Geschichtsrevisionismus in Slowenien

Nazi-Kollaborateur, du Opfer!

Eine Diskussion um Rachemorde slowenischer Partisanen an Kollaborateuren spaltet die Gesellschaft. Geschichtsrevisionisten nutzen die Entdeckung von Massengräbern zur Täter-Opfer-Umkehr.

Die Partisanenbewegung genießt bei der Mehrheit der slowenischen Bevölkerung große Sympathien. Daran haben auch die neu entdeckten Massengräber und die Diskussionen um die »außergerichtlichen Tötungen« von rund 70 000 angeblichen Kollaborateuren in ganz Jugoslawien durch Partisanen nichts geändert. Umfragen zeigen, dass etwa drei Viertel der slowenischen Bevölkerung meinen, dass es sich hierbei um keine besonders gravierenden Probleme handele, zumindest nicht im Vergleich mit den sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die die Slowenen zurzeit plagen. Doch ein Viertel der Slowenen äußert Sympathien für die getöteten Soldaten der Kollaborateure der »Slowenischen Heimwehr«, den »Domobranci«. Die Umfragen zeigen ungefähr, wie die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sind. In ihnen spiegelt sich eine Spaltung der slowenischen Gesellschaft, weil so gut wie jede Familie entweder zu den Nachfahren der Domobranci oder der Partisaninnen und Partisanen zählt.
Über 17 000 slowenische Domobranci, über 50 000 kroatische Ustaša-Soldaten und königstreue Tschetniks wurden direkt nach der Befreiung als Nazikollaborateure von Spezialeinheiten der slowenischen und jugoslawischen Partisanenarmee außergerichtlich getötet. Ihre Körper wurden in deutsche Panzergräben und in stillgelegte Bergwerke geworfen. Andere Leichen wurden in unzugänglichen Waldgebieten vor allem im Kocevje Rog in Karsttrichtern versteckt. Bis heute werden bei Autobahnbauarbeiten oder direkt an Wanderwegen menschliche Schädel und Knochen gefunden.

Bereits Ende 1943 stellte das oberste Gremium der Partisanenbewegung, der Antifaschistische Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens, durch die Einrichtung einer »Staatskommission zur Ermittlung von Kriegsverbrechern und ihrer Helfer« die Weichen für die Bestrafungs- und Vertreibungsaktionen nach der Befreiung. Am 26. Mai 1945 erklärte Tito in Ljubljana vor einer großen Menschenmenge, dass jegliche Verräter »nie wieder unsere herrlichen Berge und unsere blühenden Felder erblicken« würden. Am selben Tag schrieb der Schriftsteller Tone Seliškar: »Wir haben die Rache als Programm und Inhalt mit Blut in unsere Herzen eingebrannt, um diese Gesellschaft von Verrätern und Henkern zu vernichten und zu zerschmettern.« Danach zeigte sich die »dunkle Seite des Mondes«, wie es 1999 der Schriftsteller Drago Jančar formulierte.
Zum Symbol der Vergeltung wurden die Auslieferungen von Viktring und Bleiburg in Kärnten. Dort hatten britische Truppen nach den letzten Kämpfen am 15. Mai 1945 über 70 000 Menschen interniert, darunter rund 11 000 Domobranci aus Slowenien, ferner 50 000 Ustaša-Kämpfer, Tschetniks und Kosaken, die auf der Seite von Nazi-Deutschland gekämpft hatten und mit den Deutschen seit Anfang Mai Richtung Norden geflohen waren. Eine Woche später entschied die britische Militärführung, die Kriegsgefangenen jugoslawischer Staatsangehörigkeit den Truppen Titos zu übergeben. Abgesehen von den Minderjährigen exekutierten Spezialeinheiten der slowenischen und jugoslawischen Partisanenarmee die meisten Domobranci und kroatischen Ustaša-Kämpfer ohne Prozess. Zu den Opfern der Abrechnung mit den Kollaborateuren gehörten auch Angehörige der deutschen Minderheit.
Nach der Phase der außergerichtlichen Massen­erschießungen richtete sich die Justiz des neuen Jugoslawien hauptsächlich gegen deutsche Kriegsverbrecher und gegen prominente slowenische Kollaborateure. Weitere Prozesse führte man vor allem gegen sogenannte Volksverräter. In diesen Prozessen ging es im Lauf der Zeit immer weniger um die Ahndung von Kriegsverbrechen, immer mehr aber um die Ausschaltung von politischen Gegnern und »Kapitalisten«. Zahlreiche Indus­trielle und Großbauern wurden angeklagt. Ihre Verurteilung und damit verbundene Enteignung sollte den Weg zur Landreform und zur Sozialisierung der Produktionsmittel erleichtern. Nach dem politischen Bruch mit Stalins Sowjetunion im Jahre 1948 wurden vor allem Kommunistinnen und Kommunisten selbst zum Ziel der Tito-kommunistischen Justiz. In Schauprozessen wurden innerparteiliche Gegner verurteilt und manche auch hingerichtet. Insbesondere die sogenannten Dachauer Prozesse sind nach 1991 ins öffentliche Bewusstsein gelangt. In diesen waren ehemalige slowenische KZ-Häftlinge verurteilt worden, die in Dachau inhaftiert waren und denen man Kollaboration mit der SS, Agententätigkeit für die Gestapo und mangelnden Widerstand im KZ vorgeworfen hatte.

