Sieben Geschichten zu Sex und Porno

Die alte Leier mit der Lust

Gerade hat das 6. Berliner Pornfilmfestival begonnen.

Ich will echt sein
Als ich einmal fünf Tage lang mit dem vermessenen Anspruch, einen Überblick zu gewinnen, von morgens um zehn bis abends um zehn Pornos schaute, war ich fertig danach. Jede geschlechtliche Regung betäubt. Das Pornfilmfestival Berlin verspricht Jahr für Jahr die maximale Reduktion unnötiger Frustration, denn hier sollen alle Sexualitäten gezeigt werden, sogar Filme von Frauen, die haben auf der Homepage eine Extrarubrik. Jeder, der sich im sogenannten Mainstream nicht aufgehoben fühlt, soll hier zu seinem Recht kommen. Öffentlich. Im Netz wären die Filme ja möglicherweise ohnehin zugänglich, aber hier werden die Pornos zur Schau gestellt, es ist ein Event.
Ich muss zugeben, als postbürgerlicher Charakter finde ich das merkwürdig, denn seit Erfindung des Home-Entertainments und des Internet wird Pornographie privat konsumiert. Kollektives Onanieren wäre auch nicht mein Ding. Ehrlich gesagt, wäre das sogar mein absoluter Albtraum, mir neben Nachbarn, Cafébekannten, Politik- und Arbeitskollegen, also in der typischen Berliner Menge, in der es Anonymität nicht gibt, einen runterzuholen. Was will das Pornofestival von mir? Es sei einzigartig, bahnbrechend, jenseits des Mainstreams, wird mir gesagt. Mit dem Mainstream ist das allerdings nicht so einfach, im Netz ist fast alles verfügbar, nach Paarungspartnern und Geschlechtsrubriken differenziert. Da können Haarfarbe und »Ethnizität« mit Creampie oder Interracial, Transgender oder Lesbian Sex kombiniert werden. Auf dem Festival kann man wählen zwischen: H (Hetero), S (Schwul), L (Lesbisch), T (Transgender), X (explizite Szenen), NX (keine expliziten Szenen), FT (Fetisch), A (Animation), F (Filme von Frauen), SW (Sexwork), D (Dokumentation). Ich browse durch die Seiten, und immer wieder lese ich in Kritiken und Selbstdarstellungen des Festivals, der Porno komme langsam, aber sicher aus der Schmuddelecke heraus. Das bedeutet dann entweder, der Porno ist plötzlich Kunst, oder aber Arbeit. Beides fordert seinen Preis.
Jeder wird hier irgendwie aktiv. Wie in einem Unternehmen werde ich aufgefordert, mitzumachen: »Eure Mitarbeit ist gewünscht.« Man will mich. Aber man will mich kollektiv: »Durch dieses kollektive Erlebnis wird die Erfahrung von den privaten Eins-zu-Eins-Spielen entkoppelt und in die Erfahrungsräume von ZuschauerInnen und PerformerInnen im Theater transformiert.« Das Problem, nicht in der nachbarschaftlichen Masse masturbieren zu wollen, scheinen jedoch auch andere zu kennen, deshalb nutzt man ja das Internet, dort kann ich eine imaginäre Identität »performen«. Mir wird gesagt, dass das nicht nur wegen der Scham günstig sei, sondern dass meine virtuelle Identität viel tiefgründiger sei als meine echte. Leider bin ich nicht in der Lage zu sagen, was meine echte und was meine imaginäre Persönlichkeit ist, jedenfalls sind beide nicht erst mit dem Internet aus- oder zueinander gekommen. Tiefgründig, das ist ein Lieblingswort der deutschen Kulturindustrie, die ohne das Pathos narzisstischer, oft esoterischer Selbsterfahrung nicht auskommt und das Publikum damit ködert, dass hier »Grenzen überschritten« würden. Das ist das Versprechen der Pornotopia seit jeher, nur soll es hier in echt passieren.
Es beruhigt ungemein, dass das, was ich aus irgendwelchen Gründen nicht sein kann, in echt, tief in mir drin, bereits steckt und jetzt nur noch zum Zug kommen muss. »In diesem ›Cyber‹-raum und in diesem ›Theater‹-raum können die Menschen füreinander performen, können Ideen, Phantasien und Lust austauschen.« Ich bin da skeptisch, ich tausche meine Phantasien, Ideen und Lüste gerne mit bestimmten Menschen aus, ja es soll sogar vorkommen, dass Lust und Ideen und Phantasien von diesen bestimmten Menschen abhängen. Ob das ein Tausch ist, weiß ich nicht, beim Tausch weiß ich vorher, was ich bekomme, und meistens kann ich mir irgendetwas nicht leisten. Gekoppelt – wohl das neue Wort für virtuelles Kopulieren – habe ich noch nie, ich kenne mich noch nicht als affektiven Schaltkreis. Es heißt, die Performance biete mir die Möglichkeit, die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum zu überschreiten. War das nicht die Crux der postfordistischen Arbeitsbedingungen, »Lust und Laster der informellen Arbeit«? Das Programm kapriziert sich in technizistisch-esoterischer Sprache auf die Überschreitung der Grenzen von Kunst und Leben, Performance und Leben, als sei das Avantgarde.
