Danilo Rueda im Gespräch über die Peace Brigades International in Kolumbien

»Die internationale Präsenz ist wichtig«

Der 47jährige Journalist Danilo Rueda ist Koordinator der ökumenischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (CIJP). Sie setzt sich in Kolumbien für die Wahrung der Menschenrechte ein, vor allem unterstützt sie indigene und afrokolumbianische Gemeinden, die unter dem innerkolumbianischen bewaffneten Konflikt leiden. Da Rueda wegen seiner Tätigkeit bereits zahlreiche Morddrohungen von Paramilitärs erhalten hat, ist er auf die Begleitung durch Freiwillige der Peace Brigades International (PBI) angewiesen. Seit 1981 begleiten international zusammengesetzte Teams Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler sowie andere friedliche Aktivistinnen und Aktivisten bei ihrem Einsatz für eine gewaltfreie Konfliktlösung in Krisengebieten. An der Konferenz zum 30. Jahrestag der Gründung der PBI Ende Oktober nahm auch Rueda teil. Die Jungle World sprach mit ihm über die Zusammenarbeit zwischen der CIJP und den PBI und die Menschenrechtssituation in Kolumbien.

Welche Bedeutung haben die PBI für Ihre Arbeit in Kolumbien?
Die Präsenz der Friedensbrigaden ist für uns von Anfang an sehr wichtig gewesen. Mit der Ankunft des ersten Teams, das begonnen hat, Menschenrechtler, Anwälte, aber auch Dorfgemeinschaften zu begleiten, drangen die Probleme, die Verbrechen, mit denen wir hier in Kolumbien konfrontiert werden, nach außen und wurden international sichtbarer. Das ist ein sehr wichtiges Element der Arbeit der PBI, denn so kommt Licht in das Dunkel der Straflosigkeit. Das hilft denjenigen, die versuchen, die Menschenrechte in diesem Land zu verteidigen.
Werden Sie persönlich und die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (CIJP) als Verteidiger der Menschenrechte dadurch international glaubwürdiger?
Ganz bestimmt. Die Vorurteile und die Stigmatisierung, mit denen uns begegnet wurde, haben nachgelassen. Die kolumbianische Regierung verfolgt die Strategie, soziale Organisationen und die politische Opposition zu verleumden und unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Daher ist die politische Arbeit der PBI, die Weitergabe von handfesten Informationen an das internationale Netz der Unterstützer, für uns sehr wertvoll.
Seit wann arbeiten die PBI und die Kommission zusammen?
Seit Mitte der neunziger Jahre. Da kam das erste Team der Friedensbrigaden nach Kolumbien. Damals haben uns die PBI beim Schutz von Flüchtlingen in einer Herberge in Barrancabermeja, einer damals sehr umkämpften Erdölstadt, geholfen. Das war ein erster wichtiger Schritt, um auf die steigende Zahl von Flüchtlingen und deren Verfolgung und Einschüchterung durch Paramilitärs in der Region des Magdalena Medio aufmerksam zu machen. Wir als Kommission haben damals erste Erfahrungen mit der Begleitung von Flüchtlingen gesammelt und begleiten auch heute Menschen, die vertrieben wurden, bei der Rückkehr in ihre Dörfer. Wir betreuen Gemeinden in Konfliktregionen. Dort gibt es in aller Regel auch große kommerzielle Interessen an Grund und Boden der Gemeinden und massive Verletzungen der Menschenrechte.
Welche Bedeutung hat die Begleitung für die Anwälte und Familienangehörigen?
Sie hilft, mit der Angst fertig zu werden. Dadurch haben die Täter mit ihrer Strategie keinen Erfolg: Durch Terror Hilflosigkeit zu säen, das Eintreten von Gemeinden und sozialen Akteuren für die Grundrechte zu beenden und den sozialen Zusammenhalt zu schwächen.
Welche Bedeutung hat eine Menschenrechtsorganisation wie die PBI in einem von bewaffneten Konflikten geprägten Land wie Kolumbien?
Die internationale Präsenz ist sehr wichtig. Es macht einen Unterschied, ob ein Kolumbianer Menschenrechtsverletzungen in seinem Heimatland anprangert oder ob es eine Begleitorganisation tut, die mit Freiwilligen aus aller Welt arbeitet. Die Präsenz der PBI-Teams in den verschiedenen Landesteilen ist so wichtig, weil sie es erlaubt, die Arbeit der Gemeinden und in den Gemeinden aufrechtzuerhalten. Trotzdem kommt es aber immer wieder zu Morden an Wortführern der Gemeinden, die Morde an Führern sozialer Organisationen und an Gewerkschaftlern gehen weiter. Aber wir sind sicher, dass die Situation ohne internationale Präsenz und Beobachter wesentlich schlimmer wäre. So wird zumindest eine minimale Basis für unsere Arbeit geschaffen.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Kolumbien? In Europa denken viele, dass mit der Regierung von Juan Manuel Santos der Rechtsstaat wieder regiert. Ist das so?
