Vom Elend der Klimapolitik

Das Klima passt in kein Labor

Die Klimadebatte wird von allen Seiten als pseudoreligiöse Glaubensangelegenheit behandelt. Die wissenschaftlichen Prognosen sind dabei jedoch meist schlecht begründet.

Immer wieder, und gerade wieder einmal, streiten sich die Experten über Klimaprognosen. Der SPD-Politiker, ehemalige Hamburger Umweltsenator und Manager Fritz Vahrenholt hat in seinem kürzlich erschienenen Buch »Die kalte Sonne« die Wettervorhersagen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) kritisiert. Das IPCC ist das einflussreichste internationale wissenschaftliche Gremium für Klimaforschung. Als früherer Verfechter von dessen Thesen gilt Vahrenholt nun bei den ehemaligen Mitstreitern als Renegat, seine Argumentation gewinnt in der Öffentlichkeit aber gerade dadurch an Gewicht. Schon wird er in Deutschland als der Thilo Sarrazin der Klimadebatte gehandelt. Und im Gegensatz zu dem Eindruck, den der heftige Streit um ihn erweckt, hat er wie Sarrazin erstaunlich viele Ähnlichkeiten mit jenen, die er kritisiert.

Einigkeit besteht darüber, dass eine wichtige Aufgabe der Naturwissenschaften darin liegen sollte, Prognosen über die Zukunft der Natur zu erstellen und die Regierungen weltweit anzuhalten, langfristig ökologisch zu agieren. Auch den bekanntesten Befund der Klimaforschung, den die regelmäßigen Messungen von Charles David Keeling seit 1958 ergeben haben, stellt Vahrenholt keineswegs in Frage. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt gegenwärtig an und hat sich insgesamt schon deutlich erhöht. Auch die Hauptursache dafür ist unstrittig: die von Menschen in großem Maßstab organisierte Verbrennung kohlenstoffhaltiger Energieträger.
Die Differenzen der Experten liegen in der Gewichtung der vielen Faktoren, die neben dem CO2-Gehalt in ihren Klimamodellen enthalten sind, und in den Forderungen, die sie aufgrund der unterschiedlichen Ergebnisse an die Klimapolitik stellen. Vahrenholt prangert die Vernachlässigung eines für das Klima ganz offenkundig wichtigen Faktors an – der Sonne. Ihre Aktivität schwankt in einem schmalen Rahmen sowohl über kürzere als auch längere Zeiträume. Und natürlich besteht ein Zusammenhang zwischen ihrer Strahlungsintensität und den Temperaturen auf der Erde. Vahrenholt bezieht sich auf langfristige Beobachtungen der Sonnenaktivität anhand der schon seit Jahrhunderten gezählten variablen Anzahl der Sonnenflecken. Eine höhere Anzahl von Flecken ist zuverlässiges Indiz einer stärkeren Aktivität. Er meint nun die Sonnenfleckenzahlen durch eine Überlagerung aus mehreren unterschiedlich langen und starken periodischen Zyklen erklären zu können und erwartet aufgrund der Extrapolation dieses Modells demnächst ein sogenanntes großes Minimum der Sonnenaktivität. Deshalb soll die Sonne bald ein klein wenig kälter und zugleich ihr Magnetfeld deutlich schwächer werden. Und da Vahrenholt ihren Einfluss aufgrund von Verstärkungsmechanismen höher veranschlagt als andere Klimaschätzer, erwartet er im Gegensatz zur Mehrheit der Wissenschaftler insgesamt eine leicht sinkende globale Temperatur. Damit greift er auch Forderungen nach unverzüglichen Maßnahmen gegen die Erd­erwärmung an, die er als überstürzt kritisiert.

Ein rein zyklisches Modell der Sonnenaktivität hat sich jedoch längst als ungenügend erwiesen und damit sind alle daraus abgeleiteten Konsequenzen Makulatur. Selbst wenn sich über weite Strecken immer wieder Zyklen zeigen, lässt sich die Gesamtentwicklung der Sonnenflecken nicht allein aus der Überlagerung periodischer Funktionen erklären. Viele andere Modelle wurden schon an den öffentlich verfügbaren Zeitreihen der Sonnenfleckenzählungen erprobt, konnten sie aber ebenso wenig erklären. Denn das Problem liegt grundsätzlich darin, dass die physikalischen Mechanismen, die die Sonnenaktivität beeinflussen, nicht ausreichend verstanden werden. Doch erst dann ließe sich überhaupt ein hypothetisches Modell rechtfertigen, das dann wiederum anhand der Daten überprüft werden könnte. Die Zyklenthese entspringt der selektiven Wahrnehmung des oberflächlichen Erscheinungsbildes von recht groben Daten und bleibt daher spekulativ. Verteidiger der Mainstreamposition argumentieren in ihren Stellungnahmen zu Vahrenholts Thesen in der skizzierten Weise. Ihnen gelingt jedoch nur mit Mühe, sachlich zu bleiben.
Denn der Streit ist eine Glaubensfrage, theoretische Schwierigkeiten treten auch bei den Klimamodellen des Mainstreams auf. Gewiss noch schwieriger als die Modellierung und Extrapolation einer jahrhundertelangen Zeitreihe ohne Kenntnis von den ihr zugrunde liegenden wesentlichen Ursachen ist die Wettervorhersage für die nächsten 100 Jahre. Die beruht auf Schätzungen der historischen Temperatur und der historischen Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Aus diesen Schätzungen werden funktionale Zusammenhänge zwischen beiden errechnet, die dann in die Klimaprojektionen eingehen. Der wichtigste ist dabei ein vermuteter starker Zusammenhang zwischen dem CO2-Gehalt und der globalen Temperatur. Qualitativ spricht auch theoretisch einiges für einen solchen Zusammenhang, quantifizieren und extrapolieren lässt er sich nicht mit Sicherheit, da die geschätzten historischen Daten recht ungenau sind und ebenso wie für die Sonnenaktivität kein gesichertes theoretisches Modell existiert.
Vor allem der angenommene Rückkoppelungseffekt, dass also die Erwärmung wiederum indirekt Treibhausgase freisetze und dadurch eine sich insgesamt selbst verstärkende Entwicklung in Gang gekommen sei, lässt sich äußerst schwer überprüfen. Aber eine globale Klimaprognose muss trotzdem her, weil unser aller Schicksal ja angeblich davon abhängt, jetzt sofort das zukünftige Klima zu retten. Die Experten füttern daher ihre Computer mit irgendwie an die gerade vorhandenen Daten angepassten Modellen und lassen sie dann auf Teufel komm raus Prognosen ausspucken. Und fast alle sagen aufgrund ihrer Berechnungen eine massiv ansteigende globale Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts voraus. Dadurch verursacht werden dann extremere Wetterlagen erwartet, den Rest kann sich das geneigte Publikum anhand der einschlägigen Katastrophenfilme der vergangenen Jahre selbst ausmalen.

