Über Kontodatenüberwachung

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Immer häufiger fragen Finanzämter und andere Behörden die Kontodaten von Bankkunden ab. Eigentlich hatte das Bundesverfassungsgericht eine solche Überprüfung nur für Ausnahmefälle genehmigt.

Geld gewinnt seinen praktischen Wert dadurch, dass man es für tolle Sachen eintauschen kann. Die Faustregel lautet: je mehr Geld, desto toller die Sachen. Auch durch Steuern wird man Geld los, allerdings sind die Gegenleistungen meist nicht unmittelbar überzeugend. Bei der Entscheidung, ob sie lieber das Gehalt eines Finanzbeamten bezahlen oder sich ein neues Auto kaufen würden, müssten die meisten Menschen beispielsweise nicht lange überlegen. Hinzu kommt, dass steuerfinanzierte Gegenleistungen, etwa Straßen für das besagte Auto, auch dann gebaut würden, wenn nur die anderen ihre Steuern zahlen würden.
Das Finanzamt wähnt sich also womöglich aus gutem Grund als häufiges Opfer größerer und kleinerer Lügen, wenn Firmen und Privatpersonen ihre Einnahmen und Ausgaben deklarieren, aus denen sich die Höhe ihrer Steuerabgaben berechnet. Selbst einem Staat mit einem großen Verwaltungsapparat wie dem deutschen ist es nicht ohne weiteres möglich, die per Steuererklärung gemachten Angaben zu überprüfen. Dem sollte das 2005 verabschiedete »Gesetz zur Förderung der Steuer­ehrlichkeit« entgegenwirken: Es erlaubt den Finanzämtern schon bei einem Anfangsverdacht des Steuerbetrugs, Kontodaten von Banken abzufragen, während eine solche Überprüfung bis dahin einen konkreten Verdacht im Bereich der Geldwäsche oder Terrorfinanzierung vorausgesetzt hatte. Nach den aktuellen Zahlen dient das Gesetz allerdings nicht mehr nur als rechtliche Grundlage für Einzelfallüberprüfungen möglicher Steuersünder. Verschiedene Behörden fragten im Jahr 2011 mehr als 60 000 Kontodaten ab.

Finanzämter können von Banken die sogenannten Stammdaten der Kontoinhaber abrufen, also Name, Adresse und Geburtsdatum, sowie eventuelle Anlagen: Besitzt der Kunde neben seinem Girokonto auch ein Aktiendepot oder einen Bausparvertrag? Konkrete Finanztransaktionen oder Kontostände fallen wiederum nicht darunter. Die besagten Abfragen bieten den Finanzämtern also vor allem die Möglichkeit, möglicherweise verschwiegene Zweitkonten und Finanzanlagen aufzuspüren. Sie sollen beispielsweise als Mittel gegen sogenannte Schwarzgeldkonten dienen, über die Geld am Finanzamt vorbeigeschleust werden soll. Den derzeitigen Regierungsparteien kann man bei diesem Thema dank langjähriger Praxiserfahrung einen Expertenstatus zusprechen.
Aus technischer Sicht macht es die Digitalisierung sehr einfach, finanzielle Transaktionen zu erfassen. Für eine große Mehrheit der Bevölkerung sind Bankkonten längst Standard und selbstverständlich verwalten die Banken diese Konten mit Computern. Das bedeutet, dass im Prinzip ein Abfragebefehl genügt, um in Sekunden eine vollständige Übersicht über alle Kunden einer Bank zu erhalten. Nur das Datenschutzrecht ist ein Hindernis.
Die Bankdaten zählen zu den sensibelsten Informationen, denn häufig wird der gesamte Finanzkreislauf sowohl von Personen als auch von Firmen und anderen Organisationen digital abgebildet. Beim Angestellten landet das Gehalt auf dem Konto, und seine Einkäufe zahlt er zumindest bei größeren Beträgen ebenfalls bargeldlos per Überweisung, Bankeinzug oder Karte. Wechseln große Beträge dagegen in »schwarzen Koffern« den Besitzer, geht damit in der allgemeinen Wahrnehmung der Verdacht des Illegalen einher.

