Der Film »The Harder They Come« wurde remastered

Der 20-Dollar-Song

Der jamaikanische Kinoklassiker »The Harder They Come« ist jetzt remastered auf DVD erschienen.

Du sagst, ich bin ein Träumer? Du glaubst ja an das Versprechen von Milch und Honig im Himmel – aber ich will meinen Anteil hier und jetzt«, erregt sich Ivanhoe »Ivan« Martin (Jimmy Cliff) im Gespräch mit seiner Freundin Elsa (Janet Bartley). Er wollte von ihr die letzten zwei Dollar, die sie noch haben, geht dann aber ohne Freundin und ohne Geld in die Dancehall. Dort will er ein bisschen für sein erstes Lied werben, das gerade als Single veröffentlicht worden ist. Vor diesem Abgang hat Elsa ihn gefragt, ob er wirklich nur 20 Dollar vom Produzenten für das Lied bekommen hat. Und das ganze Geld hat er gleich für Kleidung ausgegeben? Ja, so ist es, aber den Vorwurf, deswegen ein Träumer zu sein, will er nicht auf sich sitzen lassen. Bald haben sie bestimmt Geld, bald … Dann macht er die Tür ihrer fensterlosen Bretterbude hinter sich zu und zieht los.
Gedreht wurde »The Harder They Come« in einem Slum im Westen von Kingston. Die Elendsviertel sind nicht Kulisse, sondern Handlungsort des Filmes. Die meisten Akteure wohnen und leben dort. Der jamaikanische Regisseur Perry Henzell sammelte jahrelang Eindrücke über den Alltag in den Armenvierteln. Gemeinsam mit Trevor D. Rhone schrieb er das Drehbuch für einen Film über einen jungen Mann vom Land, der in die Hauptstadt geht in der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu finden. Der Name des Protagonisten geht auf einen bekannten Gangster der vierziger Jahre zurück. Ivanhoe Martin, genannt Rhyging (»der Wilde« im Kreoljamaikanisch), führte über sechs Wochen hinweg einen One-Man-Guerillakampf gegen Polizei und Oberschicht. Er starb im Kugelhagel einer Übermacht von Polizisten. Bei seiner Beerdigung gaben ihm Tausende das letzte Geleit, aus Respekt. Rhyging war der erste Rude-Boy, so der Reggae-Historiker Roger Steffens – ein Role-Model für angehende Outlaws.
Perry Henzell, Trevor D. Rhone und andere entwickelten ein Konzept für den Film – Arbeitstitel: Ivan – und sammelten Geld. Das war nicht einfach, damals gab es keine jamaikanische Spielfilmproduktion. Henzell hatte zwar bei der BBC in London gearbeitet, verdiente seinen Lebensunterhalt in Kingston aber mit Werbefilmen. Sein Schwager gab ihm Geld, der Etat der Independent-Produktion war klein. »›The Harder They Come‹ war der entscheidende Wendepunkt in der Geschichte der jamaikanischen Musik. Der Film brachte weltweit Aufmerksamkeit für die jamaikanische Musik namens Reggae. Und die Slums von Westkingston wurden entdeckt, mit ihrer entrechteten und enteigneten Bevölkerung«, erzählt Roger Steffens.
Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger herrscht Aufbruchstimmung in Jamaika. Vor der Unabhängigkeit 1962 hatte die britische Kolonialmacht dafür gesorgt, dass der marxistische Flügel aus der zeitweilig einzigen großen Partei, der Peoples National Party (PNP), herausgedrängt und ihre Gewerkschaften isoliert wurden. Bei der Gründung der konservativen Jamaican Labour Party (JLP) wirkte die Kolonialmacht auch mit. Bis 1968 hatte alles seine Ordnung, die JLP regierte, und die arme, schwarze Bevölkerungsmehrheit schien sich damit abgefunden zu haben, weiterhin von der institutionellen Politik ausgeschlossen zu sein. Aber als die Regierung der JLP den populären Dozenten Walter Rodney nach Guyana abschob, dessen Staatsbürger er formal war, brachen nicht nur an der University of the West Indies, sondern auch in Westkingston Unruhen aus. Es gab militante Demonstrationen, marxistische Organisationen und Black-Power-Gruppen schlossen sich zusammen. Die »Rodney-Affäre« änderte die politische Stimmung auf der Insel. Die PNP öffnete sich wieder für Linke und gewann 1972 die Wahlen mit der Parole »Power to the people« und einem Wahlkampf, der sich explizit an die schwarze Bevölkerungsmehrheit richtete und diese zur Partizipation ermutigte.
Perry Henzell war mit Michael Manley befreundet, dem damaligen Vorsitzenden der PNP, der nach dem Wahlsieg seiner Partei Ministerpräsident wurde. Manley unterstützte den Film und trug mit Slogans wie »Sozialismus ist Liebe« dazu bei, dass plötzlich vieles möglich schien. Manley sorgte auch dafür, dass »The Harder They Come« im größten Kino Kingstons, dem Carib Theatre, uraufgeführt werden konnte.
