Hat deutschen Rap nach Uganda gebracht

Freestyle in Kampala

Wie ist es, wenn ein deutscher Rapper in Uganda einen Song mit lokalen Künstlern aufnimmt? Chaoze One reiste im Auftrag einer NGO aus Hamburg nach Kampala. Ein Reisebericht.

Als ich morgens um 6.45 Uhr nach 13 Stunden Flug in Entebbe lande, bin ich erst einmal irritiert: Weit und breit ist niemand, der mich abholt. Dann eben ein Taxi. Die erste Autofahrt in Kampala mutet an wie ein Suizidversuch, aber endlich erreiche ich die Unterkunft, in der sich der Rest der Gruppe aus Hamburg bereits befindet. Der Auftrag und der Plan für den Aufenthalt lauten: einen Song mit einem lokalen Künstler aufnehmen und das Trinkwasserprojekt von Viva Con Agua (VCA) in der Region Oyam, im Norden des Landes, besuchen. Die deutsche NGO arbeitet gemeinsam mit der Welthungerhilfe (WHH) in Ländern, in denen die Trinkwasserversorgung nicht gewährleistet ist, und finanziert Projekte, um den Zugang zu sauberem Wasser und den Bau sanitärer Anlagen und Hygieneeinrichtungen in den Dörfern zu ermöglichen.
VCA wurde im Jahr 2005 von Benjamin Adrion gegründet, der als Spieler des FC St. Pauli in einem Trainingslager auf Kuba die Trinkwasserknappheit vor Ort erlebt hatte. Seitdem hat die Organisation mehr als ein Dutzend Projekte in verschiedenen Ländern verwirklicht, mit dem Ziel, die Wasserversorgung und die Verfügbarkeit von sanitären Anlagen zu verbessern.

Mit Rebelzer, einem Graffiti-Künstler aus Hamburg, breche ich auf nach Kabalagala, einem Viertel, das man das St. Pauli von Kampala nennen könnte. Fleisch und Mais braten hier auf Grillrosten, die aus alten Autofelgen gebaut werden, überall stehen Motorräder und Autos japanischen Fabrikats. Rebelzer hat Sprühdosen und Farbe dabei und will sich im Stadtbild Kampalas mit seinen »Freaks« verewigen, für die er auch in Hamburg bekannt ist. An einer Abzweigung neben der Hauptstraße beginnen bereits die Wellblechverschläge. Nach einigen Metern auf der Tank Hill Road kündigt ein Schild einen Plattenladen an. In der Hoffnung, dort Kontakte zu knüpfen, klopfen wir an die Tür. Eine Frau lässt uns in den stockdunklen Raum, in dem keine CDs oder Platten zu sehen sind. Sie stellt sich als Julia, die Managerin des Studios, vor. Auf die Frage, ob es vielleicht möglich sei, mit einem Rapper einen Song zu machen, öffnet sie die Tür zum Hinterraum. Es ist der Aufnahmeraum, in ihm sitzen zwei Jungs vor dunklen Bildschirmen. Die Stromversorgung ist zusammengebrochen, weshalb Ricko, der Produzent, und Nako P., ein Rapper, der gerade einen Song aufnehmen will, zum Nichtstun verdonnert sind. Wir einigen uns darauf, dass Julia anruft, wenn der Strom wieder da ist.
Etwa zwei Stunden und einige Graffiti später ist es so weit. Als wir im Studio ankommen, beginnt die gemeinsame Arbeit. In knapp drei Stunden entsteht das Grundgerüst für den Song. Gleichzeitig schreibe ich auf der Straße meinen Text, was bei den Kindern draußen erhebliche Neugier weckt. Sie setzen sich um mich herum und schauen zu.
Nach einer knappen Stunde taucht Bernhard Fischer auf. Der Sohn einer ugandischen Mutter und eines deutschen Vaters stellt sich als Sänger vor und wird umgehend in die Arbeit eingebunden. Bernhard besucht eine internationale Schule in Kampala, Deutschland kennt er nur aus einigen Urlauben. Um einen Ausgangspunkt zu haben, will Bernhard zuerst den Refrain aufnehmen und danach seine Strophe schreiben. Julia singt die zweite Stimme. Wir schaffen es nur bis zur gesungenen Hookline, danach ist der Strom wieder weg.
Am nächsten Morgen geht es erneut ins Studio. Es gibt wieder Strom. Meine Strophe ist zwar geschrieben, aber noch nicht aufgenommen. Also ab in die Aufnahmekabine. Der Ablauf einer Aufnahmesession scheint überall gleich zu sein. Zunächst wird die Hauptstimme aufgenommen, dann eine Spur, die exakt gleich ist und unter die erste gelegt wird. Dann folgt eine weitere Spur mit einer zweiten Stimme und schließlich werden auf der letzten Spur die Endreime »gedoppelt«, das heißt noch einmal verstärkt. In den Pausen erzählt Julia, die Managerin, ein wenig von sich. »Ich mache die Termine mit den Künstlern, die zum Aufnehmen kommen«, sagt sie. »Meistens schaue ich aber DVDs auf meinem Rechner oder lese, bis jemand vorbeikommt.« Als wir sie fragen, ob sie schon einmal verreist sei, bekommt sie einen verklärten Blick. »Derzeit reise ich gerade durch Deutschland«, sagt sie mit ernster Miene. »Reisen kann ich nur in Büchern, oder eben bei solchen Begegnungen wie mit euch.«

