Über Schriftsteller, die immer ärmer werden

Autoren am Rande des Existenzminimums

Weniger Lesungen, gekürzte Stipendien, steigende Lebenshaltungskosten. Ein Großteil der Schriftsteller
zählt zu den Geringverdienern und kann von materieller Sicherheit nur träumen.

Die derzeitigen Lebensbedingungen von Schriftstellern sind objektiv schwer zu ermitteln. Es scheint, als ob sich eine immer größere Kluft auftut zwischen wenigen Großverdienern und den »Prekären«, also der absoluten Mehrheit.
Zwar werden Schriftsteller stärker als je zuvor in den Medien als Stars inszeniert. Eine Handvoll von ihnen hat sogar eine eigene Fernsehsendung, wie Wladimir Kaminer oder Thea Dorn. Allerdings können immer weniger Schriftsteller vom Schreiben allein leben. Viele Autoren verdienen so wenig, dass sie kaum den monatlichen Beitrag zur Künstlersozialkasse entrichten können. Der Stern ging vor einiger Zeit der Frage nach, wie viel Schriftsteller denn nun verdienen. Das Ergebnis war niederschmetternd: Durchschnittlich waren es 955 Euro brutto monatlich. Das Einkommen eines Buchhändlers wurde dagegen mit immerhin 1 700 Euro brutto angegeben.
Nicht ohne Grund siedeln viele deutschsprachige Autoren in Länder um, in denen die Lebenshaltungskosten geringer sind. Offiziell heißt es dann zwar, der Autor möge vor allem die besondere Lebensart oder die schöne Landschaft. Nicht selten stecken dahinter aber wirtschaft­liche Zwänge.
Die Literaturagentin Karin Graf ist überzeugt, dass sich die Arbeits- und Lohnverhältnisse von Schriftstellern in den vergangenen zehn Jahren wesentlich verschlechtert haben. Das liegt auch an den insgesamt gestiegenen Lebenshaltungskosten, die es Geringverdienern immer schwerer machen, ein halbwegs passables Leben zu führen. Zum anderen fehlen die Einnahmen. Die Zahl der in Deutschland stattfindenden Lesungen hat sich beispielsweise innerhalb von zehn Jahren von 30 000 auf 10 000 verringert. Viele Buchhandlungen und Literaturcafés haben Lesereihen mit monatlichen Terminen abgesetzt und bieten sie nur noch vierteljährlich an. Fast jeder Autor, den ich kenne, sagt, er habe weniger Lesungsanfragen als früher. Da die Mehrzahl der Autoren nicht vom Buchverkauf allein leben kann, sondern sich maßgeblich durch Lesungshonorare finanziert, bedeutet dieser Rückgang enorme finanzielle Verluste.
Eine weitere wichtige Einnahmequelle für Autoren sind Stipendien und Arbeitsaufenthalte. Doch die Träger haben das Budget in den vergangenen Jahren zumeist gekürzt. So erhält ein Stipendiat des Künstlerhauses Lukas in Ahrenshoop an der Ostsee heutzutage die Hälfte dessen, was ein Stipendiat vor fünf Jahren erhielt: 500 statt 1 000 Euro – für einen gesamten Monat. Von dieser Summe muss schließlich auch die Miete für die eigene Wohnung daheim bezahlt werden. Ich erinnere mich an einen Aufenthalt in Flandern/Belgien, bei dem ich ein Stipendium über 600 Euro für einen Monat erhielt. Mit den Lesungen, die ich in dieser Zeit in Deutschland absagen musste, hätte ich mehr verdient. Zuweilen bieten Stipendien dem ­Autoren auch lediglich freies Wohnen, aber kein Geld.
Je älter die Autoren werden, desto schwieriger wird oftmals ihre wirtschaftliche Situation. Jüngere Schriftsteller erhalten häufiger Stipendien als ältere. Viele Stipendien werden ohnehin nur bis zu einer Altersgrenze von 35 Jahren vergeben. Auch können Jüngere eher noch auf familiäre Unterstützung zählen. Insbesondere den Schriftstellern, die in den kommenden Jahren das Rentenalter erreichen, steht ein Leben in Armut bevor. Da die Künstlersozialkasse erst 1983 gegründet wurde, können sie den vollen Versicherungszeitraum von 40 Jahren gar nicht abdecken. Falls sie sich nicht zuvor privat versichert haben, was wegen der geringen Einkommens bei den wenigsten der Fall sein dürfte, sind sie auf staatliche Transferleistungen angewiesen – es sei denn, dass sich doch noch ein umwerfender Erfolg einstellt.
Ein psychisches Problem vieler Schriftsteller ist, dass es ihnen oft an Selbstbewusstsein mangelt, was den Wert ihrer Arbeit angeht. Während niemand von einem Zahnarzt erwarten würde, dass er seinen Job umsonst macht, werden Schriftsteller dauernd gefragt, ob sie bereit seien, auch ohne Honorar aufzutreten, zu lesen, zu debattieren, zu unterrichten oder eine Geschichte zu schreiben. Der Münchener Schriftsteller Georg M. Oswald hat diese Haltung in einem Essay für die Welt beschrieben: »Ich bekam einen Preis für mein Buch, den Bayerischen Staatsförderpreis, dotiert mit 10 000 Mark, was den Gesamtbetrag meiner Einkünfte durch ›Das Loch‹ auf 42 000 Mark erhöhte. Auch heute noch finde ich, das ist eine stattliche Summe für ein erstes Buch. Rechnete man einen Stundenlohn aus, erschien sie allerdings weniger glänzend. Aber so habe ich die Sache nicht gesehen. Ich hätte die Geschichten ja auch geschrieben, wenn mir niemand Geld dafür gegeben hätte, und so sah ich jede Mark, die ich dafür bekam, als Gewinn an, als Belohnung.«
Leider sind viele Schriftsteller, ob aus purer Unkenntnis oder aus Abneigung gegen die Beschäftigung mit dem Thema Geld, nicht gerade geschickt darin, über ihre Honorare zu verhandeln. Manche delegieren diesen Teil der Arbeit an Literaturagenten, die jedoch weniger Aufgaben als etwa die Booking-Agenten im Musikbetrieb übernehmen und zum Beispiel keine Auftritte organisieren.
Weil Autoren meist Künstler, Manager, Rechercheur und Sekretär in Personalunion sind, müssen sie ständig zwischen verschiedenen Rollen wechseln. Die notwendige Bewältigung unglaublich vieler kommunikativer und administrativer Aufgaben verträgt sich überdies schlecht mit einem introvertierten, romantischen oder weltfremden Gemüt. Als 15jährige wollte ich Schriftstellerin werden, weil ich mir einbildete, dann in Ruhe zu Hause am Schreibtisch sitzen und all die verwirrenden Gedanken in meinem Kopf ordnen und zu Papier bringen zu können. Auch meine Generation ist letzlich noch von Spitzwegs Bild des Dichters im stillen Dachstübchen geprägt. Nie hätte ich gedacht, in welchem Maße der Schriftsteller eine öffentliche Person geworden ist. Der Alltag des Literaten ist geprägt von Lesungen, Fernsehauftritten, Podiumsdiskussionen, Debattenbeiträgen, Radiointerviews, Fotoshootings, Terminen beim Steuerberater, der Suche nach dem richtigen Agenten, Gesprächen mit Schülern oder Studenten und Reisen im In- und Ausland. Das Schreiben an fremden Orten, das ­Leben und Arbeiten mit einem »mobilen Büro« gehören dazu. All diese Anforderungen, die raschen Themen- und Ortswechsel, produzieren eine große Unruhe, die sich unmittelbar auf das Schreiben auswirkt und nicht gerade förderlich dabei ist, zu umfangreichen Epochenromanen auszuholen. Nur wenige Gutverdiener können es sich leisten, die Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen auch einmal abzusagen, um sich ins berühmte Dachstübchen zurückzuziehen. Nicht wenige entdecken deshalb die kleine Form für sich, wandern in den Journalismus ab oder schreiben ein 80-Seiten-Büchlein, das eigentlich »Erzählung« genannt werden müsste, vom Verlag aber aus verkaufstechnischen Gründen mit der Gattungsbezeichnung »Roman« beworben wird. Manchmal, selten, wird solch ein Werk über Nacht ein Bombenerfolg. Judith Hermanns »Sommerhaus, später« (250 000 verkaufte ­Exemplare) war ein Kurzgeschichtendebüt von 107 Seiten. Ebenso überraschend werden gestandene Autoren von ihren Verlagen vor die Tür gesetzt, weil sich ihre letzten Bücher nicht gut verkauft haben. Dann bleibt das Unterrichten an Volkshochschulen oder das Taxifahren, wenn sich kein zahlungskräftiger Verlag mehr findet.
Der Schriftsteller Georg M. Oswald schließt seinen Essay mit den Sätzen: »Sie sehen, es gibt keinerlei erkennbare Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich literarischer oder kommerzieller Erfolg voraussagen ließe. Zurück also zum Ausgangspunkt: Gibt es den Beruf des Schriftstellers überhaupt? Gegenfrage: Gibt es den Beruf des Lottospielers? Nein, es gibt nur Leute, die es nicht lassen können.«