Auszug aus dem Buch »Postnazismus revisited«

Konkurrenz der Antisemiten

Modernisierte Vergangenheitspolitik in Zeiten des Jihad.

Als Thüringen nach dem Auffliegen des »Zwickauer Terrortrios« und seiner Verbindungen zusehends in Verruf geriet, organisierte die Gesinnungsgemeinschaft der anständigen Deutschen Anfang Dezember 2011 in Jena ein Event unter dem Motto »Rock gegen Rechts«, bei dem die Bürger an den Nazis in erster Linie kritisierten, dass sie aus ihrer Gegend stammten und ihren Wirtschaftsstandort schlecht aussehen ließen. In Österreich machten sich sozialdemokratische Nachwuchskader mit Blick auf Barbara Rosenkranz, die Kandidatin der FPÖ bei der Präsidentschaftswahl 2010, die laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte straffrei als »Kellernazi« bezeichnet werden darf, über »den absehbaren Image-Schaden der Nation« Gedanken, und ein Bündnis aus sich zum »anderen Österreich« stilisierenden zivilgesellschaftlichen Initiativen organisierte mit Unterstützung der Sozialdemokratie einen »Lichtertanz gegen Rosenkranz« am Wiener Heldenplatz, dem keine Phrase des alternativen Nationalismus zu blöd war.
Die Vermutung, dass diese Linke keinen Beitrag zur gesellschaftlichen Emanzipation, sondern zur allgemeinen Regression leisten werde, hat sich allerdings nicht in erster Linie angesichts linkspatriotischer Aufmärsche bewahrheitet. Sie bestätigt sich insbesondere an der Unfähigkeit der überwiegenden Mehrheit dieser Linken, ein adäquates Verständnis des Zionismus und eine Kritik des islamischen Jihadismus zu formulieren – und nicht zuletzt an ihrem abgehalfterten Antifaschismus, der sich in Beschwörungen einer braunen Gefahr gefällt, aber keinen Finger rührt, wenn etwa im April 2010 der Eröffnungsredner der Teheraner ­Holocaust-Leugner-Konferenz, der damalige iranische Außenminister Manouchehr Mottaki, von seinem österreichischen Amtskollegen im Wiener Außenministerium offiziell empfangen wird, oder wenn der deutsche Außenminister Ende 2011 seinen iranischen Amtskollegen, den ehemaligen Chef des iranischen Atomprogramms, Ali Akbar Salehi, zu Gesprächen begrüßt.
Eine derartige Dialogpolitik gegenüber dem iranischen Regime, das Deutschland wiederholt unmissverständliche Angebote zur gemeinsamen endgültigen Überwindung der Nachkriegsordnung unterbreitet hat, ruft in Erinnerung, dass die Kritik des Postnazismus stets »auf eine internationale Konstellation« (Clemens Nachtmann) zielen muss und sich keineswegs allein mit Entwicklungen in den Nachfolgegesellschaften des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen hat. Im Folgenden sollen einige Schlaglichter auf die modernisierte Vergangenheitspolitik in Deutschland vor dem Hintergrund der Tatsache geworfen werden, dass die Bundesregierung den Staat Israel angesichts der existentiellen Bedrohung durch das iranische Nuklearwaffen- und Raketenprogramm im Stich lässt, indem es sich weiterhin weigert, ein konsequentes Vorgehen gegenüber dem Regime in Teheran mitzutragen. Überdies werden Gedanken zur Kritik des Postnazismus im Zeitalter des Jihadismus formuliert und die Karriere des Begriffs der »Islamophobie« vor dem Hintergrund der Diskussionen über den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik beleuchtet.

