Die iranische Cyber-Hizbollah

Jihad im Cyberspace

Sie nennen sich »Cyber-Jihad-Aktivisten«, Aktivisten des »Cyber-Widerstands« und »Interessenten des sanften Krieges«. Gemeinsam wollen islamistische Hacker ­Europa und die USA digital bekämpfen.

Im August und September fanden in Teheran zwei Konferenzen der »Cyber-Hizbollah« statt. Der heilige Krieg im Cyberspace wurde dabei als zentraler Bestandteil des sogenannten sanften Krieges definiert. Damit übernahmen die Internet-Jihadisten einen Begriff, der ursprünglich von Vertretern des iranischen Regimes benutzt wurde. Als »sanfter Krieg« wird seit den Protesten im Jahr 2009 die Unterstützung der iranischen Opposition durch westliche Staaten, insbesondere die USA, für die iranische Opposition vor allem in den Medien und im kulturellen Bereich bezeichnet. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder internationale Nachrichtensender wie BBC wurden beschuldigt, die regimekritischen Proteste beeinflusst zu haben, indem sie die Demonstrantinnen und Demonstranten unterstützten und über ihre Forderungen und die brutale Repression durch das Mullah-Regime berichteten. Die Cyber-Jihadisten übernehmen nun diesen Begriff und kehren ihn um: Sie wollen selbst in den »sanften Krieg« gegen den Westen ziehen.

Unterstützt wurden die Konferenzen von Vertretern des Ministeriums für Kultur und islamische Führung, staatlichen Medien wie Press TV sowie von Revolutionswächtern. Die Cyber-Jihadisten werden von der islamisch-messianischen Stiftung Khataomul Ossia (Siegel der Vormundschaften) gesponsert, welche die endzeitliche Ideologie der Rückkehr des zwölften schiitischen Imams propagiert. »Wir müssen den sanften Krieg, der unterschiedlich definiert wird, gewinnen«, hatte der Leiter der Stiftung, Hussein Yekta, der staat­lichen Nachrichtenagentur Irna zufolge bereits am 4. August gesagt. Wer auf diesem Gebiet kämpfe, müsse die Technik beherrschen und in der Lage sein, »das Recht des Jihad des sanften Krieges auszuüben«.
Offiziell gegründet wurde die Cyber-Hizbollah auf der ersten Konferenz, die am 20. August in Teheran stattfand. Ali Fallah, der Leiter der Internetabteilung des iranischen Kulturministeriums, warnte die Cyber-Jihadisten vor der Nutzung von sozialen Netzwerken, da diese vom westlichen Feind kontrolliert würden. Der Kleriker Hojatulislam Shahab Moradi hielt eine Rede, die einer re­ligiösen Absegnung der Veranstaltung gleichkam. Er plädierte dafür, dass im Zeitalter des »sanften Krieges« und des »ungleichen Krieges der Welt gegen den islamischen Iran« die Cyber-Aktivisten eine einheitliche Strategie verfolgen sollten. Gegen die »Feinde des Islam« im Internet könne diese Strategie nur lauten: »die islamische Moral im Cyberspace verbreiten«.
Rund vier Wochen später organisierten die Cyber-Islamisten ein zweites Treffen. Wieder waren bekannte Persönlichkeiten aus dem Milieu des internationalen Jihadismus entweder selbst anwesend oder wurden bei der Konferenz telefonisch zugeschaltet. Einer von ihnen war Hojat Vahidi, der Leiter des »Komitees der Strategie der heiligen Verteidigung in Europa« und einer der Koordinatoren der iranischen Propagandaaktivitäten in Europa und den USA. Der Kriegsveteran lebt in einem unbekannten Ort in Europa und leitet obendrein eine Organisation, die sich »Europäische Vereinigung der Muslime« nennt. Im Interview sagte er, dass er in den vergangenen Jahren gemeinsam mit seinen Kollegen viele Veranstaltungen in Europa und in den USA organisiert habe: »Wir haben im Rahmen unserer Aktivitäten viele Kontakte mit europäischen Studenten hergestellt. Wir haben ihnen die Erfahrungen der Studenten während der islamischen Revolution im Iran zur Verfügung gestellt. Dies hat dazu geführt, dass sich in Europa und in Amerika islamische Zellen gegründet haben.« Über die Aktivitäten und Ziele dieser »Zellen« erzählte Vahidi allerdings kaum etwas. Bekannt ist nur, dass diese Gruppen ihre Mission in der »Verbreitung des reinen Islam« sehen und damit in der Bekämpfung des »amerikanischen Islam«, der »von den Feinden propagiert« werde.
In ihrer offiziellen Erklärung verkünden die Cyber-Jihadisten, dass sie nicht nur im wirklichen Leben, sondern auch im Cyberspace die »falsch Handelnden, die falsch Verstehenden und die Schwarzmaler erhellen wollen.« Diese stünden unter dem Einfluss von »Fremden«, denen die Cyber-Jihadisten »teuflische« Züge zusprechen. Dagegen werden die islamistischen Blogger sowie die »Basen des Jihads und des Märtyrertums« gelobt.