Am dritten Tag steht die Reise nach Lira an, das im Norden des Landes liegt. Wir fahren mit Theo Riedke, der hier für die WHH arbeitet. Joe, ein Journalist aus Kampala, und vier Mitarbeiter der WHH in Lira sind ebenfalls dabei. Im Norden Ugandas hat VCA 37 Bohrlöcher finanziert, die insgesamt etwa 25 000 Bewohnerinnen und Bewohnern der Gegend freien Zugang zu sauberem Wasser ermöglichen. Die WHH betreut das Projekt logistisch. Viele Menschen sind daran beteiligt. Beim heutigen Treffen geht es um Öffentlichkeitsarbeit und das Auftreiben von Spenden in Deutschland, um die Organisation vor Ort und den sinnvollen Einsatz von Mitteln im Projektgebiet. Dazu gehören auch Aufklärungsprogramme zur Trinkwasserhygiene und zur Reduzierung von Infek­tionsrisiken. Nach der Vorstellungsrunde gibt es einen Vortrag zum Projektgebiet, dann sind wir dran. Wir versuchen, mit Videos und Fotos zu erklären, wie wir in Deutschland für VCA Spenden sammeln. Der Besuch der Projektdörfer ist für den nächsten Tag geplant.

Die Fahrt auf den Geländewagen dauert etwa 40 Minuten. Irgendwann steht an der Straße ein unscheinbares Schild mit einem Pfeil nach rechts. Theo geht scharf in die Bremse. Ungläubig schaue ich in die Richtung, in die der Pfeil weist: Ein kleiner Pfad zeugt davon, dass hier noch irgendetwas kommen muss. Und richtig, die Autos biegen ein und wir ruckeln dem Ziel entgegen, dem ersten Dorf, in dem VCA ein Trinkwasserprojekt finanziert. Der Ort ist so klein, dass er nicht einmal auf der Karte verzeichnet ist. Wir fahren an Sesam, Hirse, Mais, Tomaten und Zwiebeln vorbei. Die Vegetation ist üppig, jedenfalls dort, wo ausreichend Wasser vorhanden ist.
Dann hören wir Stimmen. »Aiaiaiaiai!« schallt es plötzlich aus dem Nichts. Wenig später tauchen etwa 100 Menschen auf. Sie wollen die muzungus – die reichen, weißen Männer – begrüßen. Es wird getanzt und gesungen. Die Kinder, die vermutlich noch nie einen weißen Menschen gesehen haben, schauen uns skeptisch an. Einige Frauen haben zum Empfang sogar einen Tanz einstudiert: Es gibt eine Vortänzerin mit Trillerpfeife und eine Gruppe, die den Tanz aufführt. Irgendwie erscheint das alles ziemlich unwirklich. Aber es dauert nicht lange und ich bin drin: Ich tanze, lache und die Gruppe nimmt mich mit. Zum Brunnen.
Da ist er also. Der Brunnen besteht aus einem zementierten Grund, der von einem Holzzaun umfasst ist. Eine Handpumpe befördert das Trinkwasser über einen Hahn nach oben. Einige Dorfbewohner haben den Auftrag, die Pumpe zu warten und zu reparieren, wenn Probleme auftauchen. Sie wurden von der WHH ausgebildet und erklären nun, wie die Pumpe funktioniert. Für einige Pumpen müssen Löcher gebohrt werden, die mehr als 50 Meter tief sind, andernorts reichen schon sechs Meter, um das Grundwasser zu erreichen.
Nach der Begutachtung des Brunnens werden wir unter fortwährendem Gesang zu den Stühlen geführt, die schon im Kreis aufgestellt worden sind. Wir bekommen die einzigen gepolsterten Sitzmöglichkeiten, die mit rotem Samt bezogen sind. Da sitzen sie nun also, die muzungus. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben eine kleine Aufführung vorbereitet. Darin geht es um die Probleme des Dorfes, bevor der Brunnen und die Latrinen gebaut wurden, und um die Krankheiten, die von der mangelnden Hygiene und dem unsauberen Trinkwasser verursacht wurden. Es geht aber auch um die Perspektivlosigkeit der Menschen und um Alkoholismus. Die Frauen spielen im Stück die Hauptrollen. Eine Dame in zerrissenen Kleidern torkelt mit einem Flachmann über die Bühne und lallt hörbar auf Luganda, eine der drei Amtssprachen Ugandas.
Micha Fritz von VCA kündigt in seiner Dankesrede an, dass ein Musiker gleich etwas rappen werde. Richtig, da war ja was. Blöderweise sitzt mir während der gesamten Zeremonie ein Kloß im Hals. Aber was soll’s, da muss ich jetzt durch. Ich schaffe vier Zeilen, doch als die Leute anfangen zu tanzen und zu klatschen, versagt erst meine Atmung, dann meine Stimme. Das kleine Intermezzo dient wenigstens zur Erheiterung. Wenig später bekomme ich noch mal eine Chance und lege los. Diesmal klappt die Atmung und die Worte kommen, ich bin erleichtert. Ich vernehme eine Frauenstimme: »Hakamalakarakapa«. Gelächter. So hört sich deutschsprachiger Rap für ugandische Ohren an. Wir werden verabschiedet mit weiteren »Aiaiaiaiais«, eine Frau schmettert mir mit einem Grinsen ein »Hakamalakarakapa« hinterher.