Verleugnete Verantwortung

Anfang der achtziger Jahre ließ der israelische Ministerpräsident Menachem Begin dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt völlig zu Recht ausrichten, wer als Offizier am Vernichtungskrieg an der Ostfront teilgenommen habe, solle zu den Problemen im Nahen Osten ein für alle Mal den Mund halten. Das scheint beim ehemaligen Oberleutnant der Wehrmacht aber auf taube Ohren gestoßen zu sein. Schmidt gehört zu den 26 europäischen Ex-Politikern, die Israel Ende 2010 in einem Aufruf diktieren wollten, wie es sich beim Siedlungsbau und bei der Verhinderung der weiteren Aufrüstung im Gaza-Streifen zu verhalten habe. Ebenfalls mit von der Partie war ein weiterer ehemaliger Wehrmachtsoffizier: der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der bis heute seinen Vater verteidigt, der in der Nazizeit als Staatssekretär im Auswärtigen Amt tätig war. Schmidt und Weizsäcker waren an der Aushungerung von Leningrad beteiligt, der über eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind; sie kämpften an der Ostfront, in deren Rücken systematisch die Ermordung der europäischen Juden vorangetrieben wurde. Heute fordern sie gegenüber jenem Land, das als Reaktion auf die deutschen Verbrechen gegründet wurde, Sanktionen, sollte sich der jüdische Staat nicht den Vorstellungen der elder statesmen fügen. Mit Verweis auf die angeblich so vorbildhafte deutsche Auseinandersetzung mit der Geschichte fühlen sie sich legitimiert, dem Staat der Shoa-Überlebenden und ihrer Nachkommen Vorschriften zu machen. Schmidt, laut Zeit der »beliebteste deutsche Politiker der jüngeren Geschichte«, hat das außenpolitische Resultat dieses Vorgangs offen ausgesprochen: »Deutschland hat keine Verantwortung für Israel«, stellte er in einem Interview mit dem Magazin Cicero trocken fest. Dementsprechend plädieren Schmidt und Weizsäcker gemeinsam mit einer Riege ehemaliger, hauptsächlich sozialdemokratischer Spitzenpolitiker für »Sanktionen« und »konkrete Maßnahmen« – nicht etwa gegen das iranische Regime oder seine Verbündeten Hamas und Hizbollah, die Israel vernichten wollen, sondern gegen den jüdischen Staat.
Das ist allerdings ehrlicher als die Politik von Schmidts aktueller Nachfolgerin, die sich rhetorisch gerne an die Seite Israels stellt, aber nichts daran geändert hat, dass mit der Bundesrepu­blik der Rechtsnachfolger des »Dritten Reiches« trotz aller Sanktionen bis heute die wichtigste westliche Stütze des Regimes aus Ajatollahs und Pasdaran ist, das fieberhaft daran arbeitet, sich mittels seines Nuklearwaffen- und Raketenprogramms, das aus den Einnahmen des Außenhandels finanziert wird, die Mittel für die Verwirklichung seiner Vernichtungsphantasien zu beschaffen. Niemand vermag mit Gewissheit zu sagen, wie groß im postnazistischen Deutschland die insgeheime Bewunderung für den antiwestlichen Furor des iranischen Regimes ist, das mit seiner Propagierung eines dritten Weges zwischen »Osten« und »Westen« und seinem von konkurrierenden Rackets beherrschten Unstaat durchaus in der Tradition des Nationalsozialismus steht, von der es sich als moderne Theokratie mit einem »gemeinsamen Oberkommando Allahs und seines Propheten« (Gerhard Scheit) in anderer Hinsicht wiederum abhebt. Was die Deutschen mehrheitlich von jenem Staat denken, dem die Machthaber in Teheran Tod und Verderben wünschen, ist hingegen bekannt: 2003 hielten 65 Prozent der Deutschen laut einer Umfrage der EU Israel für »die größte Gefahr für den Weltfrieden«. 2004 erklärten mehr als die Hälfte der Bundesbürger: »Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im ›Dritten Reich‹ mit den Juden gemacht haben.« Knapp 70 Prozent waren der Meinung, Israel führe »einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser«. 2007 positionierten sich laut einer Umfrage der BBC 77 Prozent der Deutschen eindeutig negativ gegenüber Israel, das jeden Deutschen und Österreicher allein durch seine Existenz an Auschwitz und Majdanek, Treblinka und Sobibor erinnert.
Dass sich derartige Einstellungen keineswegs automatisch auf die Nahost-Politik der deutschen Regierung auswirken, liegt in erster Linie an jener special relationship, die dem postnazis­tischen Deutschland in der Nachkriegszeit gegenüber Israel aufgenötigt wurde. Die Unterschiede zwischen dem deutschen und österreichischen Postnazismus werden am Beispiel der Beziehungen zu Israel deutlich: Während Deutschland sich gezwungen sah und weitgehend noch sieht, israelische Interessen in internationalen Gremien in der Regel zu unterstützen, solange sie deutschen Wirtschaftsinteressen nicht allzu sehr entgegenstehen, hatte Österreich auf Grund seiner Opferideologie nie ein Problem, sich bei entsprechenden Abstimmungen nicht nur zu enthalten, sondern zu Ungunsten Israels zu stimmen, wie zuletzt bei der Aufnahme »Palästinas« in die Unesco Ende 2011.

