Die Kritik am Euro und die D-Mark-Nostalgie

Nostalgie zahlt sich nicht aus

Auch wenn Kritiker des Euro und Liebhaber der D-Mark derzeit lauter werden: Der Euro ist für den Erfolg der deutschen Wirtschaft in der internationalen Konkurrenz entscheidend. Das wissen Industriemanager, Regierung und Opposition.

Der September verlief für deutsche Euro-Kritiker unerfreulich. Anfang des Monats mussten sie eine empfindliche Niederlage hinnehmen, eventuell sogar ihre endgültige. Die drei Verfassungsbeschwerden gegen die deutsche Finanzhilfe für Griechenland und die deutsche Beteiligung am Europäischen Rettungsfonds scheiterten vor dem Bundesverfassungsgericht. Zwar forderten die Richter beiläufig auch, das Parlament bei zukünftigen Beschlüssen stärker zu beteiligen. Die Kläger um den Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, zu denen die Wirtschaftswissenschaftler Joachim Starbatty, Wilhelm Nölling und Wilhelm Hankel sowie der frühere Vorstandsvorsitzende von Thyssen, Dieter Spethmann, und der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler gehören, sprachen dennoch von einem »schlechten Tag für Deutschland und für Europa«. Mit Ausnahme Spethmanns waren sie bereits 1998 mit ihrer Klage gegen die Einführung des Euro gescheitert.

Doch auch nach diesem Urteil dürften die D-Mark-Nostalgie und die ressentimentgeladene Hetze vor allem gegen die südeuropäischen EU-Länder nicht nachlassen. Als prominentester Kritiker des Euro zieht seit Herbst vergangenen Jahres der ehemalige Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, durch Talkshows und stets gut gefüllte Veranstaltungsräume. Die zentrale Forderung in seinem pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschienenen Buch »Rettet unser Geld« ist die Teilung der Euro-Zone in zwei Währungsräume, »einen nördlichen, der diszipliniert ist, der keine Inflation will, der an Haushaltsdisziplin gewöhnt ist, und einen südlichen, der lieber mit einer Abwertung wettbewerbsfähig sein will«, wie es Henkel etwa bei Maybrit Illner formulierte. Der Hamburger macht sich damit zum größten Fürsprecher der in Tausenden von Blogs erhobenen Forderungen nach einem deutschen Austritt aus der Währungsgemeinschaft. Im vergangenen Jahr unterstützte die Mehrheit in einer von der Bild-Zeitung erhobenen Umfrage eine Rückkehr zur D-Mark, in einer kürzlich vom Institut für Demoskopie Allenbach veröffentlichten Erhebung votierte fast die Hälfte der Befragten ebenfalls gegen die Treuebekenntnisse zum Euro, die Koalition und Opposition größtenteils einen.
Im Establishment lässt die Unterstützung für Henkel und die Euro-Kritiker aber zu wünschen übrig. Allenfalls einige Mitglieder der Koalitionsparteien, als deren informeller Sprecher derzeit der ansonsten als innenpolitischer Hardliner bekannte Wolfgang Bosbach (CDU) firmiert, oder Personen des akademischen Betriebs wie etwa Dirk Meyer von der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität stellen sich öffentlich auf ihre Seite. So forderte Meyer unlängst im Magazin Focus in gleichem Ton wie Henkel eine »Neuordnung der Währungsunion«, Deutschland solle entweder wieder die D-Mark oder gemeinsam mit Österreich und den Niederlanden einen »Nord-Euro« einführen.