Der Stargast bei der Konferenz im September war Hassan Abassi, ein bekannter iranische Antisemit, der das in Teheran ansässige Doctrinal Analysis Center leitet. Abbasi warnte davor, dass die US-amerikanische National Security Agency (NSA) in der Lage sei, alle Internetaktivitäten im Iran zu kontrollieren. Aber nicht nur die NSA, auch die iranischen Sicherheitsbehörden seien heute in der Lage, die Internet-Kommunikation der Iranerinnen und Iraner zu kontrollieren.
Einige der verhafteten »Aufständischen« hätten zugegeben, viele Informationen westlichen Spionageorganisationen zur Verfügung gestellt zu haben, sagte Abassi: »Wir müssen daran denken, dass wir kontrolliert werden. Und wir müssen die Perspektive unseres Feindes genau analysieren. Er hat sich gegen unsere muslimische Gesellschaft positioniert. Er ist im Krieg gegen unsere Religion.«
Ähnlich wie andere Ideologen des Mullah-Regimes bezeichnet Abassi die Millionen muslimischen Iranerinnen und Iraner, die im Juni 2009 für einen politischen Wandel auf die Straßen gingen, lediglich als »die Aufständischen«. Tatsächlich denunziert die iranische Propaganda die Menschen, die den religiösen Führer Ali Khamenei kritisieren oder eine Reform der Verfassung fordern, als vom feindlichen Westen gesteuert.
Abassi ging in die Offensive und forderte, dass die iranischen Internet-Jihadisten im »Gebiet des Feindes« agieren sollen. Er plädierte für »subver­sive« und »destruktive« Aktionen im Internet: »Die Freunde der Cyber-Hizbollah müssen ihre Angriffe asymmetrisch planen, sie müssen ihre Informa­tionen im Internet fälschen, ihre IP-Adressen unkenntlich machen, denn im Cyberspace kann man die Gesetze und die Sicherheitsapparate, die vom Feind geschaffen wurden, zerstören und ihre Strategien angreifen.«

Abbasi warnte auch die USA: »Die Vereinigten Staaten von Amerika haben im vergangenen Jahr beschlossen und öffentlich erklärt, dass sie kein Land atomar angreifen werden, mit Ausnahme von zwei Staaten, dem Iran und Nordkorea.« Ein vom US-Kongress verabschiedetes Gesetz sehe vor, dass im Falle eines Cyber-Angriffs die US-Regierung legal und ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats einen Atomkrieg führen dürfe, behauptete Abbasi. Die US-Regierung hat ein solches Gesetz nie erlassen, viel wichtiger ist aber, dass ein prominenter Chefideologe und Militärstratege des Mullah-Regimes offenbar lügen musste, um die Zuhörer für seine »subversiven Aktionen« zu gewinnen.
Doch Abbasi ging noch weiter. »Die USA werden erneut einen Anschlag gegen sich selbst ausführen, nach dem Vorbild des 11. September, dieses Mal auch im Cyberspace«, prophezeite er. Denn die US-Regierung sei entschlossen, einen Cyber-Krieg zu führen und brauche daher Argumente, um einen solchen Krieg zu beginnen. Damit kehrte er die Tatsachen um und verteidigte sein Konzept einer »asymmetrischen« Subversion im Internet. Abbasi glaubt, dass der Westen immer einen Vorwand suche, um Kriege zu führen. Daher werde eine Cyber-Hizbollah benötigt, um die »Verschwörung der Feinde« auszuschalten. Die Cyber-Hizbollah müsse die »Kultur des Märtyrertums am Leben halten.«
Der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad hatte während seines Aufenthaltes in New York im September ebenfalls von einer Erfolgsgeschichte der Aktivitäten der Muslime im »Westen« gesprochen. Er ist sich sicher, dass die »Wellen des Erwachens, die in der Welt entstanden sind, auch bald die USA und Europa erreichen werden.«
Bei der Konferenz der islamistischen Hacker wurde bekanntgegeben, dass 14 Arbeitsgruppen unter dem Schalgwort der »heiligen Verteidigung« derzeit in Europa und in den USA aktiv seien und in westlichen Ländern die Werte der is­lamischen Revolution propagierten. Tatsächlich warnen Internetexperten der iranischen Revolu­tionswächter vor einer von der US-Regierung unterstützten »Strategie der Feinde des islamischen Iran«, welche die iranischen Jugend via Internet zu verführen versuche. Ein Mitarbeiter der Abteilung »Cyberwar« der iranischen Revolutionswächter beschuldigte die US-Regierung, etwa durch kritische Berichte über die Hinrichtung von Homosexuellen einen »Krieg« gegen die Islamische Republik zu führen.
Gleichzeitig weisen iranische Experten darauf hin, dass »der Westen« eigentlich nur Angst vor dem Export der »Islamischen Revolution« habe. Westliche Demokratien sollten in der Tat die negativen Folgen der totalitären islamistischen Ideologie auf ihre eigenen Gesellschaften fürchten. Denn die iranischen Revolutionwächter erklären offen, dass sie alle westlichen Medien, die in ihren Augen »antiiranische Propaganda« betreiben, nun im sanften Internet-Krieg angreifen wollen, als ob die iranischen Machthaber wirklich den Islam und die Muslime verteidigen würden.