Alte und neue Schuldabwehr

Die israelische Politik gegenüber dem postnazistischen Deutschland gestaltet sich pragmatisch: Die Israelis tun, als nähmen sie den Deutschen ihre Wandlung zu aufrechten Kämpfern gegen den Antisemitismus ab. Und die Deutschen tun, als sorgten sie sich aus ehrlicher Scham über die deutsche Geschichte um das Wohler­gehen des jüdischen Staates. Die jeweiligen Interessen hat der Politikwissenschaftler Rolf Schleyer auf den Punkt gebracht: »Für den Staat Israel ist es von großer Bedeutung, dass er in Deutschland einen halbwegs zuverlässigen Verbündeten in Europa finden kann, der von Zeit zu Zeit antiisraelische Beschlüsse zumindest abmildert, die Bundesrepublik erhofft sich von einer solchen Normalität nichts weniger als die Möglichkeit, ohne geschichtlichen Ballast auf der internationalen Bühne agieren zu können.« (1) Dieses Arrangement hat zu einem breit gefächerten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungsgeflecht inklusive zahlreicher Städtepartnerschaften und Jugendaustauschprogramme zwischen dem Rechtsnachfolger des »Dritten Reiches« und dem Staat der Shoa-Überlebenden geführt, zu dem in Österreich kaum Vergleichbares existiert.
Vor diesem Hintergrund kann die Tatsache, dass der Bundestag das einzige europäische Parlament ist, in dem nach dem Aufbringen der Hamas-Solidaritätsflotte durch die israelische Armee im Sommer 2010 eine Resolution gegen das Vorgehen der IDF ohne Gegenstimmen verabschiedet wurde, durchaus als Schritt hin zum Bruch mit der postnazistischen Normalität verstanden werden, in der die stets behauptete »Verpflichtung« gegenüber Israel zu den letzten noch sichtbaren Resten der Erinnerung an die deutsche Schuld gehört. (Der Allparteien­beschluss des Wiener Gemeinderats vom Sommer 2010 mit ähnlichem Inhalt stellt eine provinzpolitische Ergänzung des Bundestagsbeschlusses dar.) Noch deutlicher als vor zehn Jahren zeigt sich heute, dass sich in Deutschland das Nachleben des Nationalsozialismus nicht in der Gefahr faschistischer Massenaufmärsche und auch nicht im klassischen Geschichtsrevisionismus artikuliert, sondern im Appeasement gegenüber den Jihadisten und in der Delegitimierung des Zionismus; eine Delegitimierung, die einstweilen im politischen Mainstream noch als Kritik an der konsequenten Selbstverteidigung Israels daherkommt, während der Frontalangriff auf den jüdischen Staat in der Regel Islamisten, Nazis und – derzeit in Europa am publikumswirksamsten – vermeintlich radikalen Linken überlassen bleibt.
Und doch ist die alte Schuldabwehr, das Relativieren und Aufrechnen der deutschen Verbrechen, nicht völlig verschwunden. Sie wird heute nur nicht mehr wie noch bis in die Regierungszeit Helmut Kohls hinein von konservativen Nationalisten vorgetragen, sondern von Vordenkern des rot-grünen Milieus. Günter Grass hat 2011 in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz seine Sicht auf die Geschichte präsentiert: »Aber der Wahnsinn und die Verbrechen fanden nicht nur ihren Ausdruck im Holocaust und hörten nicht mit dem Kriegsende auf. Von acht Millionen deutschen Soldaten, die von den Russen gefangen genommen wurden, haben vielleicht zwei Millionen überlebt, und der ganze Rest wurde liquidiert.