Islamisten und Militär verbünden sich gegen die Demokratiebewegung Ägyptens

Brüder im autoritären Geiste

In Ägypten haben sich Islamisten und dasMilitär gegen die säkulare Demokratiebewegung verbündet. Doch die Muslimbruderschaft ist weniger populär, als es scheint.

Es sollte eine Kundgebung der Stärke werden. Am 29. Juli hatten Islamisten auf dem Tahrir-Platz demonstriert und die Einführung der Sharia gefordert, zum Schrecken der zumeist jungen Platzbesetzer. Am Freitag vergangener Woche sollte eine Demonstration der säkularen Gruppen stattfinden, aufgerufen hatten Repräsentanten von Sufi-Bruderschaften, Christen und einige Dutzend kleinerer Parteien.
In Ägypten feiert man gerade Ramadan, am Tag sind die Straßen leer, die Nächte hingegen verbringen die Menschen essend und feiernd draußen. Die Gruppen, die unter dem Motto »Love for Egypt« gegen die Allianz von Politik und Religion demonstrieren wollten, luden zu einem gemeinsamen Iftar (Fastenbrechen) am frühen Abend ein. Bis zum Suhur, dem Mahl vor dem Morgengebet, sollten die Protestierenden auf dem Platz bleiben und ihn danach freiwillig verlassen.
Dazu kam es nicht. Nur etwa 1 000 Protestierende fanden sich am frühen Abend auf dem Tahrir-Platz ein – die Staatsmacht war mit etwa doppelt so vielen Soldaten und Polizisten präsent, von Panzern aus überwachten Soldaten die Zugänge zum Platz. Als eine Rangelei ausbrach, stürmten Militärpolizisten mit langen Stöcken in die Menge – die Familien, die dem Aufruf der Sufis gefolgt waren, liefen in Panik davon. Die übrigen Demonstranten riefen noch eine Weile Slogans gegen das Militär, einige Menschen wurden verletzt. Um Mitternacht herrschte wieder allein das Militär auf dem Platz, der zum Symbol für die ägyptische Revolution geworden ist.

Seit das Militär am 1. August das Protestcamp geräumt hat, besetzen Hunderte Soldaten und Polizisten den Platz. Sie stehen, einer neben dem anderen, mit aufgebautem Schild um den inneren Kreis des Platzes Wache. Die geringe Zahl der Protestierenden erklärt sich jedoch nicht nur aus der abschreckenden Militärpräsenz. Premierminister Essam Sharaf hatte bei einem Treffen mit Repräsentanten der Protestbewegung dazu aufgerufen, die Kundgebung abzusagen, und im Gegenzug Gespräche angeboten. Erst im letzten Moment gab er seine Erlaubnis für das Iftar auf dem Tahrir-Platz. Einige Medien hatten bereits die vorschnelle Information verbreitet, die Kundgebung sei um eine Woche verschoben worden. Ansonsten wurde die Veranstaltung weitgehend totgeschwiegen, auch Fernsehsender wie al-Jazeera oder das liberale OnTV berichteten nicht.
Die Jugendbewegung, die während der Revolution und in den vergangenen Monaten die Proteste maßgeblich getragen hatte, setzte sich kaum für die Kundgebung ein. Offizielle Vertreter der koptischen Kirche riefen nicht zur Teilnahme auf. Die Sufi-Bruderschaften verfügen nicht über eine zentrale Organisation, und die Gruppen, die zur Demonstration aufriefen, betonten, dass es sich nicht um eine Kundgebung gegen die Religion handele und man sich nicht von »atheistischen« Gruppen instrumentalisieren lassen werde.
Der missglückte Versuch, den straff organisierten Aufmärschen der islamistischen Gruppen etwas entgegenzusetzen, sagt weniger über die Einstellung der Ägypter zu Religion und Politik aus als über die prekären Bündnisse der verschiedenen Gruppen, die seit der Revolution um die Macht streiten. Während des Aufstands Ende Januar hatte sich ein Bündnis zwischen den islamistischen Gruppen und der Jugendbewegung herausgebildet, das trotz der äußerst großen Differenzen erstaunlich lange gehalten hat. Im gemeinsamen Kampf gegen das Regime spielten die unterschiedlichen Ziele eine geringe Rolle.
Das änderte sich schon bald nach Hosni Mubaraks Rücktritt. Die verbotene Muslimbruderschaft entwickelte sich rasch zu einer wichtigen und finanzstarken politischen Kraft. Die Straße brauchte sie nicht mehr, sie konzentrierte sich auf die Parteigründung und die bevorstehenden Wahlen, bei denen sie hofft, als eine der wenigen gut vorbereiteten Gruppen eine hohe Anzahl der Stimmen zu gewinnen. Während Tausende Protestierende seit dem Rücktritt Mubaraks von Militärtribunalen verurteilt wurden, war von den Muslimbrüdern allen verfügbaren Informationen zufolge niemand betroffen. Dass Mitte Mai Schlägertrupps unbehelligt von Polizei oder Militär ein hauptsächlich von Kopten getragenes Protestcamp in Kairo angriffen, verstärkte den Eindruck, es gebe ein informelles Bündnis zwischen den Muslimbrüdern und dem Obersten Militärrat (SCAF).