2011 kam es zu 62 333 Kontodatenabfragen im »Kampf gegen Sozialmissbrauch und Steuerbetrug«, wie die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete. Im Jahr 2010 waren es noch etwa 57 000 Fälle. Für den sogenannten Sozialmissbrauch sind die Finanzämter zwar gar nicht zuständig, aber auch andere staatliche Institutionen wie die Arbeitsagentur, Bafög-Stellen und Strafverfolgungsbehörden können über die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin Kontodaten abrufen. Ungefähr 8 200 Kontodatenabfragen kamen aus diesem Bereich.
Als die rot-grüne Bundesregierung 2005 die erleichterte Kontodatenabfrage einführte, erfolgten mit etwa 9 000 noch vergleichsweise wenige Abfragen. Seitdem steigt diese Zahl rapide, ungeachtet eines Bundesverfassungsgerichtsurteils aus dem Jahr 2007, nach dem eine solche Überprüfung nur im begründeten Ausnahmefall stattfinden darf. Die Zahlen für 2011 bestätigen also, dass sich der Trend zur Abfrage von Kontodaten dennoch ungebrochen fortsetzt.
Somit überrascht es wenig, dass die Diskus­sion um die aktuellen Zahlen einer Neuinszenierung eines bereits vor genau einem Jahr aufgeführten Stücks gleicht. Schon im Januar 2011 bemängelte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar gleichfalls in der Neuen Osnabrücker Zeitung eine deutliche Steigerung. Den Grund sah er damals schon in der massiven Ausweitung behördlicher Kontrollbefugnisse. Seine Schlussfolgerung war: »Es ist dringend erforderlich, die Befugnisse für die Behörden deutlich zu beschränken.«
Schaars Forderung blieb folgenlos, obwohl der Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung eine Überprüfung des Abrufverfahrens vorsieht. So konnte der politisch machtlose Datenschützer in derselben Zeitung auch jetzt nur wiederholen: »Diesem ungehemmten Zuwachs muss der Gesetzgeber dringend Einhalt gebieten. Eine Maßnahme, die laut Bundesverfassungs­gericht eigentlich als Ausnahme gedacht war, hat sich fast zu einer Routine entwickelt.« Immerhin kam in diesem Jahr eine weitere Merkwürdigkeit ans Licht: Die Behörden verschiedener Bundesländer pflegen offenbar einen sehr unterschiedlichen Umgang mit dem Kontroll­instrument. Berliner Behörden kontrollieren ebenso viele Kontoinhaber wie ihre nordrhein-westfälischen Kollegen, obwohl sie nur ein Fünftel der Einwohnerzahl verwalten. Eine Erklärung für diese Diskrepanz bleibt aus.
Die ohne ersichtlichen Grund stetig steigende Anzahl von Abfragen und die ebenso unbegründet unterschiedliche Handhabe in den einzelnen Bundesländern fördern den Eindruck, dass die Überwachungsmaßnahme unkontrolliert einsetzbar ist, denn der notwendige Anfangsverdacht lässt sich schnell konstruieren. Der Bundes­datenschutzbeauftragte protokolliert bereits Geschehenes erst im Nachhinein und rätselt selbst über die Details. Auch wenn Betroffene im Steuerbescheid darüber informiert werden, wenn Behörden Informationen über ihre Kontodaten abgerufen haben, bleibt unklar, mit welcher Begründung dies geschehen ist. Schaar fordert deshalb eine stärkere Begründungspflicht für die abfragenden Behörden.

Auch die Oppositionsparteien kritisieren die mangelnde Transparenz bei der Kontodatenüber­wachung. Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher und Abgeordneter der Bundestagsfraktion der Grünen, möchte die »ausufernde Abfragepraxis« eindämmen, etwa durch eine verbesserte Begründungspflicht, eine Harmonisierung der Praxis oder eine »gesetzliche Klarstellung«. Jan Korte von der Linkspartei sieht eine »routinemäßige Beschneidung von Grundrechten« und merkt an, dass die Zunahme um 700 Prozent seit 2005 kaum aus einer entsprechenden Zunahme der verfolgten Delikte resultiere. Für die SPD meldet sich die brandenburgische Landtagsabgeordnete Kerstin Kircheis zu Wort: Sie möchte, dass »die zuständigen Behörden ihre Abfragepraxis prüfen und bei Bedarf in Ordnung bringen«. Konkrete Maßnahmen gegen die zunehmende Kontodatenüberwachung schweben weder Oppositions- noch Regierungsparteien vor, erst einmal soll geprüft werden. Die Konsequenz wird wohl eine der Tendenz folgende, weitere Zunahme sein, der oberste Datenschützer wird 2013 erneut berichten.
Den immer häufigeren Kontodatenabfragen fehlt das Potential für einen Skandal im Poli­tik­alltag, denn verglichen mit allumfassenden Überwachungsmaßnahmen wie der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung zur vollständigen Protokollierung der Telekommunikation aller Bürger fallen Anzahl und Art scheinbar harmlos aus. Die deutliche Steigerung der vergangenen Jahre zeigt dennoch, dass der Schutz der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung gegenüber staatlichen Stellen an Bedeutung verloren hat. Als Begründung braucht es nicht unbedingt Terroristen, denn Steuerhinterzieher und sogenannte Sozialbetrüger reichen ebenso aus.