Die Wirtschaftskrise in Frankreich

Wer AAA sagt, kann auch B sagen

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy preist die deutsche Wirtschaftspolitik als vorbildlich. Doch zur Bewältigung der Krise in Frankreich, dem eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit droht, trägt das wenig bei.

Zuerst war es nur ein Versehen, nun wird es allmählich ernst. Anfang November hatte die Rating-Agentur Standard & Poor’s Frankreich die begehrte Bestnote AAA in ihren Veröffentlichungen irrtümlich entzogen – ein Computerfehler. Bei bürgerlichen Politikern, für die das Triple A inzwischen zu einem der höchsten Staatsziele geworden zu sein scheint, rief dieser Fehler helle Empörung hervor. Damals ging es noch um einen Ausrutscher beim Spiel mit Zahlen und Noten.
Doch am Montag drohte Moody’s, eine andere der drei großen internationalen Rating-Agenturen, mit der Herabstufung Frankreichs. Bereits vor mehreren Wochen hatte sie die Bewertung Frankreichs »unter Beobachtung« gestellt. Mit dem Hinweis auf die abflauende wirtschaftliche Konjunktur und die zu beobachtende Verteuerung der Kreditaufnahme Frankreichs auf den Finanzmärkten urteilt Moody’s nun: »Das französische Sozialmodell wird nicht mehr finanzierbar sein.« Dies gelte vor allem, wenn das Wachstum nachlasse. Nach Ansicht der Rating-Agentur sind die Renten und Sozialausgaben zu hoch und müssen wie in anderen Staaten gesenkt werden, damit Frankreich im internationalen Konkurrenzkampf weiterhin bestehen kann.

Im Vordergrund steht der sogenannte Spread, die Differenz der Zinsrate bei der Aufnahme von Staatsanleihen zwischen Frankreich und Deutschland. Das politische Establishment in Frankreich lehnt es ab, sich mit den armen Schluckern in Südeuropa zu vergleichen, und möchte sich gern mit Deutschland messen. Dabei ist die Wirtschaftsleistung beider Länder kaum vergleichbar. So beträgt der Anteil der Industrie am französischen Bruttoinlandsprodukt nur noch 18 Prozent und liegt damit nur noch zwei Prozent über dem in Großbritannien, wo die Deindustrialisierung schon früh unter Margaret Thatcher einsetzte. In Deutschland, der mit Abstand stärksten Exportnation des Kontinents, erreicht er noch 31 Prozent.
In einer Fernsehansprache an die Nation vom 27. Oktober pries Präsident Nicolas Sarkozy die Leistungen Deutschlands in penetrantem Tonfall als anspornendes und nachahmenswertes Vorbild. So sehr, dass die Satiresendung »Les Guignols de l’info« des Fernsehsenders Canal+ sich kurz darauf einen neuen deutschen Einmarsch in Frankreich bildlich ausmalte. Vor dem Hintergrund vergilbter Fotos von Nazisoldaten unter dem Eiffelturm waren Sarkozy und sein Premierminister François Fillon zu sehen, die an der Grenze stehen und deutschen Panzern zuwinken: »Willkommen in Fronkreisch!« Nicht nur in Griechenland erinnern sich viele derzeit an frühere Episoden der deutschen Hegemonialpolitik in Europa.

