Der Protest muss im Alltag ansetzen

Zurück zu den Alltagskämpfen

Der Erfolg der Krisenproteste bemisst sich nicht an der Zahl der Demonstranten in Frankfurt oder an der Dauer einer symbolischen Blockade, sondern an der Verbindung mit Alltagskämpfen.

Nach der Demo ist vor der Demo. Dieser Spruch ist bei Organisatoren sozialer Proteste in diesen Tagen besonders beliebt. Nach dem antikapitalistischen Aktionstag am 31. März in Frankfurt werden nun die dortigen Aktionstage Mitte Mai vorbereitet. Am kommenden Freitag soll die Öffentlichkeitsarbeit beginnen. Mit dem Ausdruck »Blockupy« wurde bereits ein Slogan und mit dem Zelt ein Symbol geschaffen. Im Sinne der diesjährigen Protestagenda mag es richtig sein, wie Wolf Wetzel in seinem Jungle World-Beitrag in den Pfingstaktionen die Fortsetzung von M31 zu sehen. Doch inhaltlich fällt »Blockupy« hinter M31 zurück. Während dort der kapitalistische Verwertungszwang im Mittelpunkt der Kritik stand, will man sich Mitte Mai als Teil einer neuen internationalen Protestbewegung inszenieren. Die Revolten in Nordafrika werden beschworen, soziale Auseinandersetzungen in den USA und in den verschiedenen EU-Ländern und die Proteste gegen Acta werden in dem Aufruf angeführt. Die Organisatoren versuchen, mit dem Bezug auf die »Occupy«-Bewegung den so disparaten Kämpfen eine gemeinsame Stoßrichtung zu geben.
Dabei wird allerdings sehr eigenwillig mit der kurzen Geschichte dieser Bewegung ungegangen. So heißt es in dem zentralen Aufruf zu den Aktionstagen: »Ausgehend von Occupy Wall Street ist wie aus dem Nichts eine weltweite Bewegung gegen Entdemokratisierung und soziale Angriffe entstanden, Hunderttausende sind weltweit gegen Internetzensur auf die Straße gegangen. Auch das Camp vor der Europäischen Zentralbank besteht weiter.« Tatsächlich campierten in Spanien und Israel Empörte schon Monate vor »Occupy Wall Street« auf öffentlichen Plätzen. Mit der Ausblendung dieser Bewegungen werden ausgerechnet auf jene Proteste in den Mittelpunkt gestellt, die mit ihrem Bezug auf Banken und Börse und einer auf den Finanzsektor konzentrierten Kapitalismuskritik hinter den Diskussionsstand der M31-Mobilisierung zurückfallen.
Wie Laura Winter in ihrem Jungle World-Beitrag betont, wurde mit der EZB nicht ein Symbol der Finanzwelt, sondern eine politische Einrichtung zum Ziel der Demonstration am 31. Mai. Ein plumpes Bankenbashing wurde hingegen eindeutig zurückgewiesen. Dieser Unterschied wird im Beitrag von Wolf Wetzel verwischt, wenn er die 2010 von der Georg-Büchner-Initiative lancierte Bankenblockade, M31 und die Aktionstage im Mai in eine Traditionslinie stellt. Dabei wurde die Bankenblockade auch deshalb abgesagt, weil es Kritik an der Beschränkung auf den Bankensektor auch von Gruppen gab, die am M31-Prozess beteiligt gewesen sind. Unabhängig von der Einschätzung der Berechtigung dieser Kritik ist es zunächst wichtig, die Unterschiedlichkeit der politischen Konzepte zur Kenntnis zu nehmen. Nur dann können sie auch Gegenstand einer Debatte sein.

Wetzel zitiert die Parole der geplanten Bankenblockade 2010: »Wir müssen die Richtung ändern, wir müssen die Symbolik hinter uns lassen.« Dann aber müsste sich sofort die Bemerkung anschließen, dass mit der vorgeschlagenen Aktion die Symbolpolitik fortgesetzt wird, gerade weil man sich auf den Bankensektor konzentriert. Die von Winter und Wetzel in die Diskussion gebrachte Startbahn West war ebenso wie andere Verkehrs- und AKW-Projekte ein konkretes Vorhaben, dass verhindert werden sollte. Unter dieser Prämisse muss man über die Aktionsformen diskutieren, die dieses Ziel befördern können. Banken und Börse hingegen sind integrale Bestandteile des aktuellen Kapitalismus, die nicht einfach mit einer noch so großen Blockade aus der Welt geschafft werden können. Sollte es möglich sein, Mitte Mai zwischen den Pfingstfeiertagen und dem Wochenende einige Banken in Frankfurt zu blockieren, wäre das gerade das Paradebeispiel für Symbolpolitik. Das wäre vergleichbar mit den von der Interventionistischen Linken zum großen Sieg der Protestbewegung stilisierten Blockaden in Heiligendamm 2007, die den Ablauf des Gipfels nur am Rande beeinflussten.
Wenn die Parole, die Symbolik hinter sich zu lassen, ernst gemeint ist, müsste man die Alltagskämpfe am Arbeitsplatz, im Jobcenter, an der Universität oder im Stadtteil zum Ausgangspunkt der Proteste machen. Die Großdemonstration wäre dann nur das Forum, auf dem sich die Menschen mit ihren jeweiligen Protesten präsentieren, sich koordinieren, aber auch voneinander lernen können. Dann wäre eine solche Großaktion auch nicht ein aufwendig von wenigen Menschen bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit vorbereitetes Event, auf das allen vorherigen Beteuerungen zum Trotz danach die Flaute folgt, weil die Aktivisten dringend der Regeneration bedürfen. So dauerte es nach der Mobilisierung von Heiligendamm eine ganze Weile, bis mit den Blockaden gegen die rechten Aufmärsche in Dresden und der Aktion »Castor Schottern« an die Proteste angeknüpft werden konnte. Versuche, auch in sozialen Kämpfen mit diesen Aktionen Fuß zu fassen, wurden diskutiert, aber nicht weiter entwickelt. Das ist ein wichtiges Indiz dafür, dass soziale Alltagskämpfe einen anderen Rhythmus haben und dass das von der IL favorisierte Blockade-Konzept für bundesweite Aktionen gegen Nazis und Castoren, nicht hingegen für soziale Kämpfe im Alltag der Menschen brauchbar ist.