« Das ist schlicht eine Lüge, und keine kleine. Nicht acht, sondern rund drei Millionen Vernichtungskrieger der Wehrmacht gerieten in sowjetische Gefangenschaft. Vermutlich starben etwa eine Million von ihnen, in der Regel an Unterernährung, die ein unmittelbares Resultat der deutschen Taktik der »verbrannten Erde« beim Rückzug an der Ostfront mit ihrer unvorstellbaren Ressourcenzerstörung war, an der auch die sowjetische Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren enorm zu leiden hatte. Grass macht daraus als deutscher Mathematiker, der immer nur bei einer Zahl landen kann, sechs Millionen liquidierte, also vorsätzlich ermordete Deutsche. Vermutlich würden sich revanchistische Konservative und selbst Nazis eine derart offensichtliche Geschichtsfälschung heute kaum mehr trauen.
Einer der wenigen deutlichen Einsprüche gegen Grass’ Äußerungen in einem Mainstreammedium fand sich in der Süddeutschen Zeitung, in der Peter Jahn, der ehemalige Leiter des Russischen Museums Berlin-Karlshorst, den Autor nicht nur mit den historischen Fakten konfrontierte, sondern ihm attestierte, mit seiner Relativierung der deutschen Verbrechen in die fünfziger Jahre »zurückzufallen«. Von einem »Rückfall« kann allerdings insofern keine Rede sein, als erst die linke Faschismusbewirtschaftung in Folge von 1968 und die rot-grüne Vergangenheitsoffensive der neunziger Jahre derar­tige Äußerungen von Grass, den der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk schon vor Jahren als »miesen Lügner« bezeichnet hat, ermöglicht haben. Grass, der 61 Jahre lang gewartet hat, bis er seine Fan-Gemeinde wissen ließ, dass er seit 1944 in der Waffen-SS war, wurde in den Nachkriegsjahren schnell zum Sprachrohr jenes »anderen Deutschland«, das aus der Erfahrung des Nationalsozialismus offenbar nur eine Lehre gezogen hat: Auf keinen Fall dürfe man auf das Umschlagen bürgerlicher oder sich gerade herausbildender bürgerlicher Vergesellschaftung in manifeste Barbarei mit militärischen Mitteln antworten. In den Jahrzehnten nach 1945 war es vornehmlich die Linke, die das Diktum »Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg«, bei dem jeder wusste, dass der deutsche Vernichtungskrieg gemeint war, in das Dogma »Nie wieder Krieg gegen den Antisemitismus« transformierte.
Es macht also keinen Sinn, immer wieder jenes Bild des hässlichen Deutschen zu evozieren, dem gegenüber sich der traditionelle Antifaschismus ebenso bequem eingerichtet hat wie bestimmte Ausprägungen einer »antideutschen Kritik«. Es sind keineswegs in erster Linie auto­ritätshörige, sich »ethnische Homogenität« wünschende Duckmäuser, die heute in Deutschland Gegenaufklärung und Ressentiment voranbringen, sondern jene sich als antiautoritär begreifenden »Wutbürger«, die der »Stimme des Volkes«, die im heutigen Deutschland gerne auch hin und wieder etwas anderes als Deutsch sprechen darf, Ausdruck verleihen wollen.

