte.« Als deren größter Gläubiger verlange China, dass die USA ihre strukturellen Schuldenprobleme in den Griff bekommen und die Sicherheit chinesischer Dollar-Anlagen sicherstellen, hieß es weiter. Und Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin forderte gar ein Ende des wirtschaftspolitischen »amerikanischen Parasitismus«.

Nicht nur der Tonfall bezeugt, dass der amerikanische Führungsanspruch, der einerseits auf dem Dollar als globaler Leitwährung und andererseits auf der bedingungslosen Anerkennung der Kreditwürdigkeit der USA beruhte, zunehmend in Frage gestellt wird. Die erstmalige Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch eine der drei großen Rating-Agenturen, nämlich Standard & Poor’s, von AAA auf AA+, der die chinesische Agentur Dagong sogleich folgte, deutet an, dass es zukünftig auch für die USA schwieriger werden könnte, die globalen Kapitalströme nach eigenem Ermessen ins Land zu leiten. Und auch die schon länger vom chinesischen Zentralbankchef Zhou Xiaochuan erhobene Forderung nach einer »Beerdigung« des Dollars als internationaler Leitwährung wurde in dem angesprochenen Kommentar erneuert. Dass in der vorigen Woche Chinas Außenminister Yang Jiechi ankündigte, »Europa und den Euro in der Zukunft weiterhin zu unterstützen«, wird von der US-Regierung kaum als Entwarnung gedeutet worden sein.
Wenn auch die Bewegungsfreiheit der ame­rikanischen Wirtschaftpolitik allmählich eingeschränkt wird, so ist doch auch keine andere Macht in Sicht, die an die Stelle der USA treten könnte. Die weltweite Staatsverschuldung betrifft auch die alten Zentren des Kapitalismus. Zusammengenommen betragen die Staatsschulden der Welt 39 Billionen US-Dollar, die meisten haben sich in den OECD-Ländern angesammelt, die Euro-Region ist ebenso in der Krise wie die USA, und Chinas Aufstieg hängt immer noch von der Aufnahmekapazität der USA für chinesische Waren ab, die im vorigen Jahr für annähernd 400 Milliarden Dollar dorthin flossen. Immerhin haben die USA ein wenig Zeit gewonnen. Der Kompromiss habe »die Notwendigkeit einer weiteren Anhebung bis 2013« eliminiert, erklärte das Weiße Haus nach der Ratifizierung. Dann allerdings dürfte die Ohnmacht der Mächtigen kaum geringer sein.