Die regierungsoffizielle Begeisterung für die Nachahmung des vermeintlichen Erfolgsmodells Deutschland ändert jedoch nichts daran, dass Frankreich wirtschaftlich und in den Augen der Finanzmärkte irgendwo zwischen den europäischen Mittelmeerländern und Deutschland liegt. Für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit musste Deutschland den Anlegern am Montag 1,9 Prozent Rendite garantieren, Frankreich hingegen 3,4 Prozent. Am Donnerstag vergangener Woche hatte der Spread vorübergehend die Marke von zwei Prozent überschritten, während er im August noch bei 0,4 Prozent gelegen hatte.
In den kommenden Wochen und Monaten dürfte es Frankreich eher schwerer als leichter fallen, seine Kreditwürdigkeit zu behaupten. Bei Schuldenausfällen aus Spanien oder Italien wären etwa französische Banken schwer betroffen, die bereits in den vergangenen Wochen an den Aktienmärkten zum Teil spürbare Einbußen verzeichneten. Und nun steht dasselbe auch französischen Versicherungskonzernen bevor, die ebenfalls im Besitz zahlreicher »toxischer« Finanzprodukte sind.
Dabei sind »Bonität« und Triple A für zahlreiche führende Politiker längst zur Ersatzreligion geworden. Auch die Sozialdemokratie als stärkste Oppositionspartei bekam den Druck zu spüren. Ihr Präsidentschaftskandidat François Hollande hatte am 9. September versprochen, die von der amtierenden Regierung demontierten Teile des öffentlichen Schulwesens wiederherzustellen und 60 000 von über 80 000 während der laufenden Legislaturperiode abgebauten Lehrerstellen wieder einzurichten. Daraufhin wuchs der Druck auf ihn derart, dass Hollande die Ankündigung Ende Oktober relativieren ließ. Seine Mitarbeiter erklärten, zwar werde man die 60 000 Stellen im Schuldienst wieder einrichten, dafür werde man aber an anderer Stelle genauso viele abbauen, so dass der Staatshaushalt nicht belastet werde. Ob es künftig entsprechend weniger Krankenschwestern, Transportbedienstete oder aber – was erstaunlich wäre – weniger Polizisten geben soll, blieb bislang offen.

Seit Ende August legte die Regierung bereits zwei »Sparpakete« vor. Mit dem ersten wurden hauptsächlich zusätzliche Steuern eingeführt. Vor allem die Konsumenten von Alkohol, Tabak und Limonadengetränken sollen dafür sorgen, dass sich die Staatseinnahmen um zwölf Milliarden Euro erhöhen. Sie zahlen neue Verbrauchssteuern, also einkommensunabhängige, vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten belastende Steuern. Auch die Reichen werden zur Kasse gebeten, ab einem versteuerbaren Jahreseinkommen über 500 000 Euro. Besteuert werden sie für eine Gesamtsumme von 200 Millionen Euro im kommenden Jahr, also eher auf symbolische Weise. Ihr Anteil am »Austeritätspaket« beträgt damit im laufenden Jahr stolze anderthalb Prozent. Den Rest teilen sich ärmere Haushalte.
Am 7. November stellte die Regierung ihr zweites »Sparpaket« vor. Es umfasst eine Anhebung der Mehrwertsteuer für Grundbedarfsgüter, der unsozialsten Steuer überhaupt, von 5,5 auf sieben Prozent. Auch wird die im vergangenen Jahr trotz heftigen sozialen Widerstands beschlossene Rentenreform beschleunigt umgesetzt.
Andere unpopuläre Maßnahmen, die in den Tagen zuvor öffentlich erwogen worden waren, wurden zurückgestellt. So wird es neben dem Pfingstmontag, der seit 2004 »zur Finanzierung der Solidarität mit Pflegebedürftigen« ein unbezahlter Arbeitstag ist, vorläufig keinen zweiten unbezahlten Arbeitstag im Jahr geben. Das erwirtschaftete Pfingstmontagsprodukt wird übrigens von der Regierung zum Gutteil längst für andere Zwecke als für die Pflegeversicherung verwendet, die als offizielle Begründung diente. Ein zweiter »Solidaritätstag« – Kritiker sprechen von Frondienst – war Anfang November in Regierungskreisen intensiv diskutiert worden. Doch vorläufig soll er nicht eingeführt werden. Schließlich möchte Sarkozy die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr gewinnen.
Aufgeschoben ist jedoch nicht aufgehoben. Charles Beigbeder, Sekretär der Regierungspartei UMP »für die Erklärung der Reformen«, ließ auf Twitter wissen, »der richtige Sparplan« komme »nach der Präsidentschaftswahl«. Da hatte er sich wohl ein bisschen verplappert, die Regierung dementierte eifrig, es sei »kein dritter Plan« vorgesehen. Doch nach den Wahlen dürfte das wieder anders aussehen. Egal, wer sie gewinnt.