Zurück in Kampala. Joe, der Journalist, ist am Telefon und will, dass wir in einer Fernsehsendung auftreten: Wir sollen sofort kommen. 30 Minuten und drei security checks später stehen wir im Studio. »Ihr habt vier Minuten«, sagt uns Kyle, der Moderator. Davon soll ich zwei Minuten lang rappen. »Drei, zwei, eins« – wir sind auf Sendung. Kyle spricht mit uns über das Projekt von VCA und macht nach kurzer Zeit eine Unterbrechung für einen Musik-Clip: Wir sind wohl beim ugandischen Viva gelandet. Der nächste Take: »Now it’s your turn, man!« Vorher hatte ich im Schnitt­raum den Song ausgewählt. Nur leider spielt jetzt keiner das Instrumental an. Dann eben spontan. Ich fange an und aus dem Augenwinkel sehe ich, dass mein Auftritt zumindest im Schnitt­raum gut ankommt. Vermutlich kommt gleich einer heraus und singt mit: »Hakamalakarakapa!« Aber das kenne ich ja nun schon. Aus den angekündigten vier Minuten Interview ist insgesamt fast eine halbe Stunde geworden. Danach geht es wieder ins Tonstudio. Die gute Nachricht: Bernhard hat seine Strophe aufgenommen. Die schlechte Nachricht: keine Meldung von Nako P., dem Rapper. Also muss der Plan kurzfristig geändert und die zweite Strophe zwischen Bernhard und mir aufgeteilt werden. Sechs Zeilen für jeden. Wieder ein Stromausfall, die Zeit läuft davon.
Alle in die Kabine: Aufnahme, Ruhe bitte! Danke, der Nächste! Es dauert drei Stunden, bis alle Aufnahmen fertig sind. In knapp zwei Stunden geht die Sonne unter, das reicht für einen Videodreh. Also raus auf die Straße! Wir biegen zweimal um die Ecke und laufen in den Slum.
Während der Song läuft, strömen Kinder und Jugendliche zu uns, sie wollen wissen, was wir machen. Wir suchen uns geeignete Stellen und drehen einfach. Inzwischen folgt uns eine Traube Kinder. Eine letzte Einstellung, bevor die Sonne uns für heute verlässt, wollen wir auf der Mauer mit dem »Ultra St. Pauli«-Schriftzug aufnehmen. Mit einem sportlichen Sprung bin ich oben, und plötzlich steht ein Mann mit Gewehr vor mir, keine Seltenheit hier in Kampala. Allerdings hängt das Gewehr nicht locker über der Schulter, sondern ist mit dem Lauf auf mich gerichtet. Nach wenigen Sekunden wendet sich der Bewaffnete aber seinem Telefon zu und entspannt seine Körperhaltung. Ich drehe mich um und rappe in die Kamera mit dem bewaffneten Mann im Rücken.
Während der Taxifahrt zum Flughafen ziehen die Orte und die Bilder an mir vorbei, die auf dem Hinweg noch so befremdlich wirkten. Die letzte Seite meines Reisepasses ziert ein echter Rebelzer-Freak, der mit erhobenem Zeigefinger sagt: »There are only world citizens.« Wird die ugandische Polizistin ein Problem mit dem Kunstwerk haben? Nein, sie grinst. Bye Uganda! See you very soon!