Realismus ist vor allem ein Desiderat des alternativen Pornos. Die Regisseurin Jennifer Lyon Bell möchte mit ihrem »feministischen« Porno »Des Jours plus belles que la Nuit« die Diskrepanz zwischen ästhetisierender Darstellung des Pornos und realem Sex aufheben. Ohne Schnitt zeigt sie den Sex eines Paares. Ist es wirklich nicht zu begreifen, dass der Porno das Erlebnis von Sex weder ersetzen, noch diesen Sex ohne ästhetische Tricks simulieren kann? Warum verortet sich gerade der »alternative« Porno, hier der feministische, im Antiästhetischen und bleibt doch Porno, nur eben langweiliger? Inwiefern widerspricht eine auf einem weißen Flokati sich räkelnde Lesbe, die eine Prinzessin sein will und ihre Finger nicht von Frauen lassen kann, dem Mainstream?
Das Pornfilmfestival wäre nicht das Pornfilmfestival, wenn es nicht auch Dokumentationen und Spielfilme rund um den Sex zeigen würde, die nicht explizit pornographisch sind. Porno bedeutet dann nicht mehr in erster Linie Erregung von Lust, sondern Darstellung von Sexua­lität überhaupt, die mit einem Porno eigentlich nichts zu tun hat, außer in den Augen der Zensurbehörden. Auch hier dreht sich alles darum, Grenzen zu überschreiten. Gespannt bin ich auf den transsexuellen Superheldenfilm »Madame X« und auf die Satire über eine muslimische Domina. Ich browse weiter, jetzt in der Rubrik Dokumentationen, und frage mich, ob die Darstellung der alltäglichen Unterdrückung von Frauen in islamisch regierten Ländern ein zu großes Tabu ist. Auch durch diese Rubrik zieht sich die Rethorik des Echten. Kategorie »Sexwork«: Rosa von Praunheim zeigt einen neuen Film über »Die Jungs vom Bahnhof Zoo«, »schonungslos und authentisch«, »der Film geht dahin, wo es wehtut«. Der Übergang zum Porno ist auch auf der anderen Seite fließend, eine Dokumentation handelt vom Tagebuch eines Mannes, der Sperma in seinem Arsch sammelt. Ein Roadmovie über die biographische Enthüllungsgeschichte einer Intersexuellen trägt den Titel »Orchids – My Intersex Adventures«. Ein Dokumentarfilm über den Feminismus portraitiert die Pro-Sex-Bewegung, Beatriz Preciado, Annie Sprinkle etc. Klar ist laut Programm, dass dies eine feministische Revolution gewesen sei. Über die Arbeit im Pornobusiness, gerade auch im »Mainstreamporno«, erfährt man aber kaum etwas. Medium und Produktionsbedingungen bleiben weitgehend stumm. Vielmehr tritt der Film und mit ihm der Porno als Mittel authen­tischer Repräsentation auf, ein Instrument in den Händen von »uns«. Sehr scheint man bedacht zu sein auf die erfolgreiche, vitale Repräsentation des eigenen Sexes, des authentischen Selbst, der Echtheit und des Schmerzes. Vielleicht ist der Porno for good and for bad aus der »Schmuddel­ecke« raus, aber genau deshalb ist er auch nicht »unser« Lieblingskind. Er und die Bedürfnisse, die sich mit ihm verbinden, bleiben Gegenstand des Streits. Vielleicht geht es auch darum, in der Pornopause.
Christiane Ketteler

A Look at Myself
Was ist Pornographie? Pornographie als Darstellung von Sex muss nicht erregend sein. Pornographie in der Alltagsdefinition aber dient der Erregung und kann dies mit »schönen«, jedoch ebenso mit »hässlichen« Bildern tun. Schaut man sich gängige Pornos mit distanziertem Blick an, machen sie beide Geschlechter lächerlich, wobei der Mann oft noch immer die machtvollere Rolle innehat und Frauen sexuell »benutzt«. Dennoch können einzelne Bilder auch aus »hässlichen« Pornos für sich betrachtet »schön« sein. Auch immer mehr Frauen produzieren und ­genießen Pornofilme, erotische Bilder und Texte, wobei »erotisch« nicht heißt, dass sie nicht deutlich sein können.
Was ist Schönheit? Es gibt Untersuchungen, die den Begriff der Schönheit stark an die jeweilige Zeit und deren Veränderung binden: Geschnürte Taillen, quellende Formen, androgyne Männer, Muskelbullen, bis hin zum magersüchtigen Model heutiger Zeit, das vielleicht kindliche Verfügbarkeit der bedrohlichen Weiblichkeit suggerieren soll und in diesem Fall politisch zu bekämpfen wäre. Blättere ich durch den neuen Fotoband »A Look at Myself« von Thomas Karsten, berührt mich die abgebildete Lust. Einzelne Bilder aus diesem Buch zaubern mir Erregung ins Hirn. Dennoch erregen mich Bilder nicht oft. Viele sind mir zu verkrampft oder angestrengt ernst. Oder man sieht zu deutlich, dass die abgebildeten oder gefilmten Menschen nicht bei der Sache sind, es nur für den außenstehenden Blick tun. Andere Bilder, wie die von Anja Müller, finde ich wunderschön und auch sehr erotisch, aber sie erregen mich nicht.
