Wogegen auch immer

Berlin Beatet Bestes. Folge 122. Franz Josef Degenhardt: Sacco und Vanzetti (1972).

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!« sang meine Freundin, während sie auf der Straße mit den Schmuddelkindern aus ihrem Hochhausghettobezirk spielte. Der Song sprach ihren Eltern aus dem Herzen.Bei mir zu Hause hörte ich so was nie. Immerhin hatte irgendjemand uns die LP eines Kabarettprogramms von Wolf Biermann und Wolfgang Neuss mitgebracht, vermutlich mein später CDU wählender Onkel, der damals in Berlin studierte. Das war kein Humor, den Kinder kapierten, aber eins war mir damals schon klar: Diese Typen sind dagegen. Wogegen auch immer. Die beiden machen nicht mit. Genau wie Heinrich Böll. Der hat mich als Kind unheimlich beeindruckt: Der war von Beruf Querulant. Voll dagegen, aber erfolgreich.
Franz Josef Degenhardt war auch sehr erfolgreich. Seine Plattenfirma war immerhin die alte Mutter Polydor, das Plattenlabel von Freddy Quinn. Polydor war der Inbegriff der Schlagerindustrie. Etablierter als Polydor ging’s nicht. Sogar die bei Rowohlt erschienene Textsammlung »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern«, eine »scharfe, gezielte und bittere Attacke gegen die Stumpfheit der bundesdeutschen Kleinbürgerwelt« (Klappentext), war ein Bestseller und wurde 1970 hunderttausendmal verkauft.
Ebenfalls bei Polydor erschien die Platte »Sacco und Vanzetti«, eine Hymne auf zwei italienische Anarchisten, die revolutionäre Gewalt, Bombenanschläge und Attentate befürworteten. Den Text der Originalversion von »Here’s To You (Nicola and Bart)« schrieb Joan Baez. Mittlerweile gibt es Coverversionen von Daliah Lavi und Mireille Mathieu.
Die schmissige Melodie komponierte Ennio Morricone. Das 1971 gedrehte italienische Doku-Drama »Sacco e Vanzetti« von Giuliano Montaldo schildert eindrucksvoll den Prozess gegen Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, die 1927 wegen Mordes zum Tode verurteilt wurden.
Das Urteil löste Wut und Entsetzen aus und begründete eine lange Tradition internationaler sozialistischer Solidaritätsbewegungen. Sacco und Vanzetti boten den US-Behörden auch den willkommenen Anlass für eine Repressionswelle gegen europäische Immigranten, die für radikale Umtriebe verantwortlich gemacht wurden. Im Zuge der »Red Scare« wurden Zehntausende von Arbeitern deportiert. Den deutschen Text schrieb Degenhardt: »Dieses Lied ist für Nicola Sacco und Bart Vanzetti, zwei amerikanische Arbeiterführer. Sie hatten Streiks organisiert und Demonstra­tionen gegen die Herrschaft des Kapitals. Deshalb sollten sie beseitigt werden, und man klagte sie an wegen Mordes, den sie nie begangen hatten (…). Sie wussten, warum sie hingerichtet wurden, und starben als Opfer des internationalen Befreiungskampfes.«