Boom und Krise in der Autoindustrie

Noch brummt das Geschäft

Die deutschen Autokonzerne profitierten im vergangenen Jahr vor allem vom anhaltenden Absatzboom in Schwellenländern wie China und Indien. Die Euphorie, die von den PR-Abteilungen der Konzerne verbreitet wird, kann jedoch nicht über die strukturelle Krise der internationalen Automobilbranche hinwegtäuschen.

Allein Porsche steigerte seine Profite im vergangenen Jahr um 22 Prozent auf 2,05 Milliarden Euro, wie das Unternehmen mitteilte. Es wurden etwa 117 000 Neuwagen abgesetzt, somit wurde ein Umsatz von 10,9 Milliarden Euro erzielt. Das ist ein Zuwachs von 18 Prozent. Auch BMW konnte 2011 bei Absatz, Umsatz und Gewinn Rekordwerte verbuchen. Letztlich verdiente das Unternehmen 4,9 Milliarden Euro, das sind 51,3 Prozent mehr als 2010. Der Umsatz stieg auf 68,8 Milliarden Euro.
Der Daimler-Konzern verkaufte weltweit 2,1 Millionen Autos, Busse und Lastwagen, erzielte damit einen Umsatz von über 100 Milliarden Euro und machte netto gut sechs Milliarden Euro Gewinn. Mercedes verkaufte allerdings weniger Autos als der stärkste Konkurrent BMW und hinkt darüber hinaus mit seiner Gewinnmarge BMW und Audi hinterher.
Auch für VW war 2011 das profitabelste Jahr seiner Geschichte: Der Konzern machte 15,8 Milliarden Euro Umsatz, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Dabei lieferte er 8,3 Millionen Fahrzeuge aus, rund 15 Prozent mehr als 2010. »In Westeuropa wird sich die Nachfrage nach PKW und leichten Nutzfahrzeugen voraussichtlich abschwächen«, heißt es im aktuellen Geschäftsbericht, was vordergründig die Krise der Euro-Länder widerspiegelt, aber auch ein Indiz für einen langfristig stagnierenden Markt ist. Die größten Zuwächse werden in Asien, Südamerika, den USA und Russland erwartet.

Martin Winterkorn, der Vorstandsvorsitzende von VW, dürfte im vorigen Jahr mit seinem Jahreseinkommen von 17,5 Millionen Euro einer der bestverdienenden Manager gewesen sein, der gesamte Vorstand des Konzerns profitierte mit mehr als 70 Millionen Euro vom Rekordergebnis des Unternehmens. Norbert Reithofer von BMW kommt auf ein Einkommen von 6,2 Millionen Euro, die gesamte Chefetage des Konzerns erhält zusammen mehr als 27 Millionen Euro.
Doch auch an die hiesigen Beschäftigten der deutschen Autokonzerne werden Prämien ausgeschüttet, letztlich ist die Autoindustrie in Deutschland immer noch der wichtigste Verfechter des Sozialkorporatismus. Die vermutlich höchsten Prämien dürften in diesem Jahr die 45 000 Beschäftigten bei Audi zu erwarten haben. Im Tochterunternehmen von VW gilt die Regel, dass zehn Prozent von der Summe des operativen Ergebnisses, die 1,2 Milliarden Euro überschreitet, an die Belegschaft auszuschütten sind, wobei sich die Prämie nach dem jeweiligen Gehalt richtet. 2010 bekamen die Beschäftigten durchschnittlich Prämien zwischen 5 000 und 6 000 Euro. Für das vergangene Jahr dürfte es eine fünfstellige Summe werden. Sämtliche fest angestellten Beschäftigten der deutschen VW-Werke erhalten 7 500 Euro, die höchste Gewinnprämie, die der Konzern jemals ausgezahlt hat.
Auch bei Porsche werden die Prämien an die Marge von 10 000 Euro heranreichen, bestätigte Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall und zugleich Aufsichtsrat bei Daimler und Bosch. »Die Prämie wird manche umhauen, so was gab es noch nie! Unsere Leute haben eine genial-intergalaktische Sonderzahlung verdient. Den Rekordgewinn hat ja nicht der Petrus auf dem Moped vorbei gebracht«, sagte Uwe Hück, Betriebsratsvorsitzender bei Porsche, der FAZ in Sektlaune.
Dass diese Geldgeschenke nicht ganz uneigennützig verteilt werden, versteht sich von selbst. Die Unternehmer der Metallindustrie erhoffen sich durch die Prämien eine Dämpfung der Streikbereitschaft bei den anstehenden Tarifverhandlungen. So betont der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bereits, mit den Rekordprämien sei der Gerechtigkeit Genüge getan: Noch mehr gehe nicht, die geforderten 6,5 Prozent Lohnsteigerung seien eine Zumutung. Bei Betrieben, die nicht glänzend verdient haben, sei nichts zu holen. Georg Meck, Wirtschaftsredakteur der FAZ, hat den erwünschten Nebeneffekt der Prämien ebenfalls erkannt, wenn er schreibt: »Die fettesten Extras zahlen die Großkonzerne dort, wo die Streiks entschieden werden: Warum sollten die Leute dort für ein paar Zehntel mehr oder weniger Tariflohn streiken, so das Kalkül, wenn sie doch schon mit ein paar Tausendern auf dem Konto belohnt wurden?«
All das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der momentane Boom der Autoindustrie, der Leitindustrie des fossilen Kapitalismus, letztlich nichts anderes ist als die Erholung von einer tiefen Krise. Der Rückgang der weltweiten Automobilproduktion 2009 gegenüber 2007 um knapp 17 Prozent ist gemessen an den letzten 50 Jahren beispiellos. In den Branchenkrisen 1974 und 1975 sowie 1980 bis 1982 gab es Einbrüche um zwölf Prozent. Während der übrigen Branchenkrisen lagen diese im einstelligen Bereich. Dabei handelt es sich bei dem jüngsten Rekordeinbruch um einen weltweiten Durchschnittswert. Seit der Entstehung der Autoindustrie gab es in der Entwicklung der weltweiten Autoproduktion noch in keiner Phase so starke regionale Unterschiede. Regionale Einbrüche gehen einher mit historisch einmaligen Produktionserweiterungen.

