Iranische Exiloppositionelle kritisieren die Opposition im Iran

Keine Bombe für Khamenei

Iranische Intellektuelle im Exil haben in einer Erklärung das Regime und sein Atomprogramm scharf kritisiert. Ungewohnt deutlich wird auch die Opposition im Iran aufgefordert, sich von ihrem Antiimpe­rialismus zu verabschieden.

Als »tyrannisch und repressiv«, sogar »totalitär« bezeichnen über 175 iranische Intellektuelle in einer am Montag vergangener Woche veröffentlichten Erklärung die »illegitime« Herrschaft des iranischen Regimes, die Außenpolitik sei »ruinös«. Sie stellen dabei einen engen Zusammenhang zwischen Menschenrechtsverletzungen, der Verfolgung von Oppositionellen und der aggressiven Außenpolitik unter dem religiösen Führer Ali Khamenei und dem Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad her. Explizit ist von terroristischen Aktivitäten im Ausland und von der durch den jüngsten Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde bestätigten nuklearen Aufrüstung die Rede, scharf wird der »feindselige Diskurs« gegenüber der »internationalen Gemeinschaft« verurteilt. »Toleranz gegenüber der Welt und die Wiederbelebung der Rechte der iranischen Bürger sind miteinander verbunden«, heißt es in der Erklärung. Daher müsse die iranische Demokratiebewegung die Beendigung der Urananreicherung und aller militärischen Aspekte des iranischen Atomprogramms zu einem ihrer »zentralen Anliegen« machen und den »Druck aus In- und Ausland« auf das Regime koordinieren.

Die Unterzeichner der Erklärung stammen meist aus der Reformbewegung oder der iranischen Linken. Auch Oppositionelle im Iran unterstützen angeblich die Erklärung, unterzeichneten sie aber meist aus Furcht vor Repressalien nicht. Ein Unterzeichner ist der in Deutschland lebende Mehran Barati, ein Mitbegründer der »säkularen Republikaner«. Die Erklärung richtet sich sowohl an das iranische Regime als auch an die Opposition. Die Forderung, den Kampf um Demokratie und gegen die nukleare Aufrüstungspolitik als gleichwertig zu betrachten, wird gerade bei der Reformbewegung nicht unbedingt nur auf begeisterte Zustimmung stoßen. Die Unterzeichner warnen: »Diesen Umstand zu ignorieren und befangen in Klischeevorstellungen und klassischen antiimperialistischen Sichtweisen zu verharren, ohne Initiative zu ergreifen, um der Krise zu entkommen, wird einen vollständigen Bruch zwischen der internationalen Gemeinschaft und dem Freiheitskampf des iranischen Volkes zur Folge haben.«
Im Einklang mit ausländischen Mächten, vor allem den stets misstrauisch beäugten Amerikanern und am Ende noch Israel, eine Politik gegen »den Iran« zu machen, ist selbst für Oppositionelle oft inakzeptabel, die sonst die Menschenrechtsverletzungen des Regimes kompromisslos kritisieren und dem politischen System der »Islamischen Republik« ein baldiges Ende wünschen. Viele iranische Oppositionelle begründen ihre ambivalente Haltung entweder damit, dass man den Motiven der USA oder Israels nicht trauen könne, oder behaupten, Sanktionen und Kriegsdrohungen nützten ausschließlich dem Regime. Tatsächlich ist aber auch innerhalb der Reformbewegung die nationalistische Vorstellung verbreitet, dass die »Unabhängigkeit« des Irans, eine zentrale Forderung der Revolution von 1979, um keinen Preis gefährdet werden dürfe. Offenbar um diesen Teil der Opposition zu beruhigen, haben die Verfasser der Erklärung Aussagen ein­gestreut, die von »doppelten Standards« in der internationalen Atompolitik in Bezug auf »Israel und Indien« sprechen, was aber nicht dazu führen dürfe, die Atompolitik der »Islamischen Republik« zu verharmlosen.