Während die PNP um die schwarze Unterschicht warb, begannen die Dreharbeiten des Films. Henzell setzte auf ein gemeinsames künstlerisches Arbeiten: Die Kameramänner waren bei der Bildauswahl weitgehend eigenverantwortlich, und wer vor der Kamera stand, konnte die Texte aufgrund seiner eigenen Erfahrungen variieren und abändern. Die Dialoge im kreolischen Jamaikanisch waren ein Tabubruch, eine Absage an die Dominanz des Hochenglisch der weißen Plantagenbesitzer. Und sie waren lebensnah, entsprachen dem Alltag der Prekären, der Ausgegrenzten. Dafür sorgten auch viele Laiendarsteller aus den Slums, die das harte Leben dort kannten. Zwei von ihnen starben während der Aufnahmen eines gewaltsamen Todes. »Es war der erste karibische Film, der die Leute so zeigte, wie sie wirklich lebten und dachten«, so der Filmproduzent Arthur Gorson, der mit Perry Henzell befreundet war. »Nicht so wie die James-Bond-Filme, wo Jamaika wegen der schönen Strände als Kulisse diente. Er zeigt die raue Seite der jamaikanischen Wirklichkeit.«
Auf seinen Hauptdarsteller Jimmy Cliff war Perry Henzell durch eine Single aufmerksam geworden, wie er in einem Interview über die Entstehung des Films erzählt: »Vorne auf dem Cover blickte er wie ein rebellischer Abenteurer direkt in die Kamera, auf der Rückseite sah er in einer Profilaufnahme wie ein Leidender aus, diese Ausdrucksvielfalt hat mich überzeugt.« Ein Glücksgriff, denn Jimmy Cliff, der in Jamaika schon ein paar Platten aufgenommen hatte, konnte nicht nur überzeugend spielen. Er hatte die Geschichte von Ivan zum Teil auch selbst erlebt, war vom Land in die Stadt gekommen und musste mühsam darum kämpfen, ein anerkannter Reggae­sänger zu werden. Reggae hatte sich erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aus dem Ska, dem Mento, dem Calypso und dem Trommelrhythmus der Rastafarians entwickelt. Der Sound der jamaikanischen »68er« hatte sich vor dem Erscheinen des Films noch keinen Platz auf dem internationalen Musikmarkt verschaffen können. Der Soundtrack des Films besteht fast zur Hälfte aus Titeln von Jimmy Cliff sowie anderen ebenso rhythmisch eingängigen wie melodisch und textlich zur Geschichte passenden Hits aus der Aufbruchzeit der Reggaesänger – eine Sängerin ist nicht dabei.
Mit dem Song »You Can Get It If You Really Want« von Jimmy Cliff geht es los. Das Lied ist wie gemacht für die Jugend vom Land, die Ende der Sechziger an dem sich rasant verbreitenden Transistorradio hängt und vom besseren Leben in der Großstadt träumt.
Ein beladener Überlandbus kurvt durch die sattgrünen Berge runter nach Kingston. Kaum am überfüllten Busbahnhof angekommen, wird Ivan erstmal von einem Straßenverkäufer ausgenommen. Nicht der letzte Tiefschlag für Ivan.
Wie er sich in die Kirche schleichen muss, um heimlich die Melodie für sein Lied »The Harder They Come« zu entwickeln, mit einem E-Gitarristen und leise gestellten Verstärker, wie er dort vom Pastor rausgeschmissen wird, um endlich am nächsten Tag im Studio dem alles entscheidenden Produzenten Hilton (Bob Charlton) mit Begleitband vorzusingen –das ist ist eine Sequenz, die nicht nur für Reggaefans ein Höhepunkt des Filmes ist. Sofort nach der Aufnahme zückt Hilton einen Standardvertrag: Ivan soll ihm alle Rechte an dem Lied und dessen Verwertung übertragen, dafür würde er ihm 20 jamaikanische Dollar zahlen. Ivan, noch außer Atem vom Singen, wendet zaghaft ein, sein Lied sei doch mehr wert. Er lehnt ab und versucht seine Single selbst in Plattenläden und ins Radio zu bringen. Aber die Absagen haben immer den gleichen Grund: Wir arbeiten mit Hilton zusammen und können keine Deals an ihm vorbei tätigen. Ivan braucht Geld, er willigt schließlich in das 20-Dollar-Angebot Hiltons ein.
Der Soundtrack von »The Harder They Come« ist eine der meistverkauften Reggaeplatten weltweit. Den Titelsong »The Harder They Come« komponierte Jimmy Cliff eigens für den Film. Als Perry Henzell ihn das erste Mal hörte, war ihm eines klar: dass der Film nicht »Ivan« heißen würde.

»The Harder They Come« (DVD). Arsenal-Film