Die Legalisierung von Drogen könnte die Gewalt in Mexiko eindämmen

Koks für die Welt, der Tod bleibt hier

Der Drogenkrieg in Mexiko hat schon fast 60 000 Menschen das Leben gekostet. Kritische Journalisten sprechen sich gegen den Drogenkonsum in den westlichen Ländern aus. Als pragmatische Lösung gilt jedoch die Legalisierung.

»Wie viele Menschen müssen in Ciudad Juárez in kriegerischen Auseinandersetzungen sterben, damit in New York jemand gemütlich eine Line Koks auf einer Party ziehen kann?« fragt Judith Torrea provozierend. Die spanische Journalistin und Bloggerin hat ihren Job bei einem großen US-Magazin gekündigt und ist nach Ciudad Juárez zurückgekehrt. Dorthin, wo abends die Toten ­gezählt werden. »Am Kokain klebt Blut, aber dieses wird ausschließlich in Lateinamerika vergossen, nicht dort, wo Kokain konsumiert wird.« Ciudad Juárez ist einer der Hauptschauplätze des im Jahr 2006 von Präsident Felipe Calderón erklärten »Kriegs gegen die Drogen«. Die Zahl der Gefechte, Morde und Menschenrechtsverletzungen ist seitdem immens gestiegen.
Bei der Nationalen Menschenrechtskommission Mexikos wurden mehr als 5 000 Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen durch Soldaten eingereicht, die jedoch immer folgenlos bleiben. »Dies ist ein Krieg gegen die Armen. Sie leiden am meisten«, sagt Judith Torrea. Nach Angaben des mexikanischen Magazins Proceso wurden in den vergangenen drei Jahren in Ciudad Juárez fast 11 000 Menschen ermordet.
Kritiker wie Gerardo Rodríguez, geschäftsführender Direktor der Tageszeitung El Diario de Juárez, werfen Calderón vor, den Konflikt eskaliert zu haben, um seine Macht zu sichern. Überdies gebe es enge Verbindungen zwischen dem Staat und den Kartellen. So werden dem Sicherheitsminister Genaro García Luna engste Verbindungen zum Sinaloa-Kartell nachgesagt. In Ciudad Juárez räumte die Bundespolizei diesem den Weg frei, indem sie das ansässige Juárez-Kartell bekämpfte. »Kartelle und Polizei sind in Mexiko eng miteinander verflochten. Erstere haben die Institutionen mit Korruption ausgehöhlt und nutzen ihre Logistik. Viele Angehörige der Drogengangs wurden zunächst als Polizisten von staatlicher Seite ausgebildet«, erklärt Rodríguez. »Niemand kann mehr sagen, wer da in Uniform vor einem steht, ein Staatsbeamter oder ein Angehöriger der Drogenmafia.«
Nach offiziellen Angaben werden 20 000 Polizisten in 17 der 32 mexikanischen Bundesstaaten derzeit von über 50 000 Soldaten unterstützt. Die Kartelle stellen ihrerseits schätzungsweise 150 000 Mann. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung bewertet den Konflikt als »full scale war«. Der Konsum von Ko­kain und anderen Drogen hat in den vergangenen Jahren in den USA und anderen Ländern dennoch zugenommen.

Die USA sind der wichtigste Markt für Drogen aus Lateinamerika, danach folgt Europa, mit Italien an erster Stelle. Nach Deutschland gehen schätzungsweise neun Prozent des Kokains aus Lateinamerika. »Ohne diese Nachfrage gäbe es keinen Anbau, keinen Handel, keine Drogenroute. Dies wirft die Frage auf, warum in den USA und Europa so viele Menschen zu Drogen greifen.« Gerardo Rodríguez schüttelt den Kopf: »Was läuft in diesen wohlhabenden, als überaus entwickelt geltenden Ländern so grundlegend schief, dass die dort lebenden Menschen so gestresst und unglücklich sind? Darüber sollten sich die westlichen Gesellschaften Gedanken machen.«
Doch nicht nur der Konsum findet zumeist außerhalb Mexikos statt. Die italienische ’Ndran­gheta betreibt für das mexikanische Golfkartell Geldwäsche in Italien und Europa. Ebenso wird mit dem Bau von Tourismusanlagen in der Ka­ribik Drogengeld gewaschen. »Eine wichtige Aufgabe des investigativen Journalismus wäre es, diese Kanäle offenzulegen und Firmennamen zu veröffentlichen«, sagt Rodríguez. »Dies könnte als Basis für einen Boykott der jeweiligen Unternehmen dienen.«
In Mexiko sollen 20 bis 30 Milliarden Dollar im Jahr mit dem Drogenhandel erwirtschaftet werden. Damit stellt dieser neben Tourismus, Erdöl und Geldrücksendungen von Migranten eine der Säulen der mexikanischen Wirtschaft dar. Das Geld fließt über Unternehmen und Banken in den legalen Wirtschaftskreislauf. »Man geht davon aus, dass Joaquín ›El Chapo‹ Guzmán, einer der größten Drogenbosse Mexikos, rund 3 000 Firmen im Land besitzt«, berichtet Leobardo Alvarado von der Internetzeitung Juárez Dialoga. »Armeen von Anwälten, Richtern und Steuerberatern verdienen Millionen an den Praktiken von Korruption und Geldwäsche. Währenddessen werden kleine Dealer und Abhängige verurteilt. Ein heuchlerischer Diskurs.«
Alvarado spricht sich für eine Legalisierung von Drogen aus, »denn den illegalen Handel wird man nie unter Kontrolle bekommen«. Damit steht er nicht allein, in Mexiko, in Lateinamerika und weltweit wird diese Alternative diskutiert. Sogar von den Regierungschefs der G8 und von den Vereinten Nationen werden Drogenkriege seit dem vergangenen Jahr kritisch analysiert, wegen ihrer Auswirkungen auf Demokratie und Menschenrechte, aber auch hinsichtlich ihrer Effektivität.

Vor allem in den von Drogenkriegen und Militarisierung betroffenen Staaten Lateinamerikas gewinnen Befürworter der Legalisierung an Einfluss. Mehr und mehr Regierungen ziehen diese Strategie angesichts horrender Opferzahlen, hoher Kriegsausgaben und einer trotz alledem größer werdenden Macht der Kartelle ernsthaft in Erwägung, nicht zuletzt, um einem drohenden Staatszerfall vorzubeugen. Doch für die US-Regierung bleibt die Legalisierung weiter ein Tabu.
So nahm US-Vizepräsident Joe Biden zwar im März an einer Konferenz der Präsidenten der zentralamerikanischen Staaten zu eben diesem Thema in Honduras teil, stellte allerdings klar, dass eine Legalisierung für die Vereinigten Staaten nicht in Frage komme. »In der Grenzstadt Juárez wird der Krieg wohl erst mal weitergehen«, schließt Alvarado. Lediglich Andrés Manuel López Obrador, der bei den Präsidentschaftswahlen am 1. Juli für die Partei der demokratischen Revolution (PRD) kandidiert, kündigte an, die Diskus­sion über eine Legalisierung von Drogen voranzutreiben.