Bis 1991 war die Erinnerung an die getöteten Domobranci ein Tabu. Nichts sollte mehr an die Gräber der »Verräter« erinnern. Die »Gräber der Feinde«, so die politische Anweisung, seien umzupflügen und Gras darüber zu säen, damit niemand jemals erfahre, wo sie liegen. Erst im Februar 1987 schrieb die slowenische Soziologin Spomenka Hribar über das Schicksal der Domobranci. In einem Artikel forderte sie aber nicht nur zur Aufarbeitung der Ereignisse, sondern erstmals zu einer »nationalen Versöhnung« auf. Noch brisanter war ihre Forderung nach Errichtung eines Mahnmals »für alle Gefallenen im Zweiten Weltkrieg«, das nicht mehr zwischen Tätern und Opfern unterscheiden sollte. Ein Jahr später wurde eine erste Gedenkveranstaltung »für alle, die kein Grab haben«, auf dem Ljubljaner Zentralfriedhof durchgeführt. 1990 gründete sich der »Verein für die Pflege totgeschwiegener Gräber«, im selben Jahr kam es zu einem gemeinsamen Festakt an den Massengräbern der Domobranci, den Milan Kucan, der ehemalige Generalsekretär des Bundes der Kommunisten und 1990 frei gewählte slowenische Staatspräsident, zusammen mit dem Erzbischof von Ljubljana inszenierte.
Zum 60. Jahrestag des Sieges über den Faschismus legte die konservative Regierung im Jahr 2005 die Siegesfeier mit dem Gedenken an die Opfer der sogenannten Rachemorde zusammen. Inzwischen sind überall auf den Friedhöfen und an den Kirchen Denkmäler und Gedenktafeln zu Ehren der Domobranci errichtet worden, die allerdings die unterschiedliche historische Rolle der Partisanen und der Domobranci nicht thematisieren. Auf dem Zentralfriedhof von Ljubljana wurde ein »Lindenbaum der Versöhnung« gepflanzt. Um ihn versammeln sich alljährlich Sloweninnen und Slowenen, um der »Opfer des kommunistischen Unrechts« zu gedenken. Allerdings wurde er in der Vergangenheit mehrfach von politischen Gegnern abgesägt.
Die konservative Regierung hatte 2004 auch eine »Regierungskommission für verheimlichte Massengräber« unter Leitung des Historikers Jože Dežman eingerichtet, die bis heute über 600 Hinrichtungsorte lokalisiert und Exhumierungen vorgenommen hat. In dieser Zeit tobte der Erinnerungskampf besonders erbittert. Dež­man sprach öffentlich von slowenischen »Killing Fields« und forderte erneut »eine wirkliche Aufarbeitung«. »Die slowenische Gesellschaft ist geteilt, es steht wohl 50 zu 50 für und gegen eine offene Aufarbeitung des Themas«, urteilte Dežman 2007: »Aber wir nähern uns langsam der internationalen Haltung zum Kommunismus. Und diejenigen, die dieses Großverbrechen zu verantworten haben, müssen jetzt überlegen, wie man sich für die Massaker entschuldigen kann.«
Von 2008 an wurde Slowenien zunächst wieder von der Linken regiert. Die Kommission für die Gräber wurde aufgelöst und der umstrittene Leiter Jože Dežman – auch als Chef des zeitgeschichtlichen Museums in Ljubljana – abgelöst. Der Kampf um die Geschichtsdeutung geht aber unvermindert weiter. Für Zwischentöne und für ­einen angemessenen Umgang mit den Opfern, auch wenn sie Nazikollaborateure waren, ist nur wenig Platz. Bislang sind nur sehr wenige Opfer namentlich bekannt, der Versuch, die Ereignisse zu rekonstruieren, die Namen der Opfer herauszufinden und sogar mögliche Täter zu iden­tifizieren, trifft in der slowenischen Gesellschaft immer noch auf eine Mauer des Schweigens.

