Die Neuregelung der Sicherungsverwahrung

Die wohltrainierte Seele

Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung vorgelegt. In ihm setzt sich die antimoderne Logik des deutschen Strafrechts weitestgehend fort.

Als Joseph Ratzinger während seines Besuchs in Deutschland vor der gesetzgebenden Gewalt sprach, zitierte er warnend Augustinus: »Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?« Mahnend fuhr er fort: »Wir Deutsche (…) haben erlebt, dass (…) Macht gegen Recht stand«. Was nun wahrhaft Recht sei und damit Gesetz werden könne, stehe nicht zur Disposition des Gesetzgebers, sondern liege in vernünftiger Natur begründet.
Mit der Warnung vor unrechtem Gesetz rennt der Papst in seiner Heimat offene Türen ein. So ignorierten die hiesigen Gerichte die jüngsten Verurteilungen der Bundesrepublik durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen des Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Mehrfach hatte der EGMR die deutsche Justiz für ihren Hang zur rückwirkenden Anwendung der Sicherungsverwahrung verurteilt. Und mehrfach wiesen deutsche Gerichte Entlassungsanträge von Sicherungsverwahrten zurück, die sich nach dem Urteil des EGMR rechtswidrig in Haft befinden.
Nun hat zumindest das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seinen Widerstand gegen die Menschenrechtskonvention aufgegeben. Nach einem Urteil vom vergangenen Mai ist die Sicherungsverwahrung in ihrer gegenwärtigen Form verfassungswidrig und muss bis Ende Mai 2013 neu geregelt werden. Vergangene Woche billigten dann die Justizminister der Länder den auf das Urteil des BVerfG reagierenden Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums. Dieser sieht vor, dass Sicherungsverwahrte zu thera­pieren sind und eine realistische Aussicht auf Entlassung haben müssen. Der Vollzug soll zudem an die Lebensverhältnisse außerhalb der Verwahrungsanstalt angepasst werden. Dies ist eine bescheidene, zumal erzwungene Modernisierung des deutschen Strafrechts.
Bisher war die Sicherungsverwahrung nichts anderes als eine zweite Strafe von unbestimmter Dauer, die durch ein falsches Etikett verschleiert wurde. Künftig soll auf eine »Besserung durch Therapie« gesetzt werden. Ob das im Vollzug umgesetzt wird, ist jedoch zweifelhaft. Für die gerichtliche Überwachung der »besonderen Betreuung«, die Vollzugsanstalten künftig anzubieten haben, sind die Strafvollstreckungskammern zuständig. Und diese behandelten bisher klagende Gefangene meist wie Querulanten.
In der Praxis wird das Konzept wohl ohnehin an den anstehenden Personalkürzungen scheitern. Und auch wenn künftig nicht mehr allein auf die Maxime des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder (»Wegschließen – und zwar für immer!«) gesetzt werden kann, an der zugrundeliegenden Logik ändert sich nicht viel: Die Allgemeinheit ist vor gefährlichen Tätern zu schützen, und Gefährlichkeit lässt sich so verlässlich bestimmen, dass Einsperren auf unbestimmte Zeit gerechtfertigt ist. Dass dabei die Annäherung des Vollzugs »an die Lebensverhältnisse außerhalb des Vollzugs« keine Abhilfe ist, hatten bereits Max Horkheimer und Theodor W. Adorno erkannt: »Die Isolierung, die man den Gefangenen einmal von außen antat, hat sich in Fleisch und Blut der Individuen inzwischen allgemein durchgesetzt. Ihre wohltrainierte Seele und ihr Glück ist öde wie eine Gefängniszelle.«