Die Aufstände und die Rechte der Frauen

Kein Frühling ohne Frauen

Der Wahlsieg islamistischer Parteien in den Ländern der arabischen Aufstände bedeutet nichts Gutes für die Rechte und die Gleichstellung der Frauen. Trotzdem ist es schwer vorstellbar, dass sich die Frauen dort wieder aus der Öffentlichkeit verbannen lassen.

Als vor einem Jahr in Tunesien, Ägypten und Libyen die Revolten gegen die Diktatoren begannen, standen Frauen Seite an Seite mit Männern. In Ägypten und Libyen haben Frauen die Revolten sogar initiiert. Am 18. Januar vergangenen Jahres veröffentlichte die damals 26jährige ägyptische Aktivistin Asmaa Mahfouz ein Video auf Youtube. Darin erzählte sie, dass vier Ägypter sich selbst in Brand gesetzt hätten, um gegen Demütigung, Armut und Erniedrigung zu protestieren. Sie rief zu einer Revolution »wie in Tunesien« auf, am 25. Januar in Kairo: »Kommt auf den Tahrir-Platz und schließt Euch uns an! Fordert Eure Rechte ein!« Etwa 15 000 Menschen folgten ihrem Aufruf. Das war der Beginn des Aufstands in Ägypten.
In Bengasi demonstrierten am 15. Februar 2011 hunderte Mütter und Ehefrauen für die Freilassung des Menschenrechtsanwalts Fethi Tarbel. Der Anwalt vertrat die Familien von etwa 1 000 Häftlingen, die bei einer Revolte in einem Gefängnis in Tripolis 1996 von Sicherheitskräften erschossen worden waren. Zwei Tage später, am 17. Februar 2011, begann die Revolte gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi.
Für die Aktivistinnen in Libyen, Tunesien oder Ägypten sind die ersten Tage der Revolten, als sie noch völlig gleichberechtigt daran teilnahmen, jedoch mittlerweile sehr weit weg. Damals hielten sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo sowie auf dem Platz der Kasbah in Tunis Frauen und Männer gemeinsam in Zelten auf. Doch das geriet schnell zum Skandal. In Ägypten nahm das Militär das gemischtgeschlechtliche Zelten zum Vorwand, um inhaftierte Aktivistinnen auf ihre »Jungfräulichkeit« zu testen. In Bengasi wiesen die Rebellen den Frauen wenige Wochen nach der Befreiung der Stadt einen eigenen Raum zum Demonstrieren zu, hinter einem Bretterverschlag.
Überall wird für die Geschlechtertrennung und den Ausschluss von Frauen aus dem öffent­lichen Leben der gleiche Grund angegeben: Frauen müssten geschützt werden. Aus diesem Grund beschloss auch die Militärregierung in Ägypten, dass es in keinem der 26 Landesdistrikte eine Gouverneurin geben dürfe. Auch das Fortbestehen der Notstandsgesetze rechtfertigte der Vorsitzende der Militärregierung, Hussein Tantawi, damit, dass sonst Frauen entführt oder vergewaltigt werden könnten.

Die neuen Machthaber drängen nicht nur auf vorrevolutionäre Verhältnisse. In einigen Ländern will man sogar Gesetze zur Gleichstellung von Frauen, die bereits vor den Revolutionen galten, wieder zurücknehmen.
In Libyen soll etwa die Polygamie wieder erlaubt werden. In Ägypten wollen die Konservativen religiöse Familiengesetze einführen. Im vergangenen Sommer reichte der Vorsitzende des Familiengerichts einen Gesetzesantrag ein, der die Wiedereinführung der Zwangsrückführung von »ungehorsamen« Frauen zu ihren Ehemännern vorsieht. Dieses Gesetz war in Ägypten in den sechziger Jahren abgeschafft worden. In der Militärregierung Ägyptens sitzt keine einzige Frau. Die neuen Machthaber haben die während des alten Regimes geltende Quote von 64 für Frauen reservierten Parlamentssitzen abgeschafft. Bei der Wahl zum neuen Parlament galt lediglich, dass jede Partei zumindest eine Frau aufstellen sollte. Im libyschen Übergangsrat gibt es nur eine Frau, in vielen Stadträten gar keine.
Tunesien war ein relativ fortschrittliches Land im nordafrikanischen Raum, was die Frauenrechte anbelangt. Als Habib Bourguiba 1956 dort an die Macht kam, setzte er von Anfang an auf Gleichberechtigung. Er schaffte das auf der Sharia basierende Familienrecht sowie die Gehorsamspflicht gegenüber männlichen Vormündern ab und verbot Zwangsehen und Polygamie. Frauen durften seitdem eine Erwerbsarbeit aufnehmen, ohne ihren Ehemann nach der Erlaubnis zu ­fragen.
Das Wahlgesetz, das in Tunesien bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung im Oktober angewandt wurde, sieht vor, dass die Hälfte aller Listenplätze an Frauen geht. Zum Vergleich: In Deutschland haben die Grünen, die Linkspartei und die SPD eine ähnliche Regelung, aber nur parteiintern. Wie sich die Situation für Frauen in Tunesien entwickeln wird, nachdem die islamistische Partei Ennahda die Wahlen gewonnen hat, ist schwer abzusehen. Denn einerseits war die Ennahda die einzige Partei, die eine Frau an die Spitze einer Liste stellte, und es sind die Islamisten, die prozentual die meisten Frauen in die verfassungsgebende Versammlung entsenden werden. Zugleich versprach die Ennahda im Wahlkampf die Einführung strengerer Familiengesetze.
In Ägypten, wo die Partei der Muslimbrüder mit mehr als 30 Prozent der Stimmen gewonnen hat, ist die Situation ähnlich. Die Wahlsieger suchen nun Partner zur Regierungsbildung. Die Salafisten der al-Nour-Partei werden es vermutlich nicht sein. Diese wollen Gesetze, die für Ägyptens Wirtschaft den Ruin bedeuten würden, etwa ein totales Alkoholverbot, auch für Touristen. Die Muslimbrüder werden ihre Politik aber wohl auch an den Wählern der Salafisten, die immerhin mehr als 20 Prozent der Stimmen bekamen, ausrichten müssen. Für die Frauen bedeutet das nichts Gutes.
Die Anhänger der al-Nour plakatierten während des Wahlkampfs in Alexandria Bilder von unverschleierten Frauen, deren Köpfe von Insekten umschwirrt waren. Die Botschaft war klar: Unverhüllte Frauen ziehen Ungeziefer an. Auf einer Konferenz der Partei im Oktober, deren Thema die Rolle von Frauen in der Politik war, sprach nicht eine einzige Frau. Einer der wichtigsten Politiker der al-Nour, Yasser Burhami, diffamierte die anwesenden Journalistinnen, die kein Kopftuch trugen, als »nackt«.

Noch ist nicht ausgemacht, wie sich die politische Lage in Libyen entwickeln wird. Das Land muss sich wegen der politischen Verwahrlosung, die Gaddafi hinterlassen hat, völlig neu erfinden. Dabei entstehen erstaunliche Widersprüche: Islamisten haben insbesondere bei der Befreiung Tripolis eine bedeutende Rolle gespielt. Die gesellschaftlichen Regeln in Libyen gehören zu den konservativsten in der arabischen Welt. Zugleich zeigt sich derzeit eine starke Zunahme an Freiheiten, die nicht wie in Ägypten gebremst wird. In den neuentstandenen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern gibt es wenige Tabuthemen, bei einer Buchmesse in Tripolis wurden kürzlich sogar sexuelle Aufklärungs­bücher ausgestellt. Libysche Feministinnen drängen derzeit auf eine Frauenquote von 40 Prozent in der verfassungsgebenden Versammlung.
Ägyptische Frauen sind hingegen eher mit Abwehrkämpfen beschäftigt. Im Dezember gingen 10 000 Frauen gegen die Misshandlungen durch Militärs auf die Straße. Die Proteste waren durch ein Video ausgelöst worden, auf dem zu sehen war, wie Soldaten einer Demonstrantin den Oberkörper entblößten und sie misshandelten.
Trotz dieser bedrohlichen Entwicklungen ist es schwer vorstellbar, dass sich die Frauen in diesen Ländern wieder aus der Öffentlichkeit verbannen lassen. Denn ihr Drängen in den öffentlichen Raum hatte schon vor der Revolution begonnen und war Teil eines Prozesses, der die Aufstände überhaupt erst möglich machte.
Die Kommunikation in den sozialen Netzwerken gab vielen Frauen erstmals die Möglichkeit, überhaupt regelmäßig mit Menschen außerhalb ihrer Familie in Kontakt zu kommen. Zugleich wurden Frauen in den vergangenen Jahren immer präsenter in der Öffentlichkeit.
In den meisten arabischen Ländern waren Frauen nach dem Aufstieg der Islamisten in den achtziger und neunziger Jahren aus dem Stadtbild verdrängt worden. Am deutlichsten war diese Entwicklung in Kairo zu beobachten, dort trugen sogar Christinnen aus Furcht um ihr Leben ein Kopftuch. In den vergangenen zehn Jahren entstand in Kairo, wie auch in Tunis oder Damaskus, eine junge Szene von Frauen, die sich nicht mehr verstecken wollten. Frauengruppen trauten sich nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern auch teilweise in Cafés, die ehemals nur von Männern besucht worden waren, und auch gemischte Gruppen von Frauen und Männern wurden immer alltäglicher. Diese Freiheiten werden sich Frauen nicht mehr nehmen lassen.