Gespräch über Punk und Dissidenz

»Entscheidend war das Festgefahrene«

Vor zehn Jahren erschien das Buch »Verschwende Deine Jugend«. Es war an der Zeit, die deutsche Geschichte von Punk und New Wave zu erzählen. Der Fehlfarben-Schlagzeuger Uwe Bauer erinnert sich an die Platte »Monarchie und Alltag« in den achtziger Jahren, an überlebenswichtige Dissidenz und an seine Begeisterung für Atomkraftwerke.

Als ich 1984 zum ersten Mal »Monarchie und Alltag« gehört habe, ist mir der Mund offen stehen geblieben. Das war Musik von einem anderen Stern: verstörend, gleichermaßen aggressiv und depressiv. Können Sie die berühmteste Fehlfarben-Platte selbst noch hören?
Ja, das kann ich, weil die Platte in sich stimmig ist. Ich finde nach wie vor, dass »Monarchie und Alltag« zum richtigen Zeitpunkt rausgekommen ist und den Geist der Zeit eingefangen hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Veröffentlichungen damals. Schade ist, dass die beiden Fehlfarben-Alben danach, »33 Tage in Ketten« und »Glut und Asche«, kaum mehr Erwähnung finden.
Ende der siebziger Jahre war Musik mehr von Haltung und Weltanschauung geprägt, weniger von Handwerk, wie noch zuvor bei Art Rock-Dinosauriern wie Genesis oder Yes …
… einer der positivsten Effekte, damals.
Was war Ihre Haltung?
Ich bin von Beginn der siebziger Jahre an regelmäßig nach London gefahren, so habe ich die Entwicklung von Punk mitbekommen. 1977 habe ich dann einen Auftritt von The Clash und den Boomtown Rats gesehen. Das hat mich einfach umgehauen. Zurück in Wuppertal, wo ich damals gelebt habe, standen einschneidende Veränderungen an. Erstens: Haare ab. Zweitens: alles Vergangene war nun Scheiße. Drittens: endlich ein Schlagzeug kaufen und auftreten. Und das, obwohl ich überhaupt keine Ahnung vom Musik machen hatte. Es war eine Befreiung.
Wie war das Lebensgefühl in den achtziger Jahren? In was für eine Welt wurden Jugendliche reingeworfen?
Alles war sehr angepasst, sehr konform. Um uns davon abgrenzen zu können, waren Ablehnung und Widerstand überlebenswichtig. Eine andere Sache war das Vertreten konträrer Positionen. Als die Grünen gefordert haben, Atomkraftwerke abzuschalten, fanden wir AKW geil: Baut mehr solcher Dinger!
Bei kleinen Kindern heißt das Trotzphase.
Genau. Neben der Trotzhaltung war für mich aber entscheidend, den Arsch hochzukriegen und mein Ding zu machen: Do it yourself!
Also doch nicht »No Future«?
Doch. Aber »No Future!« hieß für uns: nicht die Zukunft zu wollen, für die sich die anderen entschieden haben.
Das werden viele Punks aber ganz anders gesehen haben, oder?
Ich erinnere mich an Auseinandersetzungen Anfang der achtziger Jahre, wo ich den Leuten gesagt habe: Wenn du gegen alles hier bist, dann mach deinen Kram auch alleine. Und geh’ nicht zum Sozialamt, um dich von denen durchziehen zu lassen, gegen die du eigentlich bist. Dann widersteh’ auch wirklich.
Wenn ich die Titel von »Monarchie und Alltag« lese, überkommt mich ein Frösteln: Angst – Grauschleier über der Stadt – Apokalypse – Paul ist tot. War das Leben damals so farblos und hoffnungslos deprimierend?
In einer bestimmten Beziehung schon. Es gab sehr wenige Anknüpfungspunkte zwischen dem, was man Gesellschaft nennt, und uns. Da war eine riesige Kluft. Die Ablehnung, die von uns kam, war wichtig, um Raum für Experimente zu erkämpfen, für Gegenentwürfe. Anfang der Achtziger war es plötzlich schwieriger geworden, nach der Schule einen Job zu finden. Da gab es nicht mehr so viele Jahre zu verschwenden wie vielleicht noch vorher. Dagegen zu sein, war enorm wichtig – selbst Sachen abzulehnen, die wir eigentlich gut fanden.
Trotz Opposition und Verweigerung hatte ich immer das Gefühl, dass es den Fehlfarben wichtig war, eine andere, eine eigene Wirklichkeit zu entwerfen. In dem Stück »Hier und Jetzt« heißt es: »Die zweite Hälfte des Himmels könnt ihr haben – das Hier und Jetzt, das behalte ich.«
Stimmt, die Sachen wurden auf den Punkt gebracht. Ich kenne keine Band aus der Zeit, deren Texte so treffend waren, wie die von unserem Sänger Peter Hein. Später habe ich dieses Gefühl nochmal bei den Einstürzenden Neubauten gehabt.
Gleichzeitig habe ich eure Dissidenz, eure Ablehnung der damaligen Gesellschaft als sehr gefühlsmäßig erlebt.
Das hatte viel mit Jeannie, also mit Peter Hein, zu tun. Seine politische Überzeugung war die, keine zu haben. Und das ist okay, mich hat diese Vereinnahmung immer genervt. Auf einmal war »Es geht voran!« zum Soundtrack für Demonstrationen geworden. Einerseits schmeichelt dir das, anderseits hast du keine Lust, dich von einer Bewegung vereinnahmen zu lassen.
