Die Kunstaktion »Deutschland schafft es ab«

Wie alte Socken

Die siebte Berlin Biennale hat noch nicht begonnen, doch schon wird über die Kunstaktion »Deutschland schafft es ab« diskutiert.

Das ist oft das Problem der politischen Kunst: Sie mag intentional auf der richtigen Seite stehen, heischt so natürlich auch um Zustimmung, künstlerisch kann sie dennoch banal oder misslungen sein. Vor einem Jahr regte der polnische Videokünstler Artur Žmijewski, Kurator der im April 2012 stattfindenden 7. Berlin Biennale, in einer »offenen Ausschreibung« zum Mitmachen an: Künstler wurden »weltweit aufgefordert«, ihre politische Haltung auf ein Papier im DIN-A4-Format zu schreiben und zu »Recherchezwecken« an die Kunstwerke Berlin zu senden.
»Da die Recherche auch die Frage betrifft, ob Künstlerinnen und Künstler sich selbst als politisch ansehen, bitten wir Sie, uns über ihre politische Neigung zu informieren (z. B. rechts, links, liberal, nationalistisch, anarchistisch, feministisch, maskulinistisch, oder worüber Sie sich sonst identifizieren)«, hieß es in der Ankündigung.
Die Einsendung des politischen Bekenntnisses bedeute allerdings noch nicht, dass der Künstler auch ausgestellt werde. Ein Recht, den Beitrag nachträglich zurückzuziehen, bestehe nicht. Nach welchen Kriterien nun letztlich die Einsendungen von Artur Žmijewski ausgewählt oder präsentiert werden, bleibt sein Geheimnis. Kunst als Preisausschreiben oder Vertrauenssache?
Auf Facebook klickten viele Künstler den Button »Ich nehme teil«. Ähnlichkeiten mit anderen Kunstaktionen, in denen es ebenfalls um massenhaftes Einsammeln möglichst vieler individueller Positionen geht, wie in Karin Sanders Audio-Installation »Zeigen« mit 599 Künstlern, sind unübersehbar. Als Künstler bereitet mir eine solche Herangehensweise großes Unbehagen. Spiegeln sich in dieser Offenheit für alles nicht auch die Allmachtphantasien des Künstlers? Als hyperaffirmative Strategie kann dieser Ansatz selbstverständlich funktionieren, da Kunst bereits als institutioneller Rahmen eine gewisse Distanz produziert. Doch wie weiter?
Tatsächlich wird in seinen Werken eine Erlöser- und Machogeste wahrnehmbar, wie sie in den Kunstwerken Berlin (KW) fast zum Stilmittel geworden ist. Ein Beispiel: In seiner Videoarbeit »80064« aus dem Jahr 2004 erneuerte Artur Žmijewski die verblasste Tätowierung der Häftlingsnummer bei einem 92jährigen ehemaligen polnischen KZ-Häftling, der inzwischen von einer kleinen Rente lebte. Überreden konnte er Josef Tarnawa mit einer Geldofferte. Žmijewskis Video dokumentiert den Prozess des erneuten Tätowierens. In der Zeitschrift Art sagte er: »Ich habe den Mann genötigt und missbraucht. Ich wollte ihn noch mal zum Opfer machen, um diesen Moment zu beobachten, in dem er zustimmt, Opfer zu sein.«
Sicher wäre es möglich, diese zweite Tätowierung als künstlerisches Gleichnis von Traumaarbeit zu interpretieren, die coolen Sprüche des Künstlers von der Lust am Leiden anderer Menschen als hyperaffirmativ oder moralische Geste des Aufrüttelns zu deuten. Aber würde das die Kunst, die unbedingt Grenzen überschreiten will, nicht sogar noch uninteressanter machen, als sie es eh schon ist?
Die Kunst von Artur Žmijewski zielt vor allem auf die Erregung von Aufmerksamkeit durch den kalkulierten Schock. Ganz ähnlich ist auch die Videoinstallation »Singing Lesson« konzipiert. Gehörlose singen ein Stück von J. S. Bach. Gehörlose reproduzieren also die Hochkultur der Hörenden mit ihren von dieser Mehrheit meist deutlich abweichenden Stimmlagen. Keine Rolle spielt dabei, dass Gehörlose in der Gebärdensprache und der Gebärdenpoesie längst eigene Kunstformen entwickelt haben, die Lautsprachlern oft völlig unbekannt sind. Grenzen und Verbindungen können etwa in Gebärdenpoesie gleichzeitig spürbar werden.