Als die Jugendbewegung sich offen gegen den SCAF stellte und forderte, die Wahlen von September auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, da andernfalls vor allem bereits gut organisierte Gruppen wie die alte Staatspartei NDP und die Muslimbruderschaft begünstigt würden, zerbrach das Bündnis mit den Islamisten.
Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Islamisten nicht so gut dastehen, wie die Beteiligung an ihren Kundgebungen vermuten lassen könnte. Hatten ihnen Wahlprognosen aus dem vorigen Jahr noch mehr als 20 Prozent der Stimmen vorhergesagt, so zeigt sich nun, dass diese Popularität vor allem der Abneigung gegen die NDP zu verdanken war. Einige neuere Prognosen sind weniger optimistisch.
Die Repression unter Mubarak hat die Muslimbrüder zusammengeschweißt. Nun fordern nicht nur die Muslimschwestern mehr Mitspracherechte, vor allem die Jugendorganisation, die sich der säkularen Jugendbewegung während der Revolution angenähert hat, könnte sich abspalten. Einen ähnlichen Generationenkonflikt gibt es in der koptischen Kirche, deren Papst Shenouda III. sich mit den alten Machthabern gut arrangiert hat und weiterhin dazu aufruft, jeglichen Protesten fernzubleiben, während viele junge Kopten an den Demonstrationen teilgenommen haben und nun gegen die teils äußerst rigorosen Regeln der Kirche aufbegehren.

Das Bündnis der Revolutionszeit ist zerbrochen, das Militär kooperiert nun mit den Islamisten, um seine Macht zu sichern und die Protestbewegung zu bekämpfen. Eine inhaltiche Übereinstimmung gibt es nicht, man hat nur gemeinsame Gegner. Die islamistischen Gruppen wurden in den vergangenen Wochen nicht müde, dem SCAF ihre Unterstützung zuzusichern. »1 000 Grüße an Feldmarschall Tantawi«, riefen die Islamisten am 29. Juli zu Ehren des Vorsitzenden des SCAF. Ein wichtiger Repräsentant der Salafiten verkündete: »Selbst wenn die Armee etwas gegen den Islam unternimmt, selbst wenn sie gegen den Islam ist, müssen wir die Armee unterstützen. Sie beschützt uns und unser Land.«
Der SCAF nimmt nicht immer Rücksicht auf Gläubige, Anfang August wurde auf Fastende eingeprügelt. Unter Mubarak hat das Militär 30 Jahre lang des Islamismus Verdächtige gefoltert und getötet. Dementsprechend instabil ist das Bündnis zwischen Militär und Islamisten, es ist fraglich, ob es nach den Wahlen, die wohl Ende des Jahres stattfinden werden, Bestand haben wird.
Bis dahin wird die zukünftige Politik entscheiden, wohin sich jene wenden, die am Freitag voriger Woche nicht auf dem Tahrir-Platz erschienen sind: die Mehrheit der Muslime und Christen, die die radikalen Islamisten nicht ausstehen können, aber auch nicht politisch aktiv genug sind, um sich aus den Medien, die einer rigiden Zensur unterliegen, ein klares Bild von der Protestbewegung und den Verhältnissen nach der Revolution machen zu können.