Antisemitismus und »Islamophobie«

Etablierte Antisemitismusforscher beschäftigen sich indessen kaum mit solchen neuen Ausprägungen des alten Ressentiments, sondern sind stattdessen intensiv mit der Beforschung der historischen Judenfeindschaft und mit der Verbreitung der These beschäftigt, man müsse sich heute der Bekämpfung einer dem Antisemitismus mindestens ebenbürtigen, pathogenen Islamfeindschaft widmen. Ein prominentes Beispiel dafür ist Wolfgang Benz, der ehemalige Direktor des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA). Benz hat eine ganze Kar­riere darauf aufgebaut, den Antisemitismus als »Vorurteil« zu verharmlosen und ihn dadurch mit allen möglichen anderen Vorurteilen gleichzusetzen. 2010 ist er dann dort gelandet, wohin es ihn vielleicht schon länger gezogen hatte. Nur drei Tage bevor er in Wien eine »Simon Wiesenthal Lecture« hielt, hat er dem Islamistenportal »Muslim-Markt« der Khomeini-Bewunderer Yavuz und Gürhan Özoguz ein Interview gegeben. Dass sich die schiitischen Özoguz-Brüder für ihn interessieren, ist alles andere als überraschend. Schließlich ist Benz einer der maßgeblichen akademischen Stichwortgeber für das Gerede von einer »Islamophobie«, die stets mit zu bedenken sei, wenn man sich mit dem Judenhass auseinandersetze.
»Islamophobie-Kritiker« wie Benz inszenieren sich gerne als verfolgte Spezies. Vielleicht ist es ja die imaginierte gesellschaftliche Marginalität, die sie dazu treibt, einem Projekt wie »Muslim-Markt« bereitwillig Rede und Antwort zu stehen, das die Gleichstellung von Mann und Frau ebenso für eine »Pervertierung des menschlichen Daseins« hält wie Homosexualität, und das auf seinen Seiten Erklärungen des Obersten Geistlichen Führers des Iran, Ali Khamenei, veröffentlicht, in denen er die Shoa als »Märchen« bezeichnet. Für gewöhnlich werden auf »Muslim-Markt« solch illustere Figuren wie der Rechtsextremist Alfred Mechtersheimer, der iranische Holocaustleugner und Berater Ahmadinejads, Mohammad-Ali Ramin, oder der ehemalige NPD-und DVU-Funktionär Andreas Molau interviewt. Der ehemalige Leiter des ZfA hat nicht nur dazu beigetragen, den Antisemitismus zu einem Allerweltsvorurteil zu verniedlichen, sondern er erkennt das antisemitische Ressentiment nicht einmal, wenn man ihn direkt darauf stößt. 2010 konnte man ihn in der Sendung »Kulturzeit« auf 3Sat beobachten, wie er vor einem Plakat des dänischen Künstlerduos Surrend steht, auf dem der Deutschland-Korrespondent der Jerusalem Post als Teil der »jüdischen Lobby in Deutschland« vorgestellt und als »Stürmer-Journalist« gebrandmarkt wird. Benz erklärte vor laufender Kamera, das habe mit Antisemitismus nichts zu tun, was seiner akademischen Reputation nicht geschadet hat.
Das ist Vergangenheitsbewältigung im heutigen Deutschland: Dem Nationalsozialismus begegnet man mit einer ebenso empiristischen wie begrifflosen Geschichtswissenschaft; gleichzeitig steht man den Unterstützern des antisemitischen Regimes in Teheran bereitwillig Rede und Antwort, liefert ihnen mit dem bedenkenlosen Gerede von einer »Islamophobie« die Stichworte und sagt ihnen genau das, was sie zur Behübschung ihrer Vernichtungsdrohungen gegen Israel hören wollen: »Antisemitismus ist grundsätzlich etwas anderes als Antizionismus.« Vielleicht hat Benz die Gelegenheit seiner »Simon Wiesenthal Lecture« genutzt, um einer für Derartiges stets empfänglichen Öffentlichkeit gleich noch zu erklären, dass der als »Nazi-Jäger« berühmt gewordene Wiesenthal heute ein »Islamophobie«-Jäger wäre, der »Recht, nicht Rache« für die namen- und zahllosen Opfer der völlig ungerechtfertigten Kritik des islamischen Jihadismus fordern würde.
In den vergangenen Jahren jedenfalls hat der Begriff der »Islamophobie« regelrecht Karriere gemacht. Er zielt in erster Linie darauf, jegliche Kritik an den unterschiedlichen Strömungen des Islam als ebenso ungerechtfertigte wie pathologische Panikmache zu delegitimieren. Besonders deutlich wird die Selbstimmunisierung gegenüber Kritik bei der »Organisation der islamischen Konferenz« (OIC), in der 57 Staaten zusammengeschlossen sind. Ginge es nach ihnen, sollen nicht Individuen, sondern der Islam als Religion zum Objekt des Menschenrechtsschutzes werden. Diese Kampfansage an einen universalistischen Freiheitsbegriff artikuliert sich unter anderem darin, jegliche Kritik an der Anwendung der Sharia als »Islamophobie« und diese als »schlimmste Form des Terror­ismus« zu brandmarken, wie es in einem Dokument der OIC aus dem Jahr 2007 heißt.