Kann Grenzüberschreitung zu einem Wiederholungskult werden? Jedenfalls kann ein Tabubruch genauso gut das verdecken, was er zu zeigen beabsichtigt. In diesem Zusammenhang fasziniert mich bis heute die Tänzerin Valeska Gert (1892–1978), der es gelang, im Tanz Grenzen spürbar zu machen. Dies ist die notwendige künstlerische Herangehensweise an Grenzen. Der Komponist John Cage hat einmal den Gedanken formuliert, es gelte vom Anderen her zu denken, nicht auf den Anderen zu. Genau umgekehrt arbeitet etwa der Künstler Santiago di Sierra, wenn er gegen einen Schuss Heroin die Körper von drogenabhängigen Prostituierten tätowiert. Denn so sind es immer andere Körper, die tätowiert und zu Anschauungszwecken ausgestellt werden – und es sind die Körper »anerkannter« Außenseiter. Mit ähnlichen christlich-katholischen Erlösergesten hat auch Christoph Schlingensief gespielt – aber zumindest der frühe Schlingensief hätte auch zur Tätowierung des CDU-Bundesvorstands aufgerufen. Danach kamen ihm die grenzüberschreitenden Ideen abhanden, und der Katholizismus siegte. Zugleich wurde die Rebellengeste von der Kunst erwartet.
Eine Aktion im Rahmen der Biennale mit dem Titel »Deutschland schafft es ab« hat jetzt für Diskussionen gesorgt. Martin Zet plant, Thilo Sarrazins rassistischen Besteller zu entsorgen, und rief dazu auf, die Exemplare an ausgewählten Sammelstellen abzugeben. »Ab einem bestimmten Moment ist es nicht mehr wichtig, was die Qualität oder wahre Intention eines Buches ist, sondern welchen Effekt es in der deutschen Gesellschaft hat«, begründet Zet seinen Plan. »Das Buch weckte und förderte antimigrantische und hauptsächlich antitürkische Tendenzen in diesem Land.« Nun bekämpft er den Effekt mit Effekten. »Sammelstellen« wurden eingerichtet, ohne dass bemerkt wurde, dass dieses Wort im Kontext eines »Bücherrecyclings« hierzulande unangenehme Assoziationen hervorrufen könnte. Die Bücher würden natürlich nicht »verbrannt«, nur ökomodern »recycelt«, dämpft die Pressestelle aufkommenden Unmut. Martin Zet wolle »den Menschen ermöglichen, ihre eigene Position zu bekunden«. Inhaltlich ist seine Botschaft allzu eindeutig, zu platt, sie versagt als Kunst, da sie zu formal ist.
Von der Kritik sei er völlig überrascht, sagte Zet der Welt, um sich dann zum Opfer zu stilisieren: »Nun, ich glaube, ich bin der zurzeit meistgehasste Künstler in Deutschland.« Ob er denn nicht an die Assoziation mit der Bücherverbrennung gedacht habe? »Ich wusste nicht, dass das Land davon noch so traumatisiert ist.« Ist das nun naiv, schleimig, dumm oder arrogant?
Während erste Kulturinstitutionen ihre Zusage, als »Buch-Sammelstelle« zu fungieren, zurückziehen, andere das Projekt wiederum verteidigen, schlägt Martin Zet eine Volte nach der anderen: »Ergebnisoffene Diskussionen« werden jetzt angekündigt, um über den weiteren Umgang der eingesammelten Bücher zu entscheiden.
Es ist einfach zu schön um wahr zu sein: Dass reumütige Rassisten mit schamrotem Kopf und gesenktem Blick in die Kunsthallen schleichen, um unter dem Applaus des garantiert 100 Prozent rassismusfreien Kunstvolkes mit zerlesenem Sarrazin unter dem Arm um Ablass bitten. Die Effekte, die die unterkomplexe Effektkunst zeitigt, sind vorhersehbar: Sarrazin-Anhänger können nach dem Schock um die Zwickauer Zelle wieder freimütig von »Zensur« reden, ja – sich gar mit verfolgten Schriftstellern aus der Nazizeit identifizieren, derweil sich der Kunstbetrieb als antirassistische Einheit auf der richtigen Seite wähnen kann. Spiegel und Bild, die den Thesen des Hobby-Eugenikers und SPD-Mitglieds überhaupt erst zu Popularität verholfen haben, werden nicht entsorgt.
Die Kunstaktion »Deutschland schafft es ab« kann es zwar hinsichtlich der Aufmerksam­keits­ökonomie mit dem Buch Sarrazins aufnehmen. Politisch ist die Idee, sich vom Rassimus reinigen zu können, eher kontraproduktiv.
Am Ende bleiben nur noch Gut und Böse, Rassisten und Nichtrassisten, Schuldige und Unschuldige. Irritierend ist, dass es längst zahlreiche fundierte Kritiken an Sarrazins weißem Elite-Rassismus gibt, die allerdings kaum konstruktiv aufgegriffen wurden.
Schon jetzt ist absehbar, dass die Kommentare und Kritiken zur Biennale-Aktion »Deutschland schafft es ab« als eine spannende, kontroverse Diskussion bezeichnet werden. Und das die Debatten die Kunstaktion umso interessanter habe werden lassen. Dieser Artikel wird als Teil der Debatte gelten. Und daher die Warnung: Ich schreibe auch über alte, ungewaschene Socken.