Zum Stand der Ermittlungen über die Morde des NSU

Untergrund leicht gemacht

Das Aufklärung der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds droht in Thüringen zur blanken Farce zu werden.

Sie schweigt. Seitdem die Frau als mutmaßliches Mitglied des Kerntrios des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) in Haft ist, sagt sie nichts zu der Mordserie, dem Leben im Untergrund und dem Unterstützernetzwerk. Es sind keine Informationen von Beate Zschäpe aus der Kölner Justizanstalt in die Öffentlichkeit gelangt. Als »Naziliebchen« und »Nazibraut« wurde die Frau betitelt, kaum war sie im vergangenen November in Untersuchungshaft genommen worden. Eine eigene politische Motivation sprachen die Medien der 36jährigen schnell ab, die im Verdacht steht, von zehn Morden gewusst, über 13 Jahre in der Illegalität gelebt, mindestens neun verschiedene Identitäten benutzt, Sprengstoff verwendet sowie Pässe und Waffen besorgt zu haben.
Im Februar stellte der Bundesgerichtshof allerdings fest, es bestehe der dringende Verdacht, dass Zschäpe, wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, ein vollwertiges Mitglied des NSU mit »gleichberechtigter Stellung« gewesen sei, und wies eine Haftbeschwerde ab. Es ist zu befürchten, dass die Morde und das Vorgehen des Terrornetzwerks ohne die Aussagen der Frau nicht zur Genüge aufgeklärt werden. Denn den Versprechen der zuständigen Behörden und Ämter, eine vollständige Aufarbeitung voranzutreiben, folgten vor allem Verzögerungen.

Der Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag möchte auch Zschäpe vorladen. Sie solle über die »Kameradschaft Jena« (KJ) und den »Thüringer Heimatschutz« (THS) berichten, so die Vorsitzende Dorothea Marx (SPD). In dieser Szene hat sich das Trio radikalisiert. Vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) erwartet die Opposition aus Linkspartei, SPD und Grünen offensichtlich nicht mehr viele Erkenntnisse. »Das meiste haben wir bisher nur über die Presse erfahren«, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Manchen Medien wurden Akten zugespielt. Die zuständigen Stellen in Thüringen, sagt Peter Metz, Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus bei der SPD-Landtagsfraktion, »stehen voll auf der Bremse«.
Den sogenannten Gasser-Bericht will das Innenministerium unter der Leitung von Jörg Geibert (CDU) erst gar nicht öffentlich werden lassen. Aus Sicht des Ministeriums ist das verständlich: Der Bericht über die Arbeit des ehemaligen Präsidenten des LfV, Helmut Roewer, ist verheerend. Vor dem Verwaltungsgericht Weimar hatte Roewer versucht, dem Ministerium untersagen zu lassen, den Bericht herauszugeben, der auch die frühe Phase des NSU behandelt. Elke Heßelmann, die Präsidentin des Gerichts, sagt allerdings: »Wir gehen davon aus, dass das Innenministerium und der ehemalige Verfassungsschutzpräsident eine außergerichtliche Einigung finden. Die Beteiligten sind sich einig, dass der Bericht nicht öffentlich wird.« Die Betroffenen strebten eine »gütliche Einigung« an. Uneinig sei man sich nur noch, inwieweit Landtagsabgeordnete den Bericht einsehen dürften, so Heßelmann. »Zu einem laufenden Verfahren geben wir keine Stellungnahme ab«, sagt ein Pressesprecher des Ministeriums.
In dem Bericht, den der damalige Innenminister Karl Heinz Gasser (CDU) im Jahr 2000 erstellen ließ und der in Auszügen der Jungle World bekannt ist, wird festgestellt, dass 1999 das Referat 22, zuständig für den Rechtsextremismus, nicht mehr bestand. Es war in dem neuen Referat 25, »Neue Formen Extremismus«, aufgegangen. Der Umbau der Behörde spiegelt wider, dass der LfV den Rechtsextremismus nicht als große Gefahr einstufte. Zu dem Zeitpunkt war das Trio schon über ein Jahr im Untergrund. Im LfV scheinen die Mitarbeiter damals mit sich selbst beschäftigt gewesen zu sein. Der damalige Innenminister Richard Dewes (SPD), der ein gutes Verhältnis zu Roewer pflegte, hatte angewiesen, neue Mitarbeiter einzustellen – alle mit Universitätsabschluss, aber einige ohne Fachkenntnisse. Einzelne hatten Altphilologie, Chemie oder Geschichte studiert. In Roewers Büro sollen der Präsident und die Günstlinge sich abendlich auf einige Gläser Rotwein getroffen haben. Die neuen Mitarbeiter seien auch stundenlang zu Essen ausgeführt worden, heißt es in dem Bericht. VS-Mitarbeiter, die die Neueinstellungen kritisierten, fühlten sich bespitzelt und intervenierten erfolglos.