Einen anderen Weg sind die Menschen und Initiativen gegangen, die im September vergangenen Jahres in Berlin die große Mietendemonstration vorbereitet haben. Hier bildeten die widerständigen Strukturen vor Ort die Grundlage des Protestes. Auf der Demonstrationsroute haben Mieteraktivisten, beispielsweise von der Initiative Fulda-Weichselstraße in Neukölln oder Carla Pappel aus Treptow, von ihrer Arbeit berichtet. Dadurch wurden auch Menschen in die Demonstration einbezogen, die zuvor noch nie aus politischen Gründen auf die Straße gegangen sind. Sie haben ihr konkretes Interesse zum Ausdruck gebracht und es durch die Demonstration mit anderen Widerständen verbunden. Danach ging die Arbeit in den Stadtteilen weiter, wie die verschiedenen mietenpolitischen Aktivitäten der vergangenen Monate in Berlin zeigen. Einen Bezug auf Alltagskämpfe herzustellen, ist bei einer bundesweiten Aktion schwieriger, aber durchaus möglich.
So diskutierten auch in der Berliner M31-Vorbereitung Gewerkschafter der FAU und ein Verdi-Personalrat gemeinsam mit Vertretern der Interventionistischen Linken und des Ums-Ganze-Bündnisses über Perspektiven der Krisenproteste. Beim Ratschlag der Krisenproteste Ende Februar in Frankfurt am Main warben Beschäftigte der Steakhaus-Kette Maredo, die wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten gemobbt und gekündigt worden waren, um Solidarität. Diese Beispiele machen deutlich, dass auch die radikale Linke zu ­einem Bündnispartner von Beschäftigten werden kann. Die Voraussetzung ist natürlich, dass sie ihre subkulturelle Selbstbezüglichkeit aufgibt und auch bereit ist, sich auf die Besonderheiten der jeweiligen Alltagskämpfe einzulassen. Beide Seiten würden davon profitieren. Die Aktivisten so­zialer Alltagskämpfe könnten ihr konkretes Anliegen in einen größeren antikapitalistischen Rahmen stellen und bekämen einen anderen Blick auf die Gesellschaft. Für die Gruppen der außerparlamentarischen Linken böte sich die Chance, ihre theoretischen Grundsätze dem Praxistest zu unterwerfen. Dabei würde sich wahrscheinlich zeigen, dass nicht jeder theoretisch fundierte Text die Konfrontation mit der Realität außerhalb des eigenen Mikrokosmos bestehen würde. Das trifft auch auf einige der auf der Homepage http://m31kritikkritik.wordpress.com dokumentierten Kritikpapiere zu, die auch auf der Demonstration M31 verteilt wurden. So wird in den auf der Homepage veröffentlichen sechs Thesen der Gruppe Eigenleben die Verfasstheit der außerparlamentarischen Linken in Deutschland ebenso gut benannt wie die vielen individuellen Rückzugsgebiete, die sich auch linke Aktivisten suchen. Doch ein Bezug auf soziale Kämpfe im Alltag sucht man in den Thesen vergeblich. Dafür finden sich an einigen kryptischen Textstellen Me­taphern aus der Computerwelt: »Unser Ziel muss es deshalb sein, die bestehenden Verhältnisse zu deprogrammieren, analysieren, und in Folge dessen – neu – rezuprogrammieren [sic].« Die »Gruppe mikrologische Aktion« wiederum liefert in ihrem Kritikpapier eine gute Kritik am Demokratiebegriff, nur um einige Absätze eine linke Moral einzufordern. Dagegen wenden sich die Autoren explizit gegen jeden positiven Bezug auf Interessen von Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Mietern etc. »Die Demonstrierenden vom 31.03.2012 bleiben beim von Marx beschriebenen bürgerlichen Privatinteresse stehen. Dieses kann man nur in Konkurrenz zu anderen und mit der Inkaufnahme der Schädigung anderer durchsetzen«, heißt es in dem Text. Ein solches Lamento hört man sonst von den Unternehmerverbänden, wenn Lohnabhängige für ihre Interessen streiken. Die Stoßrichtung der Texte zeigt auch, dass einige linke Gruppen die Realität einer Klassengesellschaft ignorieren. Statt eine linke neue Moral zu propagieren, sollte das Interesse derer, die ausgebeutet und ausgegrenzt werden, die Grundlage von Alltagswiderstand und Protesten werden. Daran, und nicht an der Größe der Demonstrationen und der Dauer der symbolischen Blockaden, bemisst sich der Erfolg der Krisenproteste.