Wie kann man heute jemandem erklären, dass ein Teil der Szene damals mit faschistischen Symbolen kokettiert hat? War das der Ansatz: Wir sind gegen die, die dagegen sind. Also einerseits die Altnazis in Ämtern anzuprangern und gleichzeitig die Moral der Hippies und Achtundsechziger anzugreifen?
Zum Teil, ja. Uns ging es darum, den schlappen Hippies etwas entgegenzuhalten. Anderseits war es ein spielerischer Umgang mit der Vergangenheit. Die wirkungsvollste Grafik haben nun mal der Kommunismus und der Faschismus hervorgebrachtgehabt. Deren Symbolik ist ­unglaublich kraftvoll, ob man will oder nicht. Englische Magazine wie Face und ID haben das dann übernommen. Anfangs war es ein Spiel, eine Provokation. Neben dem Schock ging es unbewusst auch darum, so zu neuen Standpunkten und Einsichten zu kommen.
Wie wichtig waren zehn Jahre bekiffte Hippiekultur mit Songs über eine ganze Schallplattenseite für das Entstehen von Punk?
Entscheidend war das Festgefahrene. Zu dem, was musikalisch Mitte der Siebziger so passierte, hatten viele Jugendliche keinen Bezug mehr. In einer Industriestadt wie Manchester gab es die ersten Arbeitslosenwellen, im London Stadtteil Brixton die ersten Aufstände. Was hatte die Art-Rock-Onanie vieler Hippiebands noch mit den veränderten Lebenswelten von Jugendlichen zu tun? Selbst als Nachwuchsmusiker sind wir nicht in den erlauchten Kreis dieser Musiker reingekommen, die Türen waren zu. Damals musste man schon technisch komplett sein, um vielleicht einen kleinen Auftritt ergattern zu können. Alle wurden mit Zappa verglichen, mit Yes und Pink Floyd. Für uns gab es da keinen Platz.
Was gab es für Einflüsse neben der Musik? Stimmt es, wie im Buch »Verschwende Deine Jugend« dargestellt, dass sich viele für Literatur, für Film und Kunst interessiert haben? Mittlerweile verbindet man mit Punk ja eher Großstadtnomaden, die mit Hunden in der Fußgängerzone betteln.
Die Szene war auch damals schon geteilt. Es gab bestimmt einige, die bereits den Fußgängerzonen-Blues im Kopf hatten. Andererseits gab es viele, die gierig neue Einflüsse aufgesogen haben – Kunst und Literatur, aber auch alte amerikanische B-Movies. Ich habe damals die Russen für mich entdeckt, das Design der Plakate der russischen Revolution, aber auch Filmemacher wie Fritz Lang und Sergej Eisenstein. Roger Corman war wichtig, der Urvater vieler Splatterfilme, und natürlich Russ Meyer. Es war ein Aufbruch, der aus vielen Ecken kam, mit einer Lust an morbiden Ausdrucksmöglichkeiten.
Der amerikanische Musikkritiker Greil Marcus nennt die Punkbewegung in einem Atemzug mit dadaistischer Kunst. Seiner Meinung nach verbindet beide gegenkulturelle Entwürfe eine Gemeinsamkeit: Infiziert mit dem Geist des Nihilismus schafften sie es, die gesellschaftliche Realität als eine von vielen möglichen anzusehen – um sie so radikal in Frage zu stellen.
Dem stimme ich zu. Marcus sagt damit ja, dass es zu bestimmten Zeiten immer wieder Bewegungen gibt, die aus der gesellschaftlichen Konformität ausbrechen, um festzustellen, dass die verordnete Realität eine Sache ist, es gleichzeitig aber noch andere Welten gibt. Der Nihilismus dieser Bewegungen diente dazu, Außenseitern diesen anderen Raum zu verschaffen. Denn wenn du versuchst, etwas grundsätzlich anderes zu machen, kannst du das Bestehende nicht bejahen, das funktioniert nicht. Wichtig ist, eine Grenze zwischen dem Mainstream und dir zu ziehen. Deshalb müssen Querdenker und Andersdenker anfangs sagen: Alles, was ihr macht, ist scheiße. Erst dann kannst du anfangen, deine eigenen Sachen zu machen.
Also war die Geisteshaltung das Radikale an Punk? Bestehendes in Frage zu stellen, um überhaupt sagen zu können: Man kann auch ganz anders leben?
Klar. Musikalisch auf den Punkt gebracht: Ich muss nicht Gitarre spielen können, um eine Platte zu machen. Ich muss nicht Schlagzeug spielen können, um auf der Bühne zu stehen. Ich muss nur ich sein. Und wenn ich etwas will, dann mache ich das. Und wenn die Leute das auch noch gut finden, ist das deren Angelegenheit. Und wenn nicht, mache ich meine Sache trotzdem.
Ein Ansatz, der viel Konsequenz erfordert.
Ein Ansatz, mit dem man ganz viel machen kann. Und er gilt nicht nur in musikalischer Hinsicht, er gilt für dein ganzes Leben.