Kostas Papanastasiou im Gespräch über die feindliche Stimmung gegen Griechen in Deutschland

»Ich bin zufrieden mit dem ›Nein‹«

Kostas Papanastasiou wurde 1937 in Griechenland geboren und kam 1956 nach Deutschland. Er studierte Architektur und Schauspiel und arbeitete als Architekt, Sänger und Schauspieler sowie als Lehrbeauftragter an der Universität der Künste in Berlin. Den meisten Deutschen wurde er durch seine Rolle als Wirt Panaiotis Sari­kakis in der Serie »Lindenstraße« bekannt. In den sechziger Jahren war er Vorsitzender der Griechischen Gemeinde e.V. Mit Papanastasiou sprach die Jungle World in seinem Restaurant »Terzo Mondo«, das er seit 1972 in Berlin betreibt, über die Krise und die bevorstehenden Wahlen in Griechenland.

In Ihrem Restaurant treffen sich viele Berliner Griechinnen und Griechen. Wie ist die Stimmung unter ihnen?
Die Griechen, die jahrelang hier in Deutschland gelebt und gearbeitet haben, sehen sich momentan einer feindlichen Stimmung gegenüber. Sie haben die europäische Idee von Anfang an unterstützt und begleitet und müssen jetzt in der Finanzkrise Beschimpfungen ertragen: Der Grieche ist faul, er ist ein Schlitzohr, ein Schmarotzer, er lebt auf Kosten der Europäer bzw. der Deutschen. Das ist sehr verletzend.
Sie waren erst vor kurzem in Griechenland. Wie haben Sie die Lage dort erlebt?
In Griechenland erleben wir die Anfänge einer katastrophalen Situation. Dort gibt es mittlerweile sehr viele Obdachlose – Menschen, die durch den Verlust ihrer Arbeit, ihrer Ersparnisse oder ihrer Rente ihre Wohnung nicht mehr bezahlen konnten. Viele können sich oder ihre Familie nicht mehr ernähren und leben aus Mülleimern. Tausende begehen Selbstmord. Vor ein paar Tagen erst sprang eine Mutter mit ihrem Kind aus dem vierten Stock.
Ein 77jähriger Apotheker in Rente war kurz davor, dass er in Mülleimern nach Nahrung suchen musste. Er hatte einen Brief geschrieben: Bevor ich einen unwürdigen Tod durch Hunger sterben muss, nehme ich mir das Leben direkt vor dem Parlament. Das tat er am 4. April (Jungle World 17/12), als ich gerade in Griechenland war. Ich kannte den Mann, wir gingen in das gleiche Gymnasium, er war eine Klasse über mir.
Es heißt immer: Man muss Opfer bringen. Aber doch nicht solche. Man soll mit weniger leben, weniger verreisen, von allem weniger machen, gut, aber ich hoffe, dass diese Leute, die Opfer verlangen, damit nicht den Tod