Universale Emanzipation

Ihre zentrale Bedeutung innerhalb der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit bekommt die unbedachte Rede von »Islamophobie« durch die Gleichsetzung oder auch Parallelisierung der wie auch immer ressentimenthaft begründeten Ablehnung des Islam, des Hasses auf in Europa lebende Muslime und des seit 2 000 Jahren existierenden, als allumfassende Welterklärung auftretenden und in der Shoa kulminierenden Antisemitismus. Diese Gleichsetzung beruht auf der Lüge, die Muslime seien die Juden von heute. Keine politisch relevante Gruppierung imaginiert Muslime oder gar ein »islamisches Prinzip« als Verkörperung der Zersetzung und als Personifikation des globalen Prinzips subjektloser Herrschaft, in deren Vernichtung der Krisencharakter der Moderne zu exorzieren wäre. Eben das aber ist der Kern des antisemitischen Wahns. Wenn das iranische Regime oder jihadistische Gruppierungen wie Hamas und Hizbollah von einem jüdischen Drang nach Weltherrschaft phantasieren, ist das eine wahnhafte Projektion der eigenen Wünsche auf den ewigen Todfeind. Der Hinweis auf einen globalen Herrschaftsanspruch im Islam hingegen ist keine Verschwörungstheorie (auch wenn er von FPÖ-Anhängern und ihren deutschen Pendants meist nur in der Form von paranoidem Geraune vorgebracht wird), sondern dieser Anspruch wird von maßgeblichen Strömungen des Islam offen ausgesprochen.
Eine global orientierte Kritik der postnazistischen Konstellation muss konstatieren, dass sich das Zentrum der offenen antisemitischen Agitation nach 1945 von Europa in den arabisch-islamischen Raum verschoben hat. Nachdem die Deutschen und ihre Hilfsvölker nicht nur bewiesen hatten, dass man einen wahnhaft-projektiven Antikapitalismus bis zum industriell betriebenen Massenmord steigern kann, sondern auch, dass man dafür selbst nach der ­totalen militärischen Niederlage keine ernsthaften Konsequenzen zu befürchten hat, kann gar nicht ernst genug genommen werden, welche Attraktivität eine derartige, sowohl mörderische als auch selbstmörderische Krisenlösungsstrategie für antisemitische Massenbewegungen in anderen Weltregionen haben musste.
Eine Kritik der dominanten Strömungen des Islam müsste feststellen, dass sich heute die Kräfte der Gegenaufklärung, die Todfeinde der Freiheit und die Potentiale zu einer negativen Aufhebung des Kapitals vor allem, wenn auch keineswegs ausschließlich, unter dem Banner Allahs sammeln. Dem kann allerdings auf keinen Fall mit den Rezepten von Abschiebefanatikern oder einem Pochen auf die »Werte des christlichen Abendlandes« begegnet werden, die von einem Schmissgesicht wie dem ehemaligen FPÖ- und heutigen BZÖ-Politiker Ewald Stadler, der mittlerweile im EU-Parlament sitzt und homosexuelle Partnerschaften für »pervers« hält, durchaus angemessen repräsentiert werden. Es ginge stattdessen um eine an der all­gemeinen Emanzipation orientierte Islamkritik, die sich gegen die fremdenfeindlichen Agitatoren wendet. Gegen den Kulturrelativismus, der von rechten Ethnopluralisten ebenso bedient wird wie von linken Islamapologeten und akademischen »Islamophobie«-Forschern, gilt es sich an jene Parole zu erinnern, unter der 1979 Zehntausende Frauen in Teheran tagelang gegen die Einführung der Zwangsverschleierung demonstriert haben: »Emanzipation ist nicht westlich oder östlich, sondern universal.«
Doch das Gegenteil ist heute der Fall: Für Verfechter des Kampfbegriffs »Islamophobie« wurde durch das Massaker in Norwegen im Sommer 2011 endgültig bewiesen, dass der traditionelle Antisemitismus durch einen Hass auf den Islam abgelöst worden sei. Immer wieder konnte man in der Debatte über den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik hören, es handele sich bei ihm um einen neuen Typus des Rechtsextremisten: Der norwegische Massenmörder sei nämlich kein Antisemit. Doch schon ein flüchtiger Blick in Breiviks irres »Manifest« könnte einen eines Besseren belehren. Weder erteilt der Attentäter dem Antisemitismus eine Absage, noch stürzt er sich in blindem Hass auf den Islam.
Wie anders als einen Antisemiten soll man jemanden nennen, der den USA attestiert, sie hätten angesichts von »über sechs Millionen Juden« ein »beachtliches jüdisches Problem«? Was soll man von jemandem halten, der in Westeuropa nur deswegen kein »jüdisches Problem« sieht, weil die dortigen jüdischen Gemeinden ausgesprochen klein seien? Einmal abgesehen von Frankreich und Großbritannien, wo, wie der Statistikfan Breivik referiert, 800 000 Juden und Jüdinnen leben, was eben doch wieder ein »jüdisches Problem« hervorrufe. Dass auch Antisemiten sich beizeiten Israel an den Hals schmeißen, ist keineswegs neu, wobei Breivik auch hier säuberlich zwischen jenen jüdischen Israelis unterscheidet, die ihm als Bündnispartner gelten, und jener wohl überwiegenden Mehrheit, die allein schon aufgrund ihres »Multikulturalismus« letztlich ebenfalls aus der Welt geschafft werden müssten. Solche Leute solidarisieren sich mit Israel in aller Regel nur als Bündnispartner im Abwehrkampf, den das »Abendland« (ein Begriff, der gerne auch von österreichischen und deutschen Kulturkämpfern gegen den des »Westens« in Anschlag gebracht wird) gegen die antisemitische Konkurrenz des Islam zu führen habe. In diesem Sinne äußerte sich auch der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache, der seine Israel-Visite Ende 2010 dazu nutzte, mit einer »Biertonne«, dem aus der antisemitischen Tradition der Burschenschaften stammenden Kapperl, durch die Holocaust-Gedenkstätte von Yad Vashem zu stolzieren, woraufhin die Neo­nazis in ihren Foren aus dem Feixen nicht mehr herausgekommen sind.