Seit den siebziger Jahren schwelt in der Automobilindustrie eine globale Überproduktionskrise mit zyklischen Ausbrüchen. Diese wird auf lange Sicht dazu führen, dass mehrere der zwölf großen global agierenden Unternehmen verschwinden. Zugleich verschieben sich die Zentren von Produktion und Absatz: weg von Europa und Nordamerika, wo die Absatzmärkte langfristig stagnieren bzw. in Krisenphasen zurückgehen, hin zu den Bric-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) und weiteren Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas, die im Zuge ihrer kapitalistischen Entwicklung gerade eine Phase der Automobilisierung erleben.
2011 wurden in den Bric-Staaten 20,8 Millionen Autos verkauft, das sind 33,9 Prozent der weltweit abgesetzten Fahrzeuge. Bis 2015 wird der Absatz voraussichtlich auf 25 Millionen Fahrzeuge jährlich steigen und damit auf 35,7 Prozent aller weltweit verkauften PKW, prognostiziert Ferdinand Dudenhöffer, » Automobilexperte« der Universität Duisburg-Essen. Das Wachstum sei aber nicht mehr so rasant, da die neue Mittelschicht dieser Länder, 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, langfristig ein relativ begrenztes Käuferpotential bilde. Nach einer Analyse der Universität Duisburg-Essen zählen zu den wichtigsten Wachstumsregionen der Autobranche neben den Bric-Staaten vor allem 15 Schwellenländer wie die Türkei, Mexiko, Indonesien, Malaysia, Thailand, Südafrika, Kolumbien und Bangladesh. Für Bangladesh mit einer Bevölkerung von 160 Millionen Menschen rechnen Ökonomen bis 2020 mit einer Verzehnfachung der Menge der Fahrzeuge, im Moment gibt es dort noch weniger als eine Million Autos.

Selbst wenn einige der gewagten Entwicklungsprognosen sich nicht als haltbar erweisen sollten, wird 2014 voraussichtlich jedes dritte Auto in Brasilien, Russland, Indien und China abgesetzt werden. Ein sich immer stärker spaltender globaler Automobilmarkt führt dazu, dass die hierzulande schon lange vor der aktuellen Finanzkrise spürbare Beschäftigungskrise weiter andauern wird. Die Zentren der Produktion und des Absatzes werden sich in diese Weltregionen verlagern, alle global agierenden Unternehmen versuchen, sich auf diese Spaltung des Weltmarktes vorzubereiten. Der Arbeitsplatzabbau hat schon seit langem begonnen – besonders deutlich in den USA. Dort ging er einher mit einem starken Machtverlust der Gewerkschaft in der US-Automobilindustrie. Das könnte auch in europäischen Ländern geschehen.
Neben dieser zyklischen Krise spielt die große strukturelle Krise der Autoindustrie eine entscheidende Rolle. Die kapitalistische Entwicklung, in deren Zentrum »das Auto« steht, stößt auf absolute Grenzen: Die Ressourcen, die sie verbraucht, gehen zu Ende und die Art ihrer Vernutzung hat zerstörerische Effekte. Ob der »Peak Oil« bereits erreicht ist oder die Erdölproduktion erst in fünf Jahren unwiderruflich zurückgehen wird, ist eine akademische Debatte zwischen Ökonomen und Geologen; fest steht, dass das Erdölzeitalter sich dem Ende nähert. Auch wenn alle Automobilunternehmen derzeit geradezu hektisch die Entwicklung und Vermarktung von Hybrid- und Elektroautos vorantreiben, werden mit Öl betriebene Motoren noch lange Zeit den Markt dominieren. Wenn die Automobilisierung der Schwellenländer in den Mittelpunkt des Konkurrenzkampfes der Autokonzerne rückt, von denen einige untergehen werden, hat dies fatale Folgen.
Winfried Wolf, hierzulande einer der wichtigsten Kritiker kapitalistischer Energie- und Verkehrs­entwicklung, weist darauf hin, dass im Verlauf des bereits begonnenen Versuchs, diese Massenmotorisierung der Schwellenländer durchzusetzen, die Knappheit der strategischen Ressource Erdöl noch deutlicher als bisher zu Tage treten und rasch zu einem sprunghaften Anstieg des Erdölpreises führen werde. »Gleichzeitig wird die sich schnell vergrößernde KFZ-Flotte mehr als alle anderen Entwicklungen dazu beitragen, dass die Treibhausgas-Emissionen weiter wachsen und die Klimaerwärmung sich beschleunigt. Kriege um die Ressource Erdöl, neue Katastrophen bei der Ölförderung und beim Öl- und Gastransport, und durch die Klimaerwärmung ausgelöste soziale Krisen werden die Folge sein«, meint Wolf. Der neue Boomzyklus der globalen Autoindustrie wird in jedem Fall in einem Desaster enden, ob als Krieg der Konzerne oder als Katalysator für neue Kriege um knapper werdende Ressourcen.