Wissenschaftlich widerlegen lassen sich alle diese Vorhersagen nicht. Denn woher sollen bessere Klimaprognosen auch kommen? Dass die verwendeten Modelle sehr spekulativ bleiben, zeigen schon grundsätzliche methodische Überlegungen. Im wissenschaftlichen Teil seines vierten und bislang letzten Evaluierungsberichtes von 2007 beruft sich das IPCC eingangs als Wahrheitskriterium naturwissenschaftlicher Erkenntnis auf Karl Poppers Falsifikationismus. Jede Hypothese müsse theoretische Konsequenzen haben, die sich experimentell widerlegen lassen. So hat Popper versucht, das objektive Maß für die Korrektheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis zu fassen, und sein Vorschlag ist allemal objektiver, als einfach mehrheitlich abzustimmen.
Das IPCC betont nun, dass alle in Betracht gezogenen Modelle genauestens in Fachzeitschriften publiziert werden und dadurch eingehenden Kontrollen durch andere Experten unterliegen. Es muss aber konzedieren, dass diese Experten keine experimentelle Überprüfung vornehmen können, denn das Erdklima passt nun einmal in kein Labor. Was bleibt, ist die Prüfung auf formale Korrektheit und die gegenseitige freundliche Anerkennung der wissenschaftlichen Arbeiten der Kollegen. So können allerdings viele verschiedene Modelle nebeneinander existieren und mangels Experimenten gelten sie alle als gleich wahr. Für seine Gesamteinschätzung nimmt das IPCC daher die Ergebnisse aller erfolgreich evaluierten Modelle und bildet eine mittlere Vorhersage der gemeinsamen Anstrengungen aller Wissenschaftler. So entsteht einmal mehr eine veritable ökologische Massenprognose. Wer wissen möchte, was daraus einmal werden könnte, sollte sich anschauen, was aus den Warnungen des Club of Rome – etwa zum Stichwort »Bevölkerungsexplosion« – und speziell in Deutschland aus dem »Waldsterben« geworden ist.

Dass so viele wissenschaftliche Arbeitsgruppen und häufig auch deren Kritiker in mühevoller wissenschaftlicher Detailarbeit zu solch insgesamt dubioser Prognostik beitragen, hat einen ganz einfachen Grund: das grauenhafte Leid, das Naturkatastrophen weltweit über alle Menschen bringen können und das sie unbedingt verhindern möchten. Sie sind sich sicher: Nur wenn wir alle den Ausstoß von Treibhausgasen am besten heute noch verringern, wird alles, aber auch wirklich alles, nicht so schlimm und die Erde kann der harmonische und friedliche Ort mit angenehmem Klima bleiben, der sie immer schon war.
Aufgrund dieser enormen Bedeutung der Klimaforschung für die Zukunft der Menschheit können sich die Klimaretter gerade nicht mit folgenden nebensächlichen Fragen beschäftigen: Warum gewinnt Klimaschutz als globales Ziel in den alten Industrienationen an Bedeutung, seit sich lange Jahre zurückliegende Entwicklungsländer anschicken, sie ökonomisch einzuholen? Seit deren Bevölkerungen gesteigerten Konsum, das jeweils eigene Auto und insgesamt einen höheren Rohstoffbedarf anstreben? Und leiden an vergessenen Orten der Erde nicht schon jetzt Menschen an Mängeln, zu deren Bekämpfung die technischen Voraussetzungen längst vorhanden wären? Hier sei an die wissenschaftlich gut erforschte und sogar für Laien leicht verständliche Kausalkette Nahrungsmangel – Hunger erinnert. Raum für wissenschaftliche Forschung und Spekulation bleibt da leider nicht. Bei einer »Taz-Reise in die Zivilgesellschaft« und in die Schweizer Alpen dagegen »tasten wir uns ins Reich des ewigen Eises vor – so lange es dieses noch gibt« und können an »den Schlüsselstellen der alpinen Klimaerwärmung« von »Gletscher-Experten« und »Vertretern engagierter Klima-NGOs« noch ganz viel lernen.