Die Lust einiger der Frauen und der (auch im Leben, nicht nur fürs Bild) lesbischen Paare aus »A Look at Myself« springt mich hingegen fröhlich an, unverkrampft, ungestellt. Sie schauen mich, zugleich sich an, sind ernst, vergnügt, frech oder schüchtern – und lustvoll erregt durch den Kamerablick. Diese Bilder sind »schön« für mich. Doch schon, wenn ich mit wenigen anderen zusammen pornographische Szenen anschaue, gibt es Differenzen. So haben wir einmal in einer kleinen Gruppe Bilder ausgesucht und begründet, warum wir welche schön und die gleichen oder andere erregend fanden.Wir fragten uns auch, ob es noch immer einen Unterschied zwischen »männlichem« und »weiblichem« Blick gibt. Ist der »weibliche« Blick (der natürlich auch Männern zugehören kann, wie der »männliche« zu Frauen), noch immer der von Simone de Beauvoir beschriebene, die Grenzen zwischen »ich« und anderen auflösende »Spiegelblick«, und der »männliche« der Distanz schaffende, die Welt in analysierbare Häppchen zerteilende »Voyeursblick«?
Wie vieles, das mit Sex zu tun hat, ist dasselbe in der einen Situation erregend, in einer anderen eklig, zudringlich oder gar gewalttätig. In dem Moment, in dem mich Filmszene, Bild, Textstelle als »Pornographie« erregen, spielt immer ein Kosmos von Erinnerungen mit hinein. An private erregende Sekunden. Und auf der anderen Seite der imaginäre »Topf«, von dem Susan Sonntag geschrieben hat, aus harten, oft surrealen sexuellen Bildern, die ich nicht in die Wirklichkeit übertragen sehen möchte, die ich aber brauche, um den Körper in jenen »schönen« Zustand der Erregung zu versetzen, ohne dass eine geliebte Person mich anpackt, ihn durch harte oder zarte Berührungen stimuliert. Insofern wird es immer Bilder geben, die viele erregen, und andere, die nur mich erregen.
Claudia Gehrke
Claudia Gehrke leitet den Konkursbuch-Verlag und gibt dort das »Jahrbuch der Erotik« heraus, dessen 26. Band »Mein heimliches Auge« soeben erschienen ist.

Mäßig freies Spiel
Man soll ja immer möglichst ehrlich sein, wenn man über sich selbst schreibt. Also bin ich das jetzt mal. Ich hab ein Geständnis zu machen. Es ist mir ein bisschen peinlich, aber Pornographie ist mir ziemlich egal. Obwohl, egal ist vielleicht nicht das richtige Wort: Das Thema scheint mir reichlich abstrakt zu sein. Das trifft es vielleicht besser. Porno ist für mich wie Free Jazz. Ich finde gut, dass es das gibt, finde keinen richtigen Zugang dazu und mache es nach zwei Minuten aus, weil mir langweilig wird oder mich die Geräusche stören.
Nicht, dass mich jetzt jemand falsch versteht, ich hab nichts gegen Pornos. Schon früher, als es in meinem Freundeskreis noch PorNo statt, wie heute, ständig PorYes hieß, konnte ich mich nie so richtig aufregen. So wie ich mich heute nicht so richtig begeistern kann. Neulich las ich auf einer Internetseite von den Gefahren, die von Pornographie im Internet für Frauen, also auch für mich, ausgehen. Der Text warnte mich, dass ich um soundso viel Prozent stärker gefährdet sei, über die operative Verschönerung eines meiner Körperteile nachzudenken, wenn ich soundso viele Stunden täglich im Internet verbringen würde. Das Internet sei voll mit Seiten, auf denen Frauen nackt und aufreizend auftreten, und je länger ich im Internet sei, desto lieber würde ich aussehen wollen wie die und darüber nachdenken, ob mein Freund meinen Ist-Zustand im Vergleich mit dem der Pornodarstellerinnen noch ertragen kann.
Das trifft einerseits natürlich voll auf mich zu. Ich bin sogar noch länger und öfter im Internet, also höchstgradig gefährdet. Andererseits gibt es hier gleich ein doppeltes Problem: Erstens lande ich sehr selten zufällig auf Pornoseiten. Das Internet gibt jene Websites, vor denen mich die Bundesministerinnen warnen, ja selten einfach so frei. Zweitens, und ich finde es jetzt schon ein bisschen traurig, dass ich das fragen muss, wo ich mich im Gegensatz zu Euch allen doch gar nicht für Pornos interessiere, aber: Habt Ihr überhaupt schon mal Pornos geschaut? Eher wenige Frauen sehen dort so aus. Heute ist es ja so, dass es für jeden Betrachter eine eigene Schönheit, also für jeden Pornozuschauer auch eine eigene Sexyness gibt. Daher ist es gar nicht mehr möglich, über »den« Porno oder »das« Schönheitsideal zu reden. Aber ich denke, dass das für den Porno schon immer mehr gegolten hat als für die gewöhnliche Unterhaltungsindustrie. Ich finde, im Fernsehen sehen die Leute viel gleicher aus als auf den Pornoseiten oder den DVDs in den Pornoregalen. Es gibt in Pornos auch viel mehr Dicke, weil manche das halt geil finden. Dass die Mehrheit es trotzdem nicht schön findet, ist eher ein Film- und Fernseh- als ein Pornoproblem.
