Die Polizei macht Radio in Lübeck

Die Polizei sendet selbst

Polizisten planen in Lübeck ein einzigartiges Medienexperiment: Sie wollen in einer Radiosendung selbst über den Polizeieinsatz während eines Naziaufmarsches berichten. Doch ein mögliches Verbot des Aufmarsches bedroht das gewagte Vorhaben.

»Liebes Publikum draußen an den Radiogeräten, willkommen zu unserer heutigen Live-Sondersendung im Offenen Kanal Lübeck. Hier erfahren sie alles über den sorgfältig geplanten Großeinsatz unserer erfahrenen und umsichtigen Polizeibeamten während des Naziaufmarschs in unserer schönen Hansestadt. In den nächsten zwei Stunden erwartet Sie ein buntes Potpourri aus Live-Schaltungen, Interviews und jeder Menge Hintergrundinformationen. Bleiben Sie dran!« So könnte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Schleswig-Holstein (GdP), Manfred Börner, zum Beginn der Sendung seine Hörer begrüßen. Der Mittfünfziger ist offenbar ein rhetorisches Naturtalent, zumindest sind seine Kollegen wohl dieser Ansicht. Denn nicht umsonst haben sie ihn und einen bisher unbekannten Beamten ausgewählt, im Offenen Kanal Lübeck live über den Polizeieinsatz während des Naziaufmarsches unter dem Motto »Bomben für den Frieden? – Im Gedenken an den alliierten Bombenterror vom 28./29. März 1942« am 31. März zu berichten. So ist es geplant.

Und nur so könnte das Schlimmste verhindert werden. Denn beim Naziaufmarsch im Jahr 2011 gaben die freien Berichterstatter des Offenen Kanals in ihrer Sendung grob fahrlässig die Zahl der im Einsatz befindlichen Wasserwerfer falsch wieder. Verständlicher- und berechtigterweise wollte die Polizei die Sendung damals abbrechen lassen. Denn wer einen Wasserwerfer zu viel zählt, dem fehlt offensichtlich einfach die Fähigkeit, ausgewogen und ohne eine maßlose Verzerrung der Tatsachen über einen solchen Einsatz zu berichten. Andernorts in Schleswig-Holstein musste die Polizei einschreiten, um die Verbreitung ähnlicher verleumderischer Darstellungen zu unterbinden. So ließ sie im Jahr 2005 die Schlösser der Redaktionsräume des Offenen Kanals Kiel austauschen, um präventiv die absehbar amateurhafte Berichterstattung über einen geplanten Naziaufmarsch zu verhindern.
In diesem Jahr nun soll in Lübeck alles besser werden. Denn wer kennt die Polizei besser als die Polizisten selbst? Allein schon wegen der fehlenden Kennzeichnung kann der Laie und Journalist die Beamten in ihrer vollen Montur gar nicht identifizieren, die für den Kollegen leicht als der Peter und der Uli zu erkennen sind.
Überhaupt könnte es in einer Sendung unter der Leitung von Polizisten viel familiärer zugehen, etwa im Gespräch mit den Ehefrauen eingesetzter Beamter. »Ich schalte nun Anke hinzu, ihr Mann ist im Einsatz an vorderster Front sozusagen. Hallo Anke!« »Hallo Manfred«, begrüßt die Frau den GdP-Entertainer. »Dein Mann, der Jörg, ist ja heute auch dabei. Hast du Angst, dass gewaltbereite, linksextreme Autonome ihn verletzen könnten?« fragt Börner. »Nein, ich habe da keine Angst. Der Jörg hat ja sein CS-Gas schneller aus der Tasche, als sich so ein Vermummter nach einem Stein bücken kann«, sagt Anke. Beide lachen und lassen den Einsatz im vorigen Jahr Revue passieren. Damals wurde der Platz vor der Lübecker Bodelschwingh-Kirche geräumt, denn zu allem bereite Linksextremisten hatten lautstark »ACAB« und anderen Schmuddelkram gerufen – hässliche Exzesse, gegen die die Polizei selbstverständlich mit Tränengas vorgehen musste.
Dann könnte Börner an den Außenreporter abgeben, der vielleicht live aus einem Wasserwerfer berichtet. »Hier hält der Sönke gerade drauf. Dank neuester Technologie sind die Wasserstrahlen der Fahrzeuge so präzise einstellbar wie ein Laser bei einer Augen-OP.« »Das stimmt, Jan«, sagt der Mann in der Schützenkabine. »Ich drehe jetzt mal voll auf, die plärren schon wieder.« »Ja, Sönke, sehr gut, mach’ das mal.« So müsste eine lebendige Radiosendung klingen. Keine lästigen, zeitraubenden Nachfragen unqualifizierter Journalisten – stattdessen berichten Experten einfach über sich und ihresgleichen.
Doch mittlerweile ist fraglich, ob der Anlass für dieses einzigartige Radioexperiment überhaupt stattfinden wird. Die Lübecker Versammlungsbehörde hat den Naziaufmarsch untersagt. »Die auf Jahre im Voraus angemeldeten sogenannten ›Trauermärsche‹ mobilisieren einen rechtsextremistischen Teilnehmerkreis, der nach außen hin bewusst provozierend auftritt und sich insgesamt ein unfriedliches Gepräge gibt. Angesicht der bekanntgewordenen Ereignisse und Erkenntnisse um den NSU und die Zwickauer Terrorzelle ist hier die Grenze des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren erreicht«, teilte die Stadt mit. Von der Versammlung gehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, sagte der Lübecker Bürgermeister Bernd Saxe (SPD).

Das ist ein Affront gegen die Ordnungshüter, die doch ohne Probleme die Sicherheit der Aufmarschierenden hätten gewährleisten können, Stichwort: Wasserwerfer. Auch Thomas Rother, der Leiter des »Landesarbeitskreises Innere Sicherheit und Polizei« der SPD, zweifelte offenbar an den Fähigkeiten der Polizei. »Die Emotionen der Bevölkerung sind nach der brauen Mordserie derart geschürt, dass die Veranstaltung aufgrund der Gefährdungslage abgesagt werden sollte«, hatte er den Lübecker Nachrichten kürzlich gesagt.
Die Nazis klagen zwar gegen das Verbot, noch hat das Verwaltungsgericht Schleswig nicht entschieden. Doch der Verweis auf den NSU dürfte derzeit ein überzeugendes Argument sein. Schade wäre es. Wohin mit den vorbereiteten Moderationskärtchen für die Sendung, wenn der Aufmarsch nicht stattfindet? Was sollen die Beamten machen, die ihre Zulage für den Einsatz am Wochenende bereits für den Urlaub eingeplant haben? Die Presse hat zwar in einem knappen halben Jahr mehr Informationen über die drei Rechtsterroristen des NSU beschafft als der Verfassungsschutz und die Polizei in einem knappen Jahrzehnt. Aber was hätten Polizisten in der Rolle der Reporter dann wohl erst in sechs Monaten erreichen können?