Gegen solche Vorschläge haben sich zuletzt nicht nur die Bundesregierung – Angela Merkel begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts euphorisch als Zeichen für »Deutschlands Zukunft« – und die rot-grünen Oppositionsparteien gewandt. Gleich mehrere Ökonomen warnten in den vergangenen Wochen öffentlich vor einem deutschen Ausstieg aus der Euro-Zone. So befürchtet Gustav Horn, wissenschaftlicher Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, dass deutsche Exporte durch die zu erwartende deutliche Aufwertung einer wieder eingeführten D-Mark stark abnehmen könnten. »Bei einer Aufwertung von nur zehn Prozent würden die Exporte auf Dauer um vier bis fünf Prozent zurückgehen. Die zu erwartende Aufwertung würde aber wohl ein Vielfaches dessen sein. Das wäre dann eine wirtschaftliche Katastrophe«, sagte Horn der Welt am Sonntag. Diese Argumentation vertritt derzeit besonders öffentlichkeitswirksam der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Michael Burda, Ökonom an der Berliner Humboldt-Universität, erwartet gar eine Aufwertung »innerhalb weniger Monate um 50 Prozent«. »Das würde den deutschen Mittelstand mit einem Schlag auslöschen«, warnt Burda. Ähnlich dramatisch sieht dies auch Daniel Gros, Direktor des Brüsseler Centre for European Policy Studies (CEPS): »Die deutsche Volkswirtschaft würde massiv einbrechen, vielleicht nur um 20 Prozent, vielleicht aber auch um 30 Prozent.«
Dass die Anhänger von Henkels Ansichten mittlerweile ihren Einfluss auf die deutsche Standortpolitik verloren haben, verdeutlicht nun auch ausgerechnet der ehedem von ihm geführte BDI. Dessen Präsident Hans-Peter Keitel bezeichnete die Rufe nach einem Ausstieg aus dem Euro in der vergangenen Woche in einem Interview mit der Zeit als »unverantwortlich«. In einem gerade verfassten Thesenpapier fordert der BDI sogar »mehr politische und ökonomische Integration« in Europa. In den zwölf Thesen wird eine nach dem Vorbild der Bundesrepublik verfasste EU vorgeschlagen, über deren gemeinsame Währung – die ausdrücklich nicht in Frage gestellt wird – ein »Europäischer Fiskalfonds« wachen soll. Den Managern geht es dabei um nichts weniger als »Europas Stellung in der Welt«: Die einzelnen Nationen eines gespaltenen Europa könnten zukünftig nicht ihren Einfluss behaupten.
Ein Ausstieg aus dem Euro würde Deutschland seiner mächtigsten wirtschaftspolitischen Waffe berauben: einer durch die Währungsgemeinschaft mit weniger konkurrenzfähigen Staaten strukturell unterbewerteten Währung, deren Beitrag zum exportgetragenen »zweiten deutschen Wirtschaftswunder« (Financial Times) neben der Stagnation der Löhne und dem seit einem Jahrzehnt ausgebauten Niedriglohnbereich kaum überschätzt werden kann. Volkswirtschaften im Süden Europas, aber zunehmend auch die alten angelsächsischen Zentren des Kapitalismus im internationalen Konkurrenzkampf auszustechen, wäre ohne die Einführung des Euro kaum möglich gewesen. Zur Erinnerung: Vor der Einführung der Hartz-Gesetze und des Euro galt die Bundesrepublik als »sick man of Europe«.

Währungspolitisch sieht sich der »Standort Deutschland« mit seiner Euro-Politik in guter Gesellschaft. Auch China, dessen Wirtschaft ebenfalls auf dem Export basiert und das sich weiterhin der Konvertierbarkeit des Renminbi verweigert, kann von den internationalen Währungsungleichgewichten profitieren, die zu einer künstlichen Verbilligung der Exportgüter führen. Bereits seit dem vergangenen Jahr kritisiert US-Finanzminister Timothy Geithner vehement die deutsche und chinesische Exportorientierung, der ehemalige IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn sah 2010 schon einen »Währungskrieg« heraufziehen, da insbesondere einige Schwellenländer versuchen, das Exportmodell zu kopieren (Jungle World, 42/10). Dass die zumeist ressentimentgeladenen Rufe nach einer Rückkehr zur D-Mark in diesem »Abwertungswettlauf der Nationen«, wie der Ökonom Eberhard Weinberger die Entwicklung bezeichnet, kaum Aussicht auf Erfolg haben, versteht sich da fast von selbst.