Natasha Walters beschreibt in ihrem Buch »Living Dolls«, wie die Welt der Pornos in die normale Welt der Frauen eingezogen ist. Ich glaube, Reality-TV-Shows wie »Real Housewifes of Orange County«, Sternchen wie Paris Hilton oder Serien wie »Sex and the City« haben mehr für die Entstehung vermeintlicher Porno-Schönheitsideale getan als der Porno selbst. Ich denke wirklich, Frauen lernen Pole-Dancing, weil Kim Kardashian das tut, und nicht, weil Pole-Tänzerinnen diesen Beruf ausüben. Vielleicht sollte man eine Umfrage vor einem Waxing Studio machen: Lassen Sie sich ein Bikini-Waxing verpassen, weil Sie das Gefühl haben, Sie können sonst nicht mit den Frauen auf Redtube mithalten, oder weil alle Ihre Freundinnen untenrum gerne aussehen wollen wie Carrie Bradshaw? Ich weiß es natürlich nicht, aber ich würde behaupten: Die letzte wäre die häufigere Antwort.
Was den Porno für mich mittlerweile vom Free Jazz unterscheidet, ist, wie sehr er mir auf die Nerven geht. Nicht, dass mich jemand falsch versteht, mir gehen nicht die Leute auf die Nerven, die Pornos schauen oder drehen. Mir geht der Porno auf die Nerven, weil er die letzte noch nicht komplett bespielte popkulturelle Projektionsfläche ist. Die einen schreien ständig: Er verdirbt unser Ästhetikverständnis. Die anderen schreien: Nein, er befreit mich als Frau. Ich glaube, der Porno kann einiges, aber das alles kann er nicht. Aber das werden sie erst feststellen, wenn sie ihn zu Tode analysiert haben und er wieder da ist, wo er hingehört. Bei seinen Fans, also denen, die ihn mögen, aber nicht jeden Tag in meinem Wohnzimmer. Wie der Free Jazz. Der wird bei mir zu Hause auch nicht oft aufgelegt.
Nina Scholz

Als Video noch Latein war
Es gibt keine kritische Theorie der Pornographie. Horkheimer und Adorno haben sich nicht mit ihr beschäftigt, weil ihnen ihre Ablehnung so selbstverständlich war wie die Verachtung von Jazz oder Heftchenromanen mit Happy End. Greifbar war sie ohnehin fast nur in der putzig-libertären Form des Schulmädchen- oder Hausfrauen-Reports, die heute selbst als Relikte aus einer sinnesfreundlichen Epoche erscheinen. In Erinnerung geblieben ist der Satz, dass Kunst asketisch und schamlos, Kulturindustrie aber pornographisch und prüde sei. Seines Zusammenhangs beraubt, taugt er gleichermaßen als kulturkritische Sentenz über die »Pornographisierung« des Alltags wie als Beweismittel im genderpolitischen Indizienprozess gegen seine Urheber. Dass in nicht allzu ferner Zukunft eine Zeit anbrechen sollte, die den Eros als anachronistisch und sentimental verfemen, den Porno aber als authentische Befreiung des zum Sex verharmlosten Sexus feiern würde, konnten sie nicht ahnen. Die Einheit von Askese und Ekstase, Selbstzurücknahme und Selbstüberschreitung, welche die Formel von der pornographischen Prüderie negativ in Erinnerung ruft, lebt heute, da das klösterliche Leben für die von ihrem eigenen Stumpfsinn gestressten Single-Monaden zu einer »Option« und der Rausch zum leistungssteigernden Therapeutikum geworden ist, nur in rudimentären, der Lächerlichkeit preisgegebenen Formen fort. Es herrscht eine protestantische Sachlichkeit vor, die statt Askese Verzicht, statt Ekstase das besinnungslose Abfeiern der eigenen Banalität und Hässlichkeit predigt. In ihr konvergieren praktische Ethik und Gewalt. Das Ficken, das den sexuellen Akt als einen Akt von Rohheit und Indifferenz bezeichnet, ist als naturalistische Beschreibung kruder Physis zum sexuell korrekten Leitbegriff avanciert, auf den sich alle einigen können, weil sein stupider Erfahrungsgehalt jedem aus der eigenen Deprimation bekannt ist. Das Miteinanderschlafen dagegen wird als verschämter Euphemismus denunziert, weil es die Erinnerung daran wachhält, dass der Sexus nicht allein die Ekstase, sondern auch die glückliche Ruhe kennt und die Liebenden die Nacht nicht durchmachen, sondern sich in ihr verträumen.