Neonazismus und Jihadismus

Auffällig ist, dass der abgrundtiefe Hass von Breivik auf emanzipierte Frauen, der neben der Kampfansage an Muslime zu den wenigen Dingen gehört, die in seinem wirren Manifest einigermaßen konsequent durchgehalten werden, in der Berichterstattung über ihn kaum eine Rolle gespielt hat. Hätte man ihm mehr Beachtung geschenkt, wäre wohl die Gefahr zu groß gewesen, auf die offensichtlichen Parallelen zwischen Breiviks Weltsicht und jener keineswegs nur des jihadistischen, sondern auch des orthodox-konservativen Islam zu stoßen. Breiviks Hass auf Muslime ist offenbar Ausdruck des Neids auf eine Gemeinschaft, in der repressive Familienstrukturen noch etwas zählen und Frauen wenig zu melden haben. Ganz genauso wie die fremdenfeindlichen Parteien in Europa hasst Breivik Muslime, die sich auf dem Kontinent niedergelassen haben. Dem Islam selbst jedoch kann er einiges abgewinnen. Dieser müsse, heißt es in seinem »Manifest«, zwar aus Europa herausgehalten werden, komme ansonsten aber durchaus als Bündnispartner im Kampf gegen die »US/EU-Globalisten« in Betracht. Selbst die Errichtung eines von »frommen Muslimen geführten Kalifats im Nahen und Mittleren Osten« hält Breivik unter bestimmten Umständen für ein unterstützenswertes Projekt, was angesichts seiner ausgeprägten Misogynie nicht verwunderlich ist. Umso bemerkenswerter, dass seine Spekulationen über den Islam als potentiellen Partner bislang kaum zur Kenntnis genommen wurden.
Anders Breivik ist also ein Antisemit im Zeitalter der Konkurrenz zwischen abendländischem Vernichtungswahn und islamischem Jihadismus. Doch davon musste in der Debatte über das Attentat in Norwegen und die Transformationen des europäischen Rechtsradikalismus schon deswegen zwanghaft abgesehen werden, um sich ja nicht die offenbar ungemein attraktive Gelegenheit entgehen zu lassen, kryptonazistische Moslemhasser mit liberalen und linken Islamkritikern in einen Topf zu werfen. Der Versuch, linke und liberale Kritiker des Islam in die Nähe von Breiviks eklektizistischen Irrsinn zu rücken oder ihnen gar eine Mitverantwortung für sein Massaker zu attestieren, ist ein durchschaubares Manöver, mit dem jegliche Kritik an der islamischen Menschenzurichtung unter Rassismusverdacht gestellt werden soll. Sich über die geistige Nähe von Neonazis und den eingeborenen postnazistischen Erben der NSDAP zu Breivik Gedanken zu machen, ist hingegen alles andere als abwegig. Der Massenmörder teilt mit ihnen keineswegs nur den Antisemitismus und den Hass auf die vermeintlich zersetzende Wirkung der Kritischen Theorie, sondern auch jene Mischung aus Hass auf und Neid gegenüber dem Islam, die ohne Bewunderung nicht auskommt.
NPD und DVU, freie Kameradschaften und österreichische Freiheitliche äußern sich regelmäßig begeistert über die Politik der »Islamischen Republik Iran«. Andreas Molau, einer der Vordenker der deutschsprachigen Neonazis und Rechtsextremisten, erklärte dem »Muslim-Markt«: »Etwas ›mehr Kopftuch‹, als Frage einer züchtigen Kleiderordnung, stünde manch deutschem Mädel schon gut zu Gesicht. (…) Weder der Islam noch eben eine Kopftuch tragende Muslima ist ein Feindbild für mich. Den Islam als gewachsene Kultur achte ich. (…) Das einzige Feindbild für mich ist ein alle Kultur zerstörender Amerikanismus.« Der Altnazi Otto Scrinzi, dem vom FPÖ-Vorsitzenden nach seinem Ableben Anfang 2012 bescheinigt wurde, er habe »die Werte unserer Gesinnungsgemeinschaft immer gelebt«, verkündete in der Aula, dem Sprachrohr des deutschnationalen Burschenschaftlerflügels der Partei: »Nicht der Islam ist zu prügeln, sondern jene, die 20 Millionen seiner Bekenner ins Land gerufen haben (…). Nicht den Islam als Religion gilt es zu bekämpfen oder seinen Gründer zu schmähen, sondern die anzuprangern, welche im Dienste des Mammons ihm den Weg in unseren Lebens- und Kulturraum geöffnet haben.« Die FPÖ lobt in einem Grundsatzpapier die »geopolitische Bedeutung des Islam« und erklärt: »Als identitätsbewusste Bewegung unterstützt die FPÖ die Bestrebungen der islamischen Welt, sich von Fremdbestimmung zu emanzipieren.« Bruno Gollnisch, der im Parteivorstand des Front National und im Europaparlament sitzt, hat, wie er im Interview mit der Wochenzeitung Junge Freiheit erklärt, nichts gegen den Islam einzuwenden, »solange er sich nicht bei uns ausbreitet.« Und für die NPD fordert ihr Vordenker Jürgen W. Gansel »die Achtung vor dem Islam dort, wo er historisch beheimatet ist«. Die »innenpolitische Gegnerschaft zum Islam« schließe nicht »die außenpolitische Würdigung der islamischen Welt als letztes Bollwerk gegen die Durchkapitalisierung und Durchamerikanisierung der Welt aus.« Dort, »wo der Islam zu Hause ist«, habe er »sein volles Existenzrecht und natürlich auch das Selbstverteidigungsrecht gegen den amerikanischen Kultur- und Wirtschaftsimperialismus sowie den israelischen Staatsterrorismus. In Mitteleuropa aber ist der Islam eine fremdkörperhafte Aggressionsreligion«.
Die FPÖ unternahm 2010 kurzzeitig einen Versuch, ihren nach wie vor vorhandenen Hass auf den jüdischen Staat zu bändigen, während sie noch im Europaparlamentswahlkampf 2009 in einer Anzeige in der Kronenzeitung nicht nur gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei wetterte, sondern auch die antisemitischen Ressentiments der Leserschaft bediente, indem sie sich gegen einen von niemandem ernsthaft diskutierten EU-Beitritt Israels aussprach und die grüne, sozialdemokratische und konserva­tive Konkurrenz auf Grund ihrer vermeintlichen Unterstützung eines solchen Beitritts im Nazijargon als »Handlanger der Amerikaner« diffamierte.
Wer die gegenwärtige postnazistische Konstellation verstehen will, müsste dieses ambivalente Verhältnis der heimischen Rechtspopulisten zu den Jihadisten ebenso ins Visier nehmen wie die linken Sympathien für den Islam.