Nein, die Situation ist durchaus komplizierter. Es hat einen Strategiewechsel gegeben, es wird anders vorgegangen von Seiten derjenigen, die die Menschenrechte systematisch verletzen. Die Paramilitärs sind nach wie vor aktiv, mit klaren Verbindungen zu den öffentlichen Sicherheitsorganen – Militär wie Polizei.
Vor den Lokalwahlen am 30. Oktober schienen eine ganze Reihe von Kandidaten der Paramilitärs in öffentliche Ämter zu drängen. Zudem wurden in den letzten Wochen mindestens 40 Lokalpolitiker ermordet, und mehrere sind verschwunden. Auch die Strategie der latenten Bedrohung besteht nach wie vor. Es gibt keinen Grund, Entwarnung zu geben, denn in Kolumbien hat sich nichts Grundlegendes geändert, die Situation ist derzeit besonders schlimm.
Die Demobilisierung der Paramilitärs … .
… ist eine Farce. Es ist nie zu einer Auflösung der militärisch-kriminellen Strukturen gekommen, sondern eher zu einer Umbenennung. Die Militarisierung des Landes wird weiter vorangetrieben. Das schafft allerdings nicht mehr Sicherheit, sondern mehr Angst, denn die Rechte der Bevölkerung werden immer wieder verletzt – vor allem die der afrokolumbianischen und indigenen Gemeinden.
Sie arbeiten seit mehr als 20 Jahren für die ökumenische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden und sind oft bedroht worden. Auch in jüngster Zeit?
Es gab keine Drohungen, aber am 13. Mai wurde in meine Wohnung eingebrochen, mehrere Datenträger mit Materialien über paramilitärische Strukturen und deren Kontakte zu hohen öffentlichen Amtsträgern und Wirtschaftsunternehmen wurden dabei entwendet. Darüber hinaus wurden drei Personen der Kommission observiert, darunter ich selbst.
Das klingt nicht so, als ob Sie sich in Kolumbien frei bewegen könnten.
Doch, wir bewegen uns in Kolumbien, sind als Kommission in verschiedenen Landesteilen präsent, koordinieren Projekte, aber wir agieren sehr vorsichtig und wissen, dass wir ein Risiko eingehen. Aber wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber den Projektpartnern. In den vergangenen Monaten ist es zudem wieder zu Anschuldigungen durch öffentliche Amtsträger gekommen, die mehreren Mitgliedern der Kommission, darunter mir, Verbindungen zur Guerilla, genauer zur FARC, nachgesagt haben.
Das passiert nicht zum ersten Mal. Steckt dahinter eine Strategie?
Ja, es geht darum, unseren Rückhalt in der Bevölke­rung und auf internationaler Ebene zu schwächen.
Die Regierung behauptet, sie tue alles Nötige, um Menschenrechtler zu schützen. Sie stelle gepanzerte Wagen, Leibwächter, Satellitentelefone und ähnliches zur Verfügung. Was halten Sie davon und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Es geht in erster Linie nicht um Ausrüstung, es geht darum, die Risiken der Menschenrechtsarbeit zu reduzieren und die Strukturen in Kolumbien zu ändern. Über diese Risiken kann man sich in den Berichten der Vereinten Nationen und der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte informieren. Daraus geht hervor, dass Paramilitärs von den staatlichen Sicherheitsorganen toleriert werden und dass es immer wieder Fälle einer Komplizenschaft gibt. Der Paramilitarismus wird in Kolumbien nicht offen bekämpft.
Davon ist in Europa kaum etwas zu hören.
Aber diese Informationen sind zugänglich. Natürlich hat es in Kolumbien mit der neuen Regierung auch einen Wandel gegeben. Der autoritäre Apparat tritt nun deutlich toleranter und diplomatischer auf. Aber es ist vor allem der Ton, der sich geändert hat, es sind nicht die Strukturen. Die grundsätzlichen Probleme sind die gleichen und es gibt weiterhin schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen. Daran wird sich kaum etwas ändern, solange die staatlichen Behörden Menschenrechtler und soziale Organisationen in eine Ecke mit der Guerilla stellen und als fünfte Kolonne ansehen.
Parallel dazu erfolgt in Kolumbien eine Privatisierung grundlegender staatlicher Leistungen im Bereich der Gesundheit, der Bildung und der Nutzung des Landes, womit grundlegende Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden und sich die sozialen Bedingungen weiter verschlechtern. Es ist unmöglich, mit einer Militarisierungspolitik strukturelle Probleme eines Landes zu lösen, wie etwa die Abwesenheit staatlicher Einrichtungen in vielen Landesteilen. Dazu ist es nötig zu begreifen, dass auch Handelsverträge den Schutz minimaler demokratischer Grundrechte zur Bedingung machen sollten. Das richtet sich an die Adresse der USA genauso wie an die der Europäer.