Eine Kritik der Pornographie müsste sie, statt ihre angebliche Unmoral anzuprangern, die bürgerlicher Ehe- und linker Kommunenhygiene allemal vorzuziehen wäre, als Ausdruck einer Ideologie der Nacktheit entziffern, die den sinnlichen Leib an den neutralisierten Körper verrät. Pornographie kennt den Trieb so wenig wie den Geist als dessen Sublimationsform. Weil die Nacktheit, die sie ausstellt, jeder Intimität beraubt ist, fehlt ihr die Kraft der Verführung, die sich nur im spannungsvollen Widerspruch zwischen Zurschaustellung und Heimlichkeit entfalten kann. Pornographie hingegen macht ihrer immanenten Form nach die Körper der Menschen bereits den Geräten gleich, mit denen jene im neueren Porno denn auch herumfuhrwerken dürfen. Wo sie als Ausdruck einer geheimnis- und glücklosen Welt zu sich selbst kommt, in der das Hamsterrad der Bedürfnisbefriedigung am Laufen gehalten wird, obwohl kein Mensch mehr von irgendeinem anderen etwas erwartet, kann Pornographie ästhetische Authentizität gewinnen. Wo sie als Ausweg aus der sexuellen Misere halluziniert wird, deren Wirkungen niemand mehr an sich selbst auch nur bemerken will, verkommt sie zur Propaganda. Und trotzdem gibt es nur noch sie, kein Besseres lässt sich als positiv gegeben behaupten. Die sexuelle Utopie wandert ein in die melancholische Erinnerung an eine heimkinolose Zeit, die keineswegs gut, aber mitunter besser war, weil sie Erfahrungen ermöglichte, die heute verstellt sind: »Das ist schon lange her … /Wir waren so unbeschwert/Sogar beim Geschlechtsverkehr.« (Funny van Dannen)
Magnus Klaue

Schwule Mädchen
Der ejakulierende Penis ist das zentrale Motiv der zeitgenössischen heterosexuellen Hardcore-Pornographie. Pornos zu sehen, heißt in aller Regel, erigierte Glieder beim Samenerguss zu beobachten. In der Choreographie des pornographischen Films oder Videoclips stellt der sogenannte Cumshot, die filmische Dokumenta­tion der männlichen Ejakulation, den beinahe unvermeidlichen Höhe- und Endpunkt dar. Dies ergibt sich aus dem Bemühen der Hardcore-Pornographie, sexuelle Handlungen als physische Akte unmittelbar zu dokumentieren und dabei möglichst nichts der Phantasie zu überlassen. In der Darstellung des Koitus muss die Penetration direkt abgebildet werden, um die »Echtheit« des Geschehens zu verbürgen. Dementsprechend darf auch der Samenerguss als physische Manifestation des männlichen Orgasmus der Sichtbarkeit nicht entzogen bleiben.
Der Cumshot widerlegt die Behauptung, die Inhalte pornographischer Filme entsprächen direkt den sexuellen Phantasien ihrer Konsumenten. Denn der coitus interruptus wurde als notdürftige Verhütungsmethode früher zwar häufig, aber nur mit Widerstreben und Bedauern praktiziert; ganz sicher ist es keine verbreitete männliche Sexualphantasie, den Geschlechtsakt kurz vor dem Orgasmus zu unterbrechen, um diesen mit der eigenen Hand herbeizuführen. Interessant ist auch, dass die hierbei in der Regel nur als dekorative Kulisse fungierende Frau konventionellerweise ihr Gesicht – und nicht etwa Vulva, Hintern oder Busen – als Ejakulationsunterlage darzubieten hat.
Wie aber kommt es, dass das mutmaßlich homophobe männliche Publikum der Mainstream-Hetero-Pornographie sich ausgerechnet am schwulsten aller denkbaren Motive, am erigierten und ejakulierenden Penis aufgeilt? Auf Anhieb wird man annehmen, dass beim Betrachten von Pornos die Identifikation mit dem männlichen Darsteller den homophoben Reflex außer Kraft setzt. Aber zum einen nimmt gerade die Mainstream-Pornographie ostentativ Abstand von jedem Versuch, ihre Protagonisten als Identifikationsfiguren darzustellen. Vor allem aber verblasst die scheinbare Plausibilität der Identi­fikationsthese angesichts von endlosen Reihen samenversprühender Glieder, welche die Pornofilme ihren Betrachtern in offenkundig fetischistischer Weise präsentieren. Man sieht dicke und dünne, hell- und dunkelhäutige, lange und kurze, nach links, rechts, oben und unten gebogene, beschnittene und unbeschnittene – und erstaunlich oft auch phimotische – Penisse, wie sie unaufhörlich Ejakulat absondern, mal mehr tropfend, mal mehr spritzend. Die hierfür als Unterlage dienende Frau wirkt schon durch ihre mangelnde Beteiligung am Geschehen wie Staffage. Diente einst das biblische Motiv von Adam und Eva als Entschuldigung, um Nacktheit darzustellen, so dient im heutigen Pornofilm die weibliche Darstellerin als Entschuldigung, um sich am Anblick ejakulierender Penisse zu ergötzen.
