Französische Arbeiter haben eine Teebeutelfabrik besetzt

Kämpfen für den Elefanten

Von Alex Riva

Während immer mehr industrielle Betriebe in Frankreich geschlossen oder ins Ausland verlagert werden, wehren sich die Arbeiterinnen und Arbeiter einer Teebeutel­fabrik in der Provence gegen die Einstellung der Produktion. Nachdem ihnen im August gekündigt worden war, besetzten sie vor drei Monaten das Werk. Sie wollen mit einem »alternativen Projekt« selbstorganisiert weiterarbeiten.

»Wir sind rund 100 Leute, die sich in verschiedenen Schichten ablösen, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche.« Gérard Cazorla, Gewerkschaftssekretär des Betriebskomitees, spricht nicht etwa über die Schichtarbeit, sondern darüber, wie die Besetzung der Teebeutelfabrik Fralib organisiert ist, die Beuteltee der internationalen Marke Lipton und der französischen Marke Éléphant herstellt. Ende Juli wurde die Produktion im Betrieb in Gémenos in der Nähe von Marseille eingestellt. Der Konzern Unilever, dem die Fabrik gehört, will die Produktion der beiden Marken in seine Werke in Polen und Belgien verlegen. Den 182 Arbeiterinnen und Arbeitern von Fralib wurde im August gekündigt. Einige Wochen nach der Schließung beschloss die Belegschaft im September, das Werk in Gémenos zu besetzen, um den Abtransport der Maschinen nach Polen und Belgien zu verhindern.

Zum Mittagessen sind etwa 40 Arbeiterinnen und Arbeiter versammelt. Wie bei einem Kindergeburtstag hängen im Gebäude der Geschäftsführung noch Girlanden und bemalte Luftballons, die von einer Feier mit den Familien der Arbei­ter­innen und Arbeiter stammen. Es wird gescherzt, die Stimmung ist gelassen, manche genehmigen sich ein Glas Rotwein. Die Anwesenden sind sichtlich froh darüber, dass sie nach der Kündigung im August nicht isoliert der neuen Situation gegenüberstehen, wie es in solchen Fällen üblich ist.
Nach dem Kaffee geht es mit Gérard Cazorla, der von seinen Kolleginnen und Kollegen »Ché« genannt wird, auf einen Rundgang durch die Fabrikhallen. Wegen seines Äußeren hat Cazorla den Spitznamen allerdings nicht bekommen. Er ist etwas übergewichtig, hat graues Haar und trägt eine smarte, schmale Brille. Cazorla möchte uns zeigen, wie das Personal die Produktion selbst leitet, und erzählt nebenbei die Geschichte der Fabrik. Er ärgert sich darüber, dass die Werkleitung in den vergangenen Jahren immer wieder Abstriche bei der Qualität zugunsten des Profits gemacht hat. »Statt der aufwendigen Feuchtaromatisierung, bei der sich die Teeblätter leicht öffnen und den zugeführten Geschmack annehmen, ließ der Konzern Unilever, dem Fralib gehört, den Tee mit chemischen Zusatzstoffen versetzen«, erklärt er. Cazorla weist auf die Warnsymbole auf den gelieferten Plastikkanistern hin: Eines bezeugt die Umweltschädlichkeit eines Aromastoffs.
Dem Gewerkschafter ist die Herstellung der Teebeutel offenbar eine Herzensangelegenheit. Er kennt die Abläufe in- und auswendig. »Die Maschinen sind als Prototypen von Angestellten im Betrieb technisch weiterentwickelt worden«, sagt er. Auch über die ökonomischen Zahlen erteilt er ausführlich Auskunft: »Ein Gutachten, das von der Region finanziert wurde, bestätigte, dass die Fabrik auch weiter bestehen kann, wenn die Produktion der Marke Lipton eingestellt und nur noch die französische Marke Éléphant produziert wird.«

