Das Ruhrgebiet ist der neue Osten

Jammerwessis!

Die verschuldeten Kommunen im Ruhrgebiet wollen den Solidarpakt für den »Aufbau Ost« aufkündigen. So betreiben sie jedoch nur das bekannte Spiel: Schwache zerfleischen sich gegenseitig.

Um uns als Kinder gefügig zu machen, brauchte es keine Drohungen. Die Eltern und Lehrer der reichen westfälischen Verwaltungsstadt Münster arbeiteten perfider: Regelmäßig verschickten sie ihre Schutzbefohlenen für einen oder zwei Tage unter dem Vorwand, ein Bergbaumuseum in Bochum oder die Wale im Zoo von Duisburg zu besuchen. In Wirklichkeit aber dienten diese Ausflüge in den nur 30 Kilometer entfernten Pott einzig dazu, uns vor Augen zu führen, dass nicht alles eitel Sonnenschein ist auf der Welt. Die Botschaft war klar: Wenn ihr nicht fleißig lernt und das Abitur macht, dann kommt ihr ins Ruhrgebiet! Denn Verfall und Elend waren schon lange vor der Wiedervereinigung der emotionale Markenkern der Region.
Den Ruhrgebietler aber kümmerte das nicht weiter. Solange er in Ruhe vor seiner Trinkhalle stehen und gemütlich qualmend auf rauchende Industrieschornsteine gucken konnte, sollten die anderen doch daherreden, wie sie wollten. Diese Haltung überlebte sogar mühelos den sogenannten Strukturwandel. Man ging eben nicht mehr ins Bergwerk, sondern ins Callcenter. Wo war da schon groß der Unterschied, außer dass die Kumpel wenigstens noch halbwegs ordentlich bezahlt worden waren? Am Ende stand man so oder so qualmend vor der Trinkhalle. Dass die Schornsteine nun nicht mehr mitrauchten, sondern irgendwelche Dienstleistungsparks markierten, wen sollte das kümmern? Immerhin war die Luft besser.
Ausgerechnet das Ruhrgebiet neidet nun den neuen Bundesländern das Geld aus dem sogenannten Solidarpakt, weil es dem Osten inzwischen ja viel besser gehe. Wonach sehnen sie sich denn, die klageführenden Westbürgermeister? Nach topmodernen Autobahnen, die durch Landstriche führen, in denen nur noch Wölfe hausen? Nach lieblich restaurierten Fußgängerzonen und Marktplätzen, auf denen dann die Nazis marodieren? Oder erbitten sie ihre eigene Ablösung durch ein kolonialherrenartiges System von mittels Pott-Zulage aus dem Südwesten hergelockten Managern, Regierenden und Verwaltungschefs, die den Schlendrianen von der Ruhr mal zeigen, wie die moderne Marktwirtschaft funktioniert?
Die Westbürgermeister machen nun mit beim erprobten Spiel: Schwache zerfleischen sich gegenseitig. Wie das arme Schwein im Niedriglohnsektor sich nicht etwa gegen eine Politik wendet, die für seinen elenden Status verantwortlich ist, sondern stattdessen darüber klagt, dass der Hartz-IV-Bezieher nicht noch viel weniger bekommt als er selbst, so neiden nun also Westbürgermeister den Ostkollegen ihre Transfergelder und beschweren sich über ein »perverses System«. Als bestünde dieses nicht darin, dass das Geld nicht dafür verwendet wird, zerfallene Schulen, marode Schwimmbäder und kaputte Straßen instand zu setzen – und zwar da, wo Schulen zerfallen, Schwimmbäder verkommen und Straßen kaputt sind. Ob in West oder Ost, Nord oder Süd.
Was für erbärmliche Jammerlappen, diese Bürgermeister von Oberhausen, Essen, Dortmund und Gelsenkirchen! Dass man anderen nichts kaputtmacht, nur weil man es selbst nicht hat, das versucht man Kindern schon im Sandkasten klarzumachen. Und wenn sie partout nicht hören wollen, dann erzählt man keine Schauergeschichten, sondern macht einen Ausflug nach Sangerhausen, Magdeburg oder in die Uckermark.