Der Bericht geht auch auf den Neonazi und V-Mann Thomas Dienel ein. Ein Referatsleiter hatte ihn als »Spinner« und »Wichtigtuer« eingeschätzt. Roewer sah Dienel anders, der sich selbst an das LfV wendete, um strafrechtlich beraten zu werden. 93 Treffen gab es, über 287 000 Mark erhielt Dienel. Mit weiterem Geld des Verfassungsschutzes soll Roewer in Erfurt den Heron-Verlag gegründet haben. Über fingierte Werkverträge hätten LfV-Mitarbeiter Honorare erhalten, für die keine Leistungen erwartet worden seien, so der Bericht. Der Verlag hatte aber auch Produkte im Angebot. Etwa 95 000 Mark wurden für den Film »Jugendlicher Extremismus mitten in Deutschland« bereitgestellt. In dem Film darf Tino Brandt, einst Anführer des »Thüringer Heimatschutzes« und V-Mann, unkommentiert sagen: »Wir sind prinzipiell gegen Gewalt.«
Dienel und Brandt bewegten sich dort, wo auch die ersten Unterstützer von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt herkamen: in der Szene um das Netzwerk »Blood & Honour« (B&H). Diese Kontakte sollen den Dreien im Frühjahr 1998 ihren ersten illegalen Unterschlupf verschafft haben. In einem Altbau im Chemnitzer Westen bastelten sie an dem Spiel »Pogromy«, um in der Illegalität mit dem Verkauf in der Szene Geld zu verdienen. Das Spiel ist eine Nazivariante von »Monopoly«, mit SS-Runen, Hakenkreuzen und einem Adolf-Hitler-Feld auf dem Spielbrett. Auf den Ereigniskarten stehen Texte wie: »Du hattest auf ein Judengrab gekackt. Leider hattest Du Dir hierbei eine Infektion zugezogen.«
Erst über ein Jahr später begannen die drei offenbar mit Überfällen zur Geldbeschaffung. In der Szene verbreiteten B&H-Kader prompt die Neuigkeit, dass Geldspenden nicht mehr nötig seien. Zwei mutmaßliche Terrorhelfer offenbarten mittlerweile den Vernehmungsakten zufolge, dass B&H-Kader gerade in den ersten Jahren die drei mutmaßlichen Terroristen unterstützten. 1998, einige Monate nach dem Abtauchen, erschien in dem Naziheft »White Supremacy«, das »zu 100 Prozent die B&H-Bewegung unterstützt«, ein anonymer Artikel. Mit Konzerten allein sei keine Schlacht zu gewinnen, hieß es darin. Wer sich nicht »aktiv am Kampf« beteilige, der unterstütze »passiv alles, was sich gegen unser Volk« richte. Mundlos soll den Text im Untergrund geschrieben haben.

Als Kontaktadresse des Hefts diente ein Postfach im sächsischen Wilsdruff, das auch Jan W. für ein von ihm betriebenes Neonazilabel nutzte. W. war nicht irgendwer, er war der Anführer der sächsischen Sektion von B&H. Seinem ersten Gastgeber im Untergrund soll Mundlos erzählt haben, er habe den »Dackel« getroffen, wie W. genannt wurde, dieser sei aber zu bekannt, als dass man bei ihm untertauchen könne. Mundlos soll für W. ein T-Shirt entworfen haben: »The Skinsons« stand darauf, dazu war ein Bild von Bart Simpson zu sehen. Die T-Shirts sollen vor den Banküberfällen in der Szene verkauft worden sein, um das Trio zu unterstützen. Der Brandenburger Verfassungsschutz erfuhr im September 1998 auf einem Konzert der B&H-Sektion Südbrandenburg in der Nähe von Lauchhammer, dass W. mit dem Trio in Kontakt stehen und den Auftrag haben solle, es mit Waffen zu versorgen – für einen Überfall.
Sind all diese Informationen wegen der Situation des Thüringer LfV untergegangen? »Der Bericht umfasst zentrale Punkte für die Aufarbeitung des NSU«, sagt Martina Renner, Innenpolitikerin der Landtagsfraktion der »Linken«. Die Aufklärung werde zur Farce, wenn wichtige Dokumente nicht öffentlich zugänglich seien. »Von einer rückhaltlosen Aufklärung durch die Landesregierung kann nicht gesprochen werden«, sagt sie. Aber warum sollten Behörden auch ihr eigenes Versagen und zweifelhaftes Vorgehen aufdecken?