Das sei der Plan der Besetzerinnen und Besetzer. Mit einem »alternativen Projekt«, wie Cazorla es nennt, versuche das Personal nun, die 182 im August gestrichenen Stellen zu erhalten. »Der neue Tee der Marke Éléphant soll unter Einhaltung der Fair-Trade-Normen bezogen und mit biologisch produzierten Pflanzen aus der Provence gewürzt werden«, erläutert Cazorla, »natürlich durch Feuchtaromatisierung.«
Der multinationale Konzern Unilever Supply Chain Company (USCC) hat nach der Steuerflucht nach Schaffhausen in der Schweiz lediglich fünf Prozent statt wie in Frankreich über 30 Prozent Unternehmenssteuer entrichtet. »Seit Unilever 2007 mit der USCC ein fiskalisches Konstrukt eingerichtet hat, sind nach unseren Berechnungen 200 Millionen Euro nicht in Frankreich, sondern in der Schweiz deklariert worden«, sagt Cazorla, »so hat das Unternehmen Frankreich um jährlich 67 Millionen Euro gebracht.« Wegen der Aussage, Unilever betrüge neben dem Fiskus auch die Kunden mit überteuertem Tee, wurden Cazorla und andere Gewerkschafter bereits vor Gericht gezerrt, aber ihnen wurde Recht gegeben.
Auch die Belegschaft reflektiert die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die ihrem Widerstand gegen die Schließung zugrunde liegen. »Die Aktionäre machen Gewinn mit uns und das lassen wir nicht zu«, sagt Marie-José Librati. »Wir haben auf eine Schachtel Teebeutel umgerechnet, was für sie herausspringt, wenn sie diese für zwei Euro und teurer verkaufen. Unsere Arbeit kostet etwa 14 Cent pro Schachtel. Bei unseren acht Stunden pro Tag arbeiten wir schon nach zwei Stunden für ihren Profit.«
In welcher Form die Fabrik betrieben werden soll, ist noch nicht entschieden. Diskutiert wird über die Form einer Kooperative unter der Selbstverwaltung der Arbeiterinnen und Arbeiter, eventuell mit finanzieller Beteiligung der Region. Eine Übernahme von Fralib durch einen Käufer kommt für die Belegschaft nur unter der Bedingung in Frage, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in ökonomischen und sozialen Belangen einbezogen werden. »Auch wenn wir auf der untersten Stufe sind, sind wir von großer Bedeutung«, bekräftigt Librati, »wir sind die sichtbar gewordenen Unsichtbaren. Man sieht uns nur durch unsere Erzeugnisse.«

Die Arbeiterinnen und Arbeiter in Gémenos versuchen, die Marke Éléphant mit ihrem Symbol in der Gegend sichtbar zu machen. Und so kann man das Zeichen, einen Elefanten eben, auf den Protestplakaten sehen, die an den Außenwänden der Fabrik hängen, oder als lebensgroßes Maskottchen bei Demonstrationen. Der Elefant ist zum Erkennungszeichen eines Protests geworden, mit dem die Belegschaft von Fralib verhindern will, dass die Produktion der französischen Teemarke nach Polen und Belgien verlagert wird, wie es Unilever vorsieht.
Nicht nur die Eigentumsverhältnisse werden mit der Fabrikbesetzung in Frage gestellt, der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter betrifft auch den Anspruch auf den Produktnamen. An den Maschinen hat sich der Konzern bisher wenig interessiert gezeigt, die Marke ist der Konzernleitung offenbar wesentlich wichtiger. So ließ Unilever über den verhassten Fabrikdirektor in der Gratiszeitung 20 minutes ausrichten, die Marke Éléphant gehöre dem Konzern seit 40 Jahren und sei unveräußerlich. Dagegen haben die Besetzerinnen und Besetzer geltend gemacht, das Teehaus Éléphant sei schon seit 119 Jahren in der Region Marseille angesiedelt.
»Die Leute sind über unsere Situation informiert«, sagt Librati, »wir haben im Oktober verschiedene Aktionstage organisiert und damit 800 Personen in die Fabrik gebracht. Das hat uns gezeigt, dass unser Projekt glaubwürdig ist, obwohl Unilever behauptet, wir würden bloß an einem Luftschloss bauen.«
Das Projekt einer lokalen und ökologischen Produktion, der Widerstand gegen einen multinationalen Konzern und die nationale Solidarisierung haben inzwischen die gesamte französische Linke auf den Plan gerufen. Parteien und Gewerkschaften sowie alle linken Kandidatinnen und Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2012 haben bereits ihren Pflichtbesuch bei den Besetzerinnen und Besetzern von Fralib absolviert. Eva Joly von den Grünen, der Präsidentschaftskandidat der sozialistischen Partei François Hollande und der Kandidat für den Front de Gauche, Jean-Luc Mélenchon, kamen hierher und solidarisierten sich medienwirksam mit der Belegschaft.
Philippe Poutou, der sich für den Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) um die französische Präsidentschaft bewirbt, will mit seiner professionellen Erfahrung den Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter von Fralib unterstützen: »In den vergangenen Jahren habe ich mich als Delegierter des Personals bei Ford für die Erhaltung von Arbeitsplätzen stark gemacht.« Ob für seine Partei, die den Kapitalismus überwinden will, die Selbstverwaltung eines Unternehmens durch die Belegschaft eine Lösung ist? »Es ist nicht genau das, was wir fordern, das Projekt enthält aber Teile davon. Denn dadurch übergeht man die Ausbeuter«, sagt er. »Dahinter steckt die Idee, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter Maschinen und Produktion in die eigene Hand nehmen, wie letztlich die Bevölkerung alle gesellschaftlichen Prozesse in die Hand nehmen soll.« Allerdings erscheine es in einem kapitalistischen System vielleicht utopisch, dass eine einzige Fabrik unter der Kontrolle der Belegschaft laufen könne. »Der grundlegende Aspekt ist aber die Würde der Arbeiterinnen und Arbeiter, die nicht nur dazu gut sind, hinter einer Maschine zu schuften, solange sie gebraucht werden. Dann werden sie gefeuert und müssen auch noch die Schnauze halten«, sagt er.
Dass die Selbstverwaltung eines Unternehmens in einem auf der kapitalistischen Konkurrenz basierenden System in der Regel zur Selbstausbeutung führt, ist Poutou bewusst. Außerdem wäre das Projekt der Belegschaft von Fralib, sollte es Erfolg haben, vielmehr eine Ausnahme angesichts einer wirtschaftlichen Entwicklung, über die in Frankreich wenig diskutiert wird: der Rückgang der Industrie im Rhonebecken. Im Raum Marseille selbst ist der Anteil der Beschäftigten in der Industrie von 18 Prozent im Jahr 1975 auf weniger als sieben Prozent gesunken. Wegen der drohenden Schließung der Raffinerie Lyondellbasell werden 370 Entlassungen erwartet, dies hätte schlimme Folgen für die gesamte Petrochemie im Raum Étang de Berre, der Verlust von Tausenden von Stellen droht.
Wie der Kandidat der NPA sehen viele in der französischen Linken im Projekt der Belegschaft der Teebeutelfabrik eine einzigartige, exemplarische Erfahrung. Gérard Cazorla stört es wenig, wenn der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter in Gémenos als Diskussionsgrundlage für linke Politikerinnen und Politiker herhalten muss. Er gibt jedoch zu bedenken: »Wir wollen aber nicht, dass sie uns nur die Hand schütteln, um sich vor einer Kamera filmen zu lassen, sondern dass sie uns dabei unterstützen, unser Projekt umzusetzen.«
Eine breite Unterstützung durch die Öffentlichkeit sei nötig, denn der Druck auf das Personal von Fralib nehme stetig zu. Ende Oktober verfügte ein Gericht, dass dem Fabrikdirektor Zugang zur Fabrik zu gewähren sei. Kurz darauf wurde der Beschluss abgeändert und die Belegschaft wurde dazu aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Cazorla vermutet hinter diesen Änderungen eine Intervention von Unilever. Zwar kam es bisher nicht zur befürchteten polizeilichen Räumung. Aber Anfang November verwehrten 30 private Sicherheitskräfte im Auftrag der Direktion dem Personal bei einer Schichtablösung den Zutritt zur Fabrik. Erst nach einem Handgemenge mit einigen Verletzten unter den Arbeiterinnen und Arbeitern war das Gelände wieder zugänglich.
Weiter werden die Arbeiterinnen und Arbeiter schikaniert, indem die Löhne der gewerkschaftlichen Vertreterinnen und Vertreter und einiger Angestellter mit der Begründung zurückbehalten werden, sie befänden sich im Streik. Aber trotz der Kündigung stehe den Arbeiterinnen und Arbeitern ein bezahlter Urlaub zur sogenannten beruflichen Neuorientierung zu, sagt Cazorla: »Wir haben keinen Streik beschlossen im Wissen darum, dass die Aktivitäten der Fabrik im Juli eingestellt werden. Dabei erscheinen wir bis heute an unserem Arbeitsort und es liegt an ihnen, uns zu beschäftigen.«

Auch Dominique Basset, ein gewählter Vertreter der Belegschaft, fand eine Null auf seiner Lohnabrechnung für Oktober. Er zeigt sich davon wenig überrascht. »Mit Unilever muss man immer kämpfen. Bereits in Le Havre haben sie uns 1998 die Fabrik geschlossen«, erzählt er. »Meine Familie und meine Freunde habe ich 1 000 Kilometer weit weg in Le Havre gelassen, um hier bis zur Rente zu arbeiten. Nach 13 Jahren sagen sie mir jetzt, ich soll für die Firma nach Polen ziehen, für 6 000 Euro brutto jährlich«, beschreibt er seine Situation. Aber für ihn steht fest: »Ich werde mir kein Wohnmobil kaufen, um Unilever hinterherzufahren.«
Mit 54 Jahren und bei der hohen Arbeitslosigkeit in der Provence glaubt Basset nicht daran, dass er eine neue Stelle finden wird. »Die Aktionäre werfen uns weg wie einen alten Lappen. Wir kämpfen nicht, um am Schluss einen dicken Scheck in den Händen zu halten, auch wenn das verlockend klingt für Leute, die nie viel Geld hatten«, sagt er. »Uns Delegierten wurde vorgeschlagen, über eine Abfindung zu diskutieren. Die Konzernleitung hat uns eine hohe Summe angeboten, damit wir abtreten. Aber ich habe in Le Havre schon gesehen, wozu das führen kann: Dort habe ich viele Kollegen, die die Abfindung angenommen haben und arbeitslos geblieben sind. Einige sind jetzt Alkoholiker, einer von ihnen hat sich umgebracht. Wir haben keine Lust, dass sich das wiederholt. Wir werden nur unterschreiben, um unsere Arbeitsmittel, die Maschinen, zu übernehmen.«
Die Geschichte der Belegschaft von Fralib ist noch nicht zu Ende, eine Moral findet Basset in ihr aber schon jetzt: »Der beste Weg, einen Job zu finden, besteht darin, seinen eigenen zu behalten.«