Noch einen Schritt weiter gehen die pornographischen Subgenres des Gangbang und des Bukkake. Hier steht meist eine einzelne Frau im Zentrum, an der zahllose Männer vorüberziehen, um nacheinander mit ihr zu koitieren oder ihr ins Gesicht zu ejakulieren. Sowohl das abgebildete Geschehen als auch dessen filmische Darstellung erzwingen beinahe eine Identifikation mit der weiblichen Protagonistin, und nicht mit den anonymen, oft überhaupt nur mit ihrer Körpermitte ins Sichtfeld geratenden Männerhorden. Schließlich agiert diese Frau auch eindeutig männlich kodierte Sexualphantasien aus: quantitativ unbegrenzte sexuelle Potenz und massenhaftes, rein physisches Begehrtwerden. Der sexuelle Reiz liegt hier offenkundig nicht in der imaginierten Identifikation mit dem namenlosen männlichen »Spritzvieh« (Pornofilmer­slang), sondern in der Identifikation mit der weiblichen Protagonistin und der ihr projektiv zugeschriebenen Lust. Die ultimative Verkörperung der männlichen Sexualphantasie ist keineswegs der muskelbepackte, dauergeile Testosteronbulle, sondern vielmehr die den männlichen Blick kanalisierende, sich an der Lust der sie umringenden Schwänze labende Schlampe, das schwule Mädchen.
Oliver Schott

Scham und Pein
Die Scham reguliert den Abstand zwischen uns und den Anderen. Sie ist ein konstituierender Faktor unserer psychosexuellen Identität, daher ist es falsch, wenn nicht verheerend, Schamfreiheit abstrakt als wünschenswert zu proklamieren. Das viktorianische Zeitalter ist schon lange vorbei. Seither ist es abwegig, Scham nur als einen Effekt repressiver Normen zu verstehen. Solche Kritik zielt nur auf die Oberfläche, unter der die Scham als eine Größe bestehen blieb, die notwendig und kostbar ist für unsere Ich-Konstitution. Wenn wir dem Paradoxon des Sexuellen und dem Rätsel des sinnlichen Glücks seit den repressiveren fünfziger Jahren auch nicht wirklich näher gekommen sind, das Verhältnis der Frauen zu ihrem Körper hat sich in dieser Zeit enorm verändert, es steht mittlerweile fern des Diktats der Scham.
In der französischen Sprache existieren zwei verschiedene Worte für Scham: la pudeur, was Scham als konstituierende Schutzhülle des Individuums, und la honte, was die Pein meint, für die es sich zu schämen gilt. Die deutsche Sprache, die nur das eine Wort kennt, hat die honte verabsolutiert und die Kostbarkeit der pudeur vergessen lassen. Bei den Forderungen nach einer Lust ohne Zensur wird übersehen, dass wir nicht nur aus Lust bestehen, sondern auch die Sehnsucht und das Recht haben, uns dem Ansturm der Lusterwartungen zu verweigern. Diese Verweigerung wird dann selbst als Ausdruck von honte missdeutet. Die Gesten der Scham bedeuten jedoch nicht nur »Nein danke«. Als pudeur bildet die Scham vielmehr eine notwendige Voraussetzung unserer physischen wie psychischen Unversehrtheit.
Die Liebe entrückt und isoliert uns besser von der empirischen Wirklichkeit als irgendeine Droge, und wahrscheinlich ist es dieses Abgeschottetsein, dieses Aufgehobensein, das auch der Süchtige immer wieder verspüren will. Bei allen Kapriolen, die wir unserem Körper in diesem Zustand ebenso gönnen wie auch zumuten, gibt es jedoch immer eine unsichtbare Schranke zwischen dem Anderen und dem Selbst, ein unsichtbares Etwas scheint uns noch im Selbstverlust des Rauschs zu schützen. Dieses Etwas ist die Scham.
Unsere Scham wacht noch bei unseren intimsten Begegnungen. Sie ist nicht verhandelbar. Sie vertritt unsere wahrsten Interessen. Schon vor Marx und Freud entsteht der Traum, den unproduktiven und lästigen Gegensatz zwischen Liebe und Arbeit zu überwinden. Im frühen 19. Jahrhundert hat Charles Fourier die Scham als Kleingeistigkeit verflucht. Vehement griff er die zivilisierten Sitten an, bezichtigte die Scham der Heuchelei und blanken Unterdrückung. Fourier entwarf stattdessen eine obskure Utopie, den Phalanstère, eine Art Wohngenossenschaft, in der das Kollektiv keine Scham mehr kennen sollte. Er hat uns damit eine dörfliche Utopie der Befreiung hinterlassen, die mehrfach neu aufgelegt worden ist, bis der späte Wilhelm Reich die Menschheit schließlich mit Besessenheit in den Orgasmus martern wollte. Wir verzeihen ihnen. Es war gut gemeint, aber absurd.