Fußnote
(1) Dieser beiderseitige Pragmatismus hat nie etwas daran geändert, dass die Sachwalter des Erbes des National­sozialismus ihren israelischen »Partnern« eine Zumutung nach der anderen präsentiert haben: Konrad Adenauer gab 1965 als einen der Hauptgründe für die »Wiedergutmachungszahlungen« an, dass man die »Macht der Juden« auch heute noch, »insbesondere in Amerika«, nicht unterschätzen dürfe. Willy Brandt besuchte als elder statesman das baathistische Bagdad und hatte auch Umarmungen für Jassir Arafat im Programm, der sich im Golfkrieg 1991 auf die Seite Saddam Husseins gestellt hatte. Helmut Schmidt bezeichnete Menachem Begin als »Gefahr für den Weltfrieden«; Helmut Kohl beendete die internationale Isolation des österreichischen Bundespräsidenten mit Wehrmachtsvergangenheit, Kurt Waldheim, der 1991 als erstes westliches Staatsoberhaupt dem iranischen Regime seine Aufwartung machte, und empörte sich über Einmischungen des World Jewish Congress in deutsche Angelegenheiten. Gerhard Schröder war 2003 bei seinem Besuch in Ägypten der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, der öffentlich forderte, »politischen Druck« auf Israel auszuüben.

Der Essay ist ein gekürzter, redaktionell bearbeiteter Auszug aus der Einleitung zu dem Sammelband »Postnazismus revisited. Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert«, der im Frühjahr 2012 im Ça ira-Verlag erscheint.