Die Hoffnungen auf eine selbstkritische Aufarbeitung der slowenischen Geschichte haben sich nicht erfüllt. Die Debatten mündeten in einen Prozess der Umschreibung der Geschichte, in dem sich heute nach wie vor zwei Positionen gegenüberstehen. Der Partisanenverband und die politische Linke betonen die Legitimität des bewaffneten Widerstandes für die Befreiung Sloweniens: »Die Partisanen leisteten legitimerweise bewaffneten Widerstand gegen die Okkupanten und deren Helfershelfer. Diese lösten, indem sie sich von den Besatzern bewaffnen ließen und gegen Partisanen und Alliierte kämpften, den slowenischen Bürgerkrieg aus.« Mittlerweile hat sich der slowenische Partisanenverband eindeutig von den »außergerichtlichen, ungesetzlichen und verbrecherischen« Massentötungen nach dem Zweiten Weltkrieg distanziert. Der Vorsitzende des slowenischen Partisanenverbandes Janez Stanovnik erklärte: »Wir verurteilen dieses Verbrechen. Die Tötungen standen in diametralem Widerspruch zu den Werten des Volksbefreiungskampfs.« Zur Entschuldigung der Partisanen führte er aber aus, dass die Tötungen nach dem Krieg erfolgt seien, als die slowenische Partisanenarmee bereits in der jugoslawischen Armee aufgegangen war. Eine substantielle Übernahme der politischen Verantwortung für die Verbrechen nach 70 Jahren sähe sicherlich anders aus.
Die katholische Kirche und die politische Rechte nutzten das späte Schuldeingeständnis der alten Eliten dazu, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umzuinterpretieren und die Kollaboration der Domobranci und der katholischen Führer als patriotische Tat zu entschuldigen. Die Domobranci hätten nicht kollaboriert, sondern als antikommunistische Kämpfer die Interessen der Nation verteidigt. Die vielfältige slowenische Befreiungsfront wurde auf eine rein kommunistische Bewegung reduziert, die ausschließlich die Machtergreifung der kommunistischen Partei betrieben habe. Viele unschuldige Leben wären verschont geblieben, hätte es die slowenische Partisanenbewegung nicht gegeben. Mehr noch: Der Kommunismus wird als Sache von »Geisteskranken« pathologisiert und als »der slowenischen Nation wesensfremd« bezeichnet.
Dieser offensive Geschichtsrevisionismus ist für die ehemaligen Partisaninnen und Partisanen nicht nur eine Provokation, sondern missachtet insbesondere ihre Lebensleistungen als Dissidenten im Kampf gegen die deutschen und italienischen Faschisten, bei dem mehr als 27 000 slowenische Partisaninnen und Partisanen ums Leben kamen. Angemessener wäre, so der Marburger Historiker Joachim Hösler, eine »Erinnerung, die bewusst macht, wer das Land widerrechtlich angegriffen, aufgeteilt und besetzt, wer die Bevölkerung einer rassistischen Mus­terung, Deportationen und Geiselerschießungen ausgesetzt hat«. Weiter sagt Hösler: »Eine ganzheitliche Erinnerung hat aber auch den Widerspruch auszuhalten, dass dieselbe Befreiungsfront, die dank ihrer Disziplin und Entschlossenheit zur Befreiung und Vereinigung Sloweniens beigetragen hat, mit eben dieser Härte (…) nach Kriegsende einen mörderischen Kampf gegen ihre innenpolitischen Gegner geführt hat.«