Im neunzehnten Jahrhundert wurde die weibliche Scham im Lichte der Ordnung gedeutet, der Ordnung der Sitten, der Logik der Moral. Die Scham hielt die Menschen gut in Schach. Die Furcht, schwanger zu werden, schwebte noch bis jüngst über dem Leben der Frauen und hielt sie in Angst vor der sexuellen Begegnung mit dem Mann. Die Kirche steuerte ihre Mythen von Reinheit bei, und das Frauenideal verharrte für ewige Jahrhunderte in Demut und Keuschheit. Die Last dieser Eiszeit hat die sexuelle Zurückhaltung von Frauen als so selbstverständlich erscheinen lassen, dass der Wandel dieses Verhaltens für Verängstigung sorgte. Man sprach gar von Revolution. Die Angst, die Frauen in sich trugen, wurde über Jahrhunderte in Bildern der Zurückhaltung tradiert, die ihrerseits als »schamvoll« gepriesen wurde. Instinktive Furcht und ein Hang zur Verheimlichung ließen das Weib landläufig mit gesenktem Blick auftreten: Mit roten Wangen, sich zierend, gar fliehend, durfte die Frau nichts wollen und musste sich auch noch dafür schämen, dass der Mann es von ihr wollte.
Heute dagegen scheint alles auf den Kopf gestellt zu sein, es herrscht eine Gier nach Enthüllung, die viele schon so weit erfasst hat, dass sie gar nicht mehr die Aufforderungen obszöner Berichterstatter benötigen, um selbst auf die Bühne zu steigen. Dort triumphieren sie vor dem Publikum der Voyeure. Es stiert die an, die gekommen sind, um sich zu verschleudern, bis das kollektive Gelächter ihren kleinen Selbstmord besiegelt. Die Scham wurde gehäutet, ihrer Funktion als Schutzhülle beraubt. Ist die Abwesenheit der pudeur, die den Zwangscharakter der honte dennoch nicht aufgehoben hat, womöglich eine Art von Selbstverletzung? Seit dreißig Jahren traktieren erst die sexuelle Revolution, dann die »Neosexualitäten« die Scham, die kaum ein Versteck mehr findet. Im Windschatten von Diskussionen über Pädophilie, Nekrophilie, Misogynie etablieren sich Cybersex, Swingerclubs, Chatkulturen und inszenieren für unsere fortbestehende Einsamkeit vergebliche Zerstreuungen.
In der Geste von Demut, die Scham als pudeur zeigt, wird höflich der Andere aufgehalten: Halt, bitte nicht weiter. Die Scham sagt »bitte«. Das trägt dazu bei, dass sie als altmodisch missverstanden wird. Höflichkeit jedoch ist eine Tugend, die Scham ist es nicht. Sie konstituiert unsere Grenzen und gestaltet das Areal, auf dem wir bereit sind, dem Anderen zu begegnen oder uns ihm hinzugeben. Sie schützt unser Geheimnis und umhüllt unsere Eigenliebe. Sie bringt den Charme einer Person zum Ausdruck, die auf sich achtet. Wie die zartesten Zeugnisse erotischer Kunst veranschaulichen, versucht die Scham, der Vergeblichkeit, die der sexuellen Vereinigung beiwohnt, einen Aufschub zu gewähren.
Als pudeur ist die Scham verwandt mit der Melancholie. Deshalb gestaltet sich in der Regel erotische Kunst nicht schreiend und plakativ, sondern kleinformatig. Hier gibt es so gut wie keine großen Bilder. Denn schon beim Betrachten rührt das erotische Bild selbst unsere Scham an. Ein zu großes Format, und wir fühlten uns angegriffen und würden den Raum sofort wieder verlassen wollen. Wir werden rot. Wie das freundliche Lachen, wenn jemand strauchelt, das Missgeschick zu korrigieren sucht, korrigiert das Rotwerden unsere Verletzung in Anbetracht der Nacktheit, wenn sich Schamlosigkeit uns aufdrängt. Geschweige denn, wenn wir vor einem Menschen stehen, der uns anschaut. Der direkte Blick kann eine Aufforderung zum Duell sein. Der Frechheit, die ein Mensch besitzt, der einen allzu beharrlich anschaut, kann kaum standgehalten werden. Ausweichen ist aufregender – und dem Balanceakt von lebendigen Begegnungen angemessener.
Mit den »Gefährlichen Liebschaften«, zur Geburtsstunde des neuzeitlichen Individuums, hatte Laclos die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, wir könnten unser Handeln steuern, gar mit Vorsatz unsere Leidenschaft lenken: einmal daran glauben wollen, unsere Willenstärke könne uns vor Verletzungen schützen. Aber es kam anders. In fiebrigen Halluzinationen suchen wir seither Schleichwege, Auswege aus dieser Verlusterfahrung. Und dabei bleibt bemerkenswert: Das Laster macht glücklicher als die Tugend, weil ich großartig bin und weil ich alles will.
Inzwischen wringt die Sehnsucht die Tränen des Eros aus einem nassgeheulten Leichentuch, der Teufel bleckt die Zähne und schaut uns nach, wie wir davontaumeln.
Isabelle Azoulay
Isabelle Azoulay ist Soziologin und hat bei Volkmar Sigusch promoviert. Sie ist Autorin des Buches »Schmerz. Die Entzauberung eines Mythos« (Aufbau Verlag).