Die in der Erklärung vorgebrachten atompolitischen Forderungen, die das Wall Street Journal als »erstmalige Verurteilung der Urananreicherung durch die iranische Opposition« feierte, sind nicht ganz neu. Schon 2006 hatte die reformorientierte Studentenorganisation »Daftar-e Tahkim-e Vahdat« (»Büro zur Konsolidierung der Einheit«) die iranische Regierung aufgefordert, die Urananreicherung zu unterlassen und auf »außenpolitisches Abenteurertum« zu verzichten. Wie aber der ehemalige Sekretär der Organisation und laut Wall Street Journal maßgebliche Verfasser der neuen Erklärung, Ali Afshari, der Jungle World sagt, gehe diese viel weiter als jede vorherige. Es gehe letztlich darum, einen drohenden Krieg zu verhindern. Die Erklärung von 2006 enthalte nichts über die Notwendigkeit, die »legitimen internationalen Bedenken« wegen des Atomprogramms ebenso ernstzunehmen wie Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten, betont Afshari. Auch die in der Erklärung geäußerte Kritik an den »klassischen antiimperialistischen Sichtweisen« bezeichnet er als neu. Angesprochen auf die oft feindselige oder ambivalente Haltung von Teilen der iranischen Opposition zu Israel sagte Afshari, er habe zwar Kritik an der israelischen Politik, stelle aber Israels Existenzrecht nicht in Frage und lehne eine »Anti-Israel-Haltung« ab. Eine weiterführende Kritik des zivilen Atomprogramms, wie sie im März 2011 im Zusammenhang mit der Katastrophe in Fukushima der schiitische Kleriker Hassan Yousefi Eshkevari (Jungle World 46/2011) formuliert hatte, finde sich nicht in der Erklärung, »weil sie im internationalen Kontext keine Rolle spielt«. Eshkevari hatte als erster prominenter Exilreformer die eigentlich naheliegende Frage gestellt, warum einem Regime, das weder die Inflation, noch die verbreitete Korruption, geschweige denn den Straßenverkehr in Teheran unter Kontrolle habe, die gefährlichste Techno­logie der Welt anvertraut werden sollte.
Afshari hat selbst eine beachtliche politische Entwicklung durchgemacht. Zunächst war er ein wichtiger Vertreter der iranischen Studentenbewegung der späten neunziger Jahre und in diesem Zusammenhang ein enger Vertrauter des damaligen Präsidenten Mohammed Khatami. »Ich habe ihn immer ermutigt, noch einen Schritt weiter zu gehen«, erinnert sich Afshari. Im Jahr 2000 beteiligte er sich an der Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, wurde anschließend verhaftet, gefoltert und zu einem öffentlichen Geständnis gezwungen, das er später widerrief. Die Verzweiflung über den erzwungenen öffentlichen Verrat an seinen eigenen Überzeugungen trieb ihn an den Rand des Suizids. »Dann sollten doch lieber sie mich umbringen«, sagt er. Afshari, der zunächst ein moderater Regimekritiker war und sich heute für eine gewaltfreie demokratische Revolution einsetzt, verlor schrittweise »alle Illusionen über die Reformierbarkeit der Islamischen Republik«. Er lebt im US-amerikanischen Exil, wo er häufig im persischsprachigen Sender von »Voice of America« auftritt.

In der Erklärung wird nicht nur deutlich, wie weit Teile der ehemaligen Reformbewegung sich vom Regime abgewandt haben, sondern auch, wie weit sie sich selbst politisch voneinander entfernt haben. Die iranische Reformbewegung war, genau wie ihre unterschiedlichen innenpolitischen Gegenspieler von Khamenei bis Ahma­dinejad, nie besonders homogen. Iranische Politik ist seit jeher sehr informell und personalisiert, politische Parteien im europäischen Sinne existieren nicht. Bestehende Gruppierungen sind in der Regel lose Zusammenschlüsse, deren interne Dynamik meist völlig intransparent bleibt. Mit der zunehmenden Repression gegen die Reformbewegung, die seit der Präsidentschaft Ahmadinejads und der Niederschlagung der Protestbewegung von 2009 immer extremere Formen angenommen hat, haben sich auch die vielfach ins Ausland geflohenen Reformerkreise noch weiter diversifiziert. Von »der Reformbewegung« oder »den Reformern« kann man kaum noch ernsthaft sprechen. Viele wichtige Akteure haben im Exil ihre Positionen weiterentwickelt, der Graben zwischen ihnen und dem herrschenden Regime ist dabei in der Regel nur tiefer geworden, doch auch die Positionen innerhalb der Bewegung sind inzwischen weiter voneinander entfernt als je zuvor.