Die Renaissance von Black Metal in den USA

Metal ist das neue Hippie

Black Metal erlebt in den USA eine Renaissance. Junge Bands wie Liturgy und Wolves in the Throne Room brechen mit den satanistischen Traditionen des Genres und propagieren einen ökologischen Lifestyle. Manche tragen ­sogar Hipsterklamotten.

Black Metal hat den Kontinent gewechselt. In den Neunzigern waren die meisten Bands dieses Genres in Europa, insbesondere in Norwegen ansässig. Die Osloer Szene begründete das Image der Musikrichtung, mystisch, satanistisch und nazistisch ging es zu. Der traurige Höhepunkt war erreicht, als Varg Vikernes, der das rechtsextreme Bandprojekt Burzum betrieb, den unter dem Künstlernamen Euronymous bekannt gewordenen Gitarristen der Gruppe Mayhem erstach. Heute ist die Spielart des düsteren Metal plötzlich wieder aktuell. Allerdings befindet sich das Zentrum der neuen Metal-Szene nicht in Skandinavien, sondern in Nordamerika.
Und nicht nur das. Black Metal hat auch die Seiten gewechselt. Das Genre begeistert nicht mehr ausschließlich eine adoleszente Subkultur, deren Protagonisten sich als Outlaws begreifen, sondern vor allem Studenten, Feuilletonisten und Ökoaktivisten, also Gruppen, die bisher die Minderheit innerhalb der Fanszene waren.
So schreibt Sasha Frere-Jones, der Gralshüter guten Musikgeschmacks im Magazin New Yorker, begeistert über Bands wie Liturgy, Krallice, Absu, Leviathan, Wolves in the Throne Room und Inquisition. In der Taz findet Robert Iwanetz lobende Worte für die Band Liturgy, Vice und Intro widmen dem neuen Gesicht des Black Metal lange Geschichten.
Bands wie Liturgy und Wolves in the Throne Room verkörpern den neuen Trend. An den beiden Avantgarde-Bands scheiden sich aber auch die Geister. Für die einen sind sie die Heilsbringer einer neuen Metal-Kultur und werden gefeiert, von konservativen Fans werden sie als Hipster-Spinner abgetan. Liturgy werden auf Facebook und Youtube immer wieder beschimpft. Wer sich ein Video der Band anschaut hat, versteht auch, warum. Die Mitglieder der Band tragen Skinny-Jeans und sind optisch kaum von anderen Indie-Bands zu unterscheiden, etwas, das im alten europäischen Black Metal, der vor allem um Abgrenzung bemüht war, schlicht unmöglich war.
Wolves in the Throne Room, deren Mitglieder in einer Landkommune in Olympia leben, wirken da schon traditioneller. Der Schriftzug der Band erinnert an jene der traditionellen Metaller. Ihnen fallen die langen Haare ins Gesicht, und ihr Auftreten ist martialischer als das der dünnen Liturgy-Jungs. Doch auch sie haben mit Corpsepaint und Hauteinritzungen – ein beliebtes Stilmittel in den ersten Jahren des Black Metal – nichts zu tun.
Musikalisch orientieren sich Liturgy eher an schnelleren Gitarren und kreischendem Gesang, Wolves in the Throne Room an dronigem, aber auch schnellem, hartem Metal. Doch im Metal war die Wirkung der Musik schon immer wichtiger als die Feinabstufungen beim Sound. Das Genre wird neuerdings von einem akademischen Diskurs begleitet, der das Dröhnen der Musik mit dem Raunen postmoderner Philosophen verbindet. 2009 fand das erste »Black Metal Theory Symposium« statt. Hier wurde der Versuch unternommen, Black Metal philosophisch zu deuten und ein Begriffsystem für die mystische, düstere Musik zu entwickeln. Hunter Hunt-Hendrix, Philosophiestudent an der New York University und Frontmann von Liturgy, hat auf dem ersten Kongress einen Vortrag gehalten. Organisiert wurde der Kongress von Nicola Masciandaro, der als Professor für Literatur am Brooklyn College lehrt. Im E-Mail-Interview erklärt er: »Bevor ich anfing, mich hauptsächlich mit Black Metal auseinanderzusetzen, habe ich mich generell mit Metal, aber vor allem mit Black Sabbath beschäftigt.«
Mittlerweile fanden drei Symposien statt. Das erste, 2009 in Brooklyn, beschäftigte sich vor allem mit den Grundlagen des Genres und versuchte Black Metal mit philosophischen Begriffen zu fassen. Das zweite Symposium mit dem Titel »Melancology« fand 2011 im Londoner Stadtteil Kingston-upon-Thames statt, das dritte mit dem Titel »P.E.S.T.« im selben Jahr in Eden Quay, Dublin. Man verzichtete darauf, mystische Geheimwissenschaften und die Schriften Aleister Crowleys heranzuziehen, wie dies noch in den Neunzigern der Fall gewesen war, sondern bemühte Félix Guattari, Gilles Deleuze und Giorgio Agamben, um den schwarzen Metal zu erklären. Der Diskurs wurde immer abstrakter, die Suche nach philosophischen Entsprechungen zur als unergründlich und mystisch verstandenen Musik immer intensiver.
Nicola Masciandaro organisiert nicht nur die Symposien, er betreibt auch das Blog »Black Metal Theory«. Seine Schwerpunkte sind mittelalterliche Literatur und Philosophie, er interessiert sich für Mystik und »Meta-Wissenschaften«. In der Blogosphäre gilt er als Exponent des amerikanischen Post-Black-Metal. »Um das Jahr 2002 zog mich Black Metal auf einmal an, nachdem ich jahrelang alle anderen Arten von Metal gehört habe, vor allem Black Sabbath. Warum, kann ich schwer erklären. Wir mögen Musik nicht aus rationalen Gründen. Einen Sound zu hören ist, wie einem Geheimnis zu lauschen. Aber mein Eintauchen in Black Metal hatte vor allem damit zu tun, dass ich immer mehr über Metal nachdachte und mich bewusst darauf einließ.«
Masciandaro meint, dass Black Metal genau wie die Philosophie die Grenzen des Denkens erweitern könne, beide Disziplinen haben für ihn eine mystisch-spirituelle Dimension. Wer sich von den Black-Metal-Philosophen Erleuchtung erhofft, wird jedoch ebenso enttäuscht wie derjenige, der den Bruch mit der norwegischen Metal-Szene in den Neunzigern erwartet. Es sind wohl weniger die Protagonisten des neuen Black Metal, sondern vor allem die Musikkritiker, die sich wünschen, dass sich der Post-Black-Metal von seinen Anfängen distanziert.
Black Metal wird als spirituelles Erlebnis verstanden. »Amerikanische Black-Metal-Bands«, erklärt Masciandero, »befinden sich stärker im Einklang mit Naturmystik und dem westlichen Romantizismus. Der Geist William Blakes ist dafür wichtig. Ich habe gehört, dass Liturgy an einer Oper arbeiten, die auf Blakes Figur Ololon basiert«.
Die US-Bands haben zwar den Kult um das Corpsepaint aufgegeben und die Musik aus der Allianz mit dem Satanismus, dem Heidentum und dem Neonazismus gelöst. Was allerdings bleibt, ist die Bindung an die Traditionen des Christentums. So waren die norwegischen Bands wohl weniger »echte« Satanisten als vielmehr Anti-Christen, die sich im protestan­tischen Norwegen eine Gegenkultur schufen. Auch Masciandaro sieht die Kirche und ihre Kultur als Hauptbezugspunkt des jüngeren Black Metal.
Den Nazi-Musiker Burzum zu hören, stellt für Masciandaro kein Problem dar. »Ich liebe es«, meint er, »Burzum zu hören. Da gibt es keinerlei Konflikte. Zum Ideal des Black Metal gehört die selbstquälende Praxis, sich selbst gegenüber absolut aufrichtig zu sein, und konsequente geis­tige Vornehmheit. (…) Es ist wichtig, nichts zu fürchten und sich nicht aus Angst vor jemandem krumm zu machen.« Der nietzeanische Individualismus des Bandleaders Varg Vikernes wird als Ideal betrachtet.
Wohin die Reise von hier aus geht? Wer weiß das schon. Die Erklärungen der neuen Black-Metal-Philosophen münden in jene Beliebigkeit, die man von den Jüngern postmoderner Philosophen kennt. Puristen des Genre können jedenfalls aufatmen: Der Black Metal bleibt weiterhin mystisch, geheimnisvoll und unerschlossen.