Über den Streik am Frankfurter Flughafen

Streikrecht vor Gebrauch schützen

Die streikenden Lotsen am Frankfurter Flughafen werden nicht nur von Arbeitgebern scharf kritisiert, sondern auch von Vertretern der DGB-Gewerkschaften.

Kaum treten Beschäftigte für einige Tage ernsthaft in den Ausstand, fordern Wirtschaftsvertreter, Politiker und Medien eine Einschränkung des Streikrechts und werden dabei noch von DGB-Funktionären unterstützt. In einem Land, das im europäischen Maßstab die wenigsten Streiktage aufzuweisen hat, scheint dieses Recht ein Museumsstück zu sein, dass vor der Ausübung möglichst gut geschützt werden muss. Das war in der vorigen Woche wieder zu beobachten, als am Frankfurter Flughafen die Vorfeldlotsen in den Ausstand traten und einige Flieger auf dem Boden bleiben mussten. Die in der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisierten Beschäftigten wurden schnell zum Ziel eines gewerkschaftsfeindlichen Furors, an dem sich auch ehemalige und noch aktive DGB-Gewerkschafter beteiligten.

Den Ton gab die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vor. »Der vollkommen unverhältnismäßige Streik der Kleinstgewerkschaft GdF zeigt, dass wir dringend klare Spiel­regeln für das Nebeneinander mehrerer Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes brauchen. Zum Schutz vor den Auswüchsen zügelloser Splittergewerkschaften brauchen wir eine gesetzliche Regelung«, sagte VKA-Präsident Thomas Böhle, der damit versuchte, an eine im vergangenen Jahr am öffentlichen Druck gescheiterte Initiative von Arbeitgeberverbänden und DGB zur Einschränkung des Streikrechts anzuknüpfen. Es ging auch dabei um Repressalien gegen kampfstarke Kleingewerkschaften, die wirkungsvollen Druck ausüben können. Sie sind auch für viele ehemalige Mitglieder von DGB-Gewerk­schaften attraktiv, die von deren meist zahmen Arbeitskampfritualen enttäuscht sind.
Herbert Mai, der derzeitige Arbeitsdirektor der Betreibergesellschaft des Flughafens, Fraport, sieht daher auch kein Problem darin, dass er als langjähriger Funktionär der in Verdi aufgegangenen Gewerkschaft ÖTV den Streikbruch gegen die Vorfeldlotsen mitorganisiert. »Das passt deshalb zusammen, weil Verdi nie einen Arbeitskampf vom Zaune brechen würde, der nur eine Berufsgruppe betrifft und der im Vergleich zu anderen Berufsgruppen exorbitant unangemessen ist, so dass er das Tarifgefüge und die Solidarität der Kollegen untereinander aufbricht. Gewerkschaften fühlen sich generell dem Gedanken der Solidarität verpflichtet«, stellte Mai im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau klar. Allerdings meinte er damit nicht die Solidarität mit den streikenden Kollegen, er schien sich eher um das bestreikte Unternehmen zu sorgen. In einem Gespräch mit dem Focus betonte Mai den Unternehmerstandpunkt: »Was die GdF fordert, ist eine völlig inakzeptable Erhöhung der Gehälter. Darauf können wir nicht eingehen, weil es gegenüber den andern 20 000 Beschäftigten nicht vertretbar ist.«

Fast wortgleich argumentiert Verdi-Sekretär Gerold Schaub, wenn er der GdF vorwirft, mit ihren Tariforderungen den Betriebsfrieden zu gefährden. Auch die Betriebsratsvorsitzende Claudia Amier teilte im Gespräch mit der Financial Times Deutschland ihre Sorge um das Unternehmen mit. »Eine kleine Gruppe von Beschäftigten nutzt ihre Monopolstellung aus, um Entgelte zu erzielen, die weit über jedes Maß hinausgehen und völlig unverhältnismäßig sind«, sagte sie. Dass die GdF in den Ausstand getreten ist, nachdem die Fraport den Spruch eines von ihr akzeptierten Schlichters abgelehnt hatte, wird dabei gar nicht erwähnt. Der GdF-Tarifexperte Markus Siebers reagiert gelassen. »Leute, die so eng mit dem Unternehmen verwoben sind wie die derzeitige Betriebsratsführung und Verdi, kann ich nicht ernst nehmen. Sie sollten sich besser um eine gute Interessenvertretung für ihre Mitglieder kümmern«, sagt er.
Ebenso gelassen reagierte die GdF bereits auf eine Schadenersatzklage der Fluggesellschaften Ryanair, Lufthansa und Air Berlin. Insgesamt 3,2 Millionen Euro Schadenersatz fordern die Airlines in einer Zivilklage, weil die GdF während eines Tarifkonflikts im Spätsommer 2011 zu Streiks aufgerufen hatte, die dann nicht stattfanden, weil es nach der Drohung mit einem Ausstand in der Feriensaison zu neuen Verhandlungen kam. Der Kölner Arbeitsrechtler Dirk Vogelsang hält die Erfolgsaussichten der Klage für gering. Doch allein die Anrufung der Gerichte erhöhe den Druck. »Es ist für eine kleine Gewerkschaft immer latent existenzbedrohend, wenn sie mit einer Klage in dieser Höhe konfrontiert ist«, so Vogelsang. Zudem soll eine solche Maßnahme disziplinierend auf die Gewerkschaft wirken. Weil das bei der GdF anscheinend noch nicht funktioniert, wird nun wieder nach gesetzlichen Einschränkungen des Streikrechts gerufen.
Das würde im europäischen Trend liegen. Die Durchsetzung des deutschen Sparmodells mit »Schuldenbremsen« und massiven Verschlechterungen für die Lohnabhängigen ist an repres­sive Maßnahmen gekoppelt. So gehört zum Diktat der EU in Griechenland auch ein massiver Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit. Danach sollen Kollektivverträge für Lohnerhöhungen nicht mehr möglich sein. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds will die Löhne so lange einfrieren, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 Prozent zurückgegangen ist. Auch in Spanien plant die Regierung eine Aufhebung des Rechts auf Streik, wenn mit dessen Gebrauch »ein irreparabler Schaden für die Wirtschaft oder die Sicherheit« verbunden ist.
Der Berliner Gewerkschafter Willi Hajek ist Mitbegründer des im vergangenen Jahr entstandenen »Komitees für Gewerkschaftsfreiheit«. Es hatte zum 1. Mai 2011 von Repression bedrohte Gewerkschafter aus Spanien, Deutschland, Polen und Italien zu einer Konferenz nach Berlin ein­geladen. Zu dieser Zeit musste sich die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen-Union (FAU) Berlin gegen juristische Versuche wehren, ihr das Recht abzusprechen, als Gewerkschaft aufzutreten. Hajek sieht in der Beteiligung von DGB-Gewerkschaftern an der Kampagne gegen den GdF-Streik den Versuch, »die eigene Monopolstellung zu sichern und die Basisgewerkschaften und die Spartengewerkschaften niederzuhalten«. Die Flughafengesellschaft sei seit Jahren »ein Musterbeispiel für die Kungelei und den Filz zwischen Leitung, Betriebsrat und Gewerkschaften, die an die Zustände bei VW erinnern«. Allerdings würden die kleinen Gewerkschaften dadurch eher bestärkt und auch für unzufriedene Mitglieder aus DGB-Gewerkschaften attraktiv.

»Am Frankfurter Flughafen entwickelt sich seit einiger Zeit eine gewerkschaftliche Kultur der Vielfalt«, sagt Hajek mit Verweis auf die gewerkschaftliche Organisierung beim Kabinenpersonal, bei den Piloten und nun den Vorfeldbeschäftigten. »Diese Entwicklung hat sehr viel mit den spezifischen Belastungen in den jeweiligen Berufen, aber auch den Erfahrungen der Beschäftigten zu tun, mit der Organisierung in diesen Gewerkschaften eine reale Kampfstärke zu erhalten, die von Verdi bisher nicht eingesetzt wurde.« Das bestätigt indirekt auch Jan Jurczyk, der Pressesprecher von Verdi. Er hat die Parole »Hände weg vom Streikrecht« mit einer ganz besonderen Begründung unterstützt: »Das Streikrecht wird von keiner Gewerkschaft so sehr beansprucht, dass man es gesetzlich regeln muss.«