Pansexistische Grammatik»I can’t define pornography, but I know it when I see it.«Richter Potter Stewart im Verfahren Jacobellis vs. Ohio über Louis Malles Film »Les Amants« (1964)

a.
Aus der Kunst der Beleidigung ist ein Denunziationshandwerk geworden, das Götz von Berlichingen wenigstens noch beherrschte. Heute ist es mit dem »gesittet ›Pfui!‹«-Sagen vorbei. Sottisen, Affronts und Invektiven sind tote Waisenkinder gegen die vernichtungswilligen Grobschlächtereien, die an ihre Stelle traten und deren Heimstatt, als härenes Sprachkleid der Pornographie, die Fäkalsprache bildet.
»Das, der, die ist voll porno!« erbricht sich der halb begeistert, halb wütend Erregte, und man meint neben der Mischung aus Affirmation und Verachtung seinen Hass auf die hinderliche Sprache zu vernehmen, die nur als schlechter, dazu noch unsterblicher Stellvertreter von Totschlag und Umarmung zu haben ist. Im Modus des Ordinären wird die Sprache zur Ersatzhandlung par excellence.
b.
»Fick dich!«, »Leck mich!«, »Schwanzlutscher!« sind Missbilligungsbekundungen in Fluchgestalt und zählen zum sprachlichen Routinearsenal derer, die in Standardsituationen unmittelbar reagieren, sei es im inneren Dialog, beim Chef, auf der Straße oder im Stoßgebet, wo Hass und Lust und Angst nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Wie die Dinge liegen, können Flüche zugleich Ehrerbietungsbezeugungen in bizarrer Koseform sein. Der Sexus stimmt milde oder obszön; aus der Sprache ist diese Differenz getilgt.
c.
Ans genus humile grenzt abschüssig die Vulgärsprache. Die Gosse ist ihr Ozean, ihre Abgründe tun sich in Pfützen auf. Sie spricht nicht, sie exekutiert. Ihre Domäne ist nicht die komplexe Tirade, sondern der lakonische Sprengsatz. In der Orgie des Überdrusses entlädt sich die Wortohrfeige als Orgasmus ohne Erlösung, Epigrammatik des Kurze-Fuffzig-Machens.
d.
»Liebt er dich noch oder leckt er dich schon?« – Immer geht es gleich auf die Schamteile der Dinge, der Informationen und der Anderen zu. Ein Gespräch dominiert, wer befugt, willens und in der Lage ist, es abrupt zu beenden oder neu zu bestimmen. Manche verstehen sich darauf, noch den sachlichsten Gesprächsinhalten eine pornographische Note zu verleihen. Eines Kalauers wegen erfährt das Gespräch eine Wendung zum Geschlechtlichen, um im Abtritt verblüfften Grinsens zu versinken; ein rhetorischer Kniff, den heute jeder beherrscht: die Kunst des gröbsten Übergangs.
e.
John Clelands »Fanny Hill« oder die Schriften des Marquis de Sade locken keinen Abgefeimten hinterm Paravant hervor; Libertinage ist Zinnober, Erotomanie Humbug. Die Erzeugung schmerzlindernder Geilheit ist keine Domäne der Literatur mehr, sondern Teil des ikonographischen Betriebs, der den umstandslosen Einbruch des unverklärten Bildes ins zentrale Nervensystem besorgt. Für die entfesselte Fadheit pornographischer Claims scheint sich die Sprache rächen zu wollen, indem sie die Höhenzüge des Sinnlichen mit den Attributen der Kloake, der Niedertracht und Verzweiflung versieht und nur anfeuernd wirksam ist, der Sprechende akklamiert sich selbst.
f.
Angesichts immer obszöner sich darbietender sozialer Umstände verschlägt es nicht nur den unmittelbar Betroffenen die Sprache. In dem französischen Film »Themroc« von 1973 ist die Einsilbigkeit der gar nicht so komplexen spätkapitalistischen Gesellschaft, ihr Anachronistisches und mörderisch Akzidentelles auf den filmischen Begriff gebracht. Dieser Tonfilm kommt, wie sein sozialpornographischer Plot, mit zwei Silben aus: »Rocthem«/«Themroc«. Die onomatopoetische Absage an den ubiquitären Schweinestall, mit dem man sich gleichwohl gern gemein macht, hat keinen Adressaten und keine Semantik mehr. Die gesellschaftlich verordnete Lust am Spektakel macht irre oder schweigsam. Jugend hat hierfür ein Organ, sie nennt den Vorgang pathischer Rationalisierung »einen Film schieben«. Dass all diese Filme »porno« sind, ist stillschweigend vorausgesetzt. Der exoterische Rest der esoterischen Rede ist Gerede, Reprise des Geredes, so oft repetiert, wie der Porno den Akt wiederholt. Das »Ich ficke« muss alle meine Vorstellungen begleiten können.
Aber noch als Tier hat der Mensch Sprache.
Ralf Frodermann
Ralf Frodermann lehrt experimentelle Genderkombinatorik am Institut für Begradigung der Universität Bockwurst.