Kritik an kolonialen Motiven in der Werbung

Das Bier der anderen

Dass die Verbrechen der europäischen Kolonialgeschichte immer noch verharmlost werden, zeigt sich auch in der Produktwerbung. Drei Beispiele aus Österreich.

Reisebüros mit dem Namen Columbus gibt es wie Sand am Meer – was durchaus naheliegend ist, schließlich war der um 1451 als Cristoforo Colombo geborene Seefahrer viel unterwegs. Es gibt auch eine Fahrradmarke mit seinem Namen, und wer schon mal in Mexiko herumgekommen ist, hat sicherlich häufiger in Bussen der Gesellschaft Cristóbal Colón, so sein spanischer Name, gesessen. Bekanntlich war Columbus auch ein sogenannter Entdecker und Eroberer. Werbefachleute bedienen sich häufig entsprechender Metaphorik, um die Originalität von Produkten zu betonen. 
Die Salzburger Brauerei Stiegl brachte im Juli 2016 ein Bier der Sorte Pale Ale auf den Markt: »Stiegl Columbus 1492«. Als eine der größten Brauereien Österreichs ließ die Firma landesweit großformatige Plakate anbringen. Der Claim: »Das Bier für Entdecker«. Der Werbetext empfiehlt das Bier all jenen, die »geschmacklich gerne zu Entdeckern werden möchten, ohne gleich eine Expedition starten zu wollen«. Und einen Platz in den Geschichtsbüchern hat das Unternehmen selbstverständlich mehr als verdient: »1492 wurde mit der Entdeckung Amerikas Geschichte geschrieben, zeitgleich wurde in Salzburg die Stieglbrauerei gegründet.«
Die Brauerei Gusswerk bewirbt ein ähnliches Bier – mit anderem histo­rischem Zusammenhang: »Nicobar I.P.A.« Die Abkürzung steht für India Pale Ale, ein Bier mit höherem ­Alkohol- und Hopfengehalt, das in England und Schottland für die lange dauernde Verschiffung in die Kolo­nien gebraut wurde. Auf der Website der ausschließlich Bio-Bier brauenden Firma heißt es: »Dieses India Pale Ale ist inspiriert von der Reise der österreichischen Flotte von Triest zu den Nikobaren. Sie transportierte ein besonderes Gebräu, das für die einzige österreichische Kolonie im indischen Ozean bestimmt war.« Diese Reise diente dem ersten, unter Erzherzogin Maria Theresia unternommenen Versuch, Kolonien für Österreich zu erobern. Die Nikobaren, eine ­Inselkette etwa 200 Kilometer nördlich der indonesischen Insel Sumatra, wurden 1778 von der Triestiner Ost­indischen Handelskompanie zur Kronkolonie erklärt. Die Habsburger konnten die Inseln jedoch nicht ­halten, das koloniale Experiment wurde mangels Flottenstärke unter Kaiser Joseph II. vorerst aufgegeben. Dem Historiker Andreas Bilgeri ­zufolge spielten die Nikobaren erst im 19. Jahrhundert wieder eine ge­wisse Rolle im »Konzert der Kolonialmächte«.
Auf ein ähnliches Marktsegment wie die Bio-Brauerei ist die Schokoladenmanufaktur Xocolat ausgerichtet. Die Firma mit Geschäften für teure Schokoladenprodukte in Wien, Baden, Graz und Bregenz bewirbt ihren Kakao mit dem Hinweis, dass er bei den Azteken ein wertvolles und geschätztes Getränk war. Dieses sei im 16. Jahrhundert durch »Hernando Cortez, den großen Eroberer und Entdecker«, nach Europa importiert worden. Cortez führte die spanische Eroberung des heutigen Mexiko an. Durch geschickte Bündnispolitik mit nichtaztekischen Bevölkerungsgruppen und den Einsatz von Gewehren gelang es seinen Truppen 1521, das Reich der Mexicas, auch Azteken und Aztekinnen genannt, zu zerstören. 
Neil Young widmete dem Eroberer 1975 einen Song mit dem ebenso schlichten wie treffenden Titel »Cortez the Killer«. Mit dem Verweis auf Hernando Cortez, den »großen Eroberer und Entdecker«, dem die Kakaogenießer hier nacheifern sollen, bezieht sich die Marke auf einen Mann, der für den Tod Tausender Menschen verantwortlich war und mit der Eroberung Mexikos einen Jahrzehnte währenden Massenmord ausgelöst hat. »Ein großes Lustrevier für Entdecker und Eroberer«, verspricht Xocolat seinen Kundinnen und Kunden.
Dass die als Entdeckung bezeichnete Eroberung Amerikas und anderer Kolonien nach wie vor zur positiven Bezugnahme taugt, ist skandalös. Immerhin waren von den rund 80 Millionen Menschen, die um das Jahr 1500 auf den beiden Subkontinenten lebten, ein Jahrhundert später nur noch etwa zehn Millionen übrig. Waffengewalt, eingeschleppte Krankheiten (»Mikrobenschock«) und das brutale Arbeitsregime, das die Europäer errichteten, führten zum wahrscheinlich größten Genozid der Geschichte. Die Einteilungen von Menschen in ethnisierte Gruppen und die darauf basierende soziale Ungleichheit in Lateinamerika ist ein Ergebnis des Kolonialismus, der bis heute verheerende Auswirkungen hat.
Überhaupt: Was haben die Eroberer schon entdeckt? In seinem 1982 erschienenen Buch »Die Eroberung Amerikas. Das Problem der Anderen« beschreibt der Literaturwissenschaftler Tzvetan Todorov, wie Columbus auf die Einheimischen zuging und bezeichnet seine Haltung als finalistisch: Columbus interessierte sich nicht für die Menschen – was ihre Praktiken zu bedeuten hätten, war immer schon im Voraus klar. Columbus fand so vor allem, was er zuvor erwartet hatte und ordnete alles in die religiösen Muster seiner Zeit ein. Er fühlte sich einerseits an das Paradies erinnert, weil die Einheimischen nicht bekleidet waren. Andererseits sah er ein Babylon vor sich, weil er niemanden verstand. Er verkannte die »Vielfalt der Sprachen« und hielt sie für Sprachlosigkeit.
Das trifft letztlich auch für Cortez zu. Er bewunderte die Manieren der aztekischen Oberschicht zwar, blieb den kulturellen Gepflogenheiten der Indigenen insgesamt jedoch »gleichzeitig völlig fremd« (Todorov). Für das Gros der spanischen Eroberer gilt: »Bestenfalls sagen die spanischen Autoren Gutes über die Indianer, doch abgesehen von wenigen Ausnahmen sprechen sie nie mit den Indianern.«
Den Menschen auf den Nikobaren wird das österreichische Bio-Bier ziemlich egal sein. Auch in Lateinamerika hat man gemeinhin andere Probleme, als sich mit Werbestrategien europäischer Firmen zu beschäftigen. Trotzdem handelt es sich um geschichtspolitische Haltungen, die eine kollektive Verharmlosung der Kolonialgeschichte zum Ausdruck bringen, zu der sie zugleich beitragen. 
Es gibt durchaus Einspruch. Über das Stiegl-Bier gab es auf Facebook einige Empörung und Isabel Prado Jacob stellte im Oktober 2016 in einem Artikel im Missy Magazine klar, dass Columbus kein Held gewesen sei. Bei den Entdeckern und Eroberern wie Columbus habe es sich vielmehr um »Arschlöcher, Massenmörder, Vergewaltiger« gehandelt. Eroberung heißt im Großen und Ganzen Krieg und Unterwerfung. 
Für ein »historisches Unrecht« hält auch Reinhold Barta von der Brauerei Gusswerk den Kolonialismus. Seine Brauerei wolle mit ihren Produkten »grundsätzlich keine Politik betreiben«, erklärt er auf Nachfrage – und tut es dennoch. Das sieht immerhin der Miteigentümer von Xocolat, Werner Meisinger. Er räumt ein, dass man eine Billigung der Gräueltaten aus der Schokoladenwerbung »mit dem entsprechenden Sensorium heraushören« könne. Er wolle das zum Anlass nehmen, beim Nachdruck der Werbung »eine Textkorrektur vorzunehmen«. Bei der Stiegl-Brauerei hingegen macht man es sich einfacher. Es sei bei dem Biernamen bloß darum gegangen, »den in Österreich relativ unbekannten Bierstil einem größeren Kreis an Bierfreunden« näher zu bringen, erklärt Junior Media Manager Christina Kirnstötter. Von den »dramatischen historischen Ereignissen von anno dazumal distanzieren wir uns allerdings ganz klar«. 
Der Name aber bleibt. Wie das gehen soll, mit »Columbus 1492« zugleich eine Nähe und eine Distanz zu den »dramatischen historischen Ereignissen« herzustellen, wäre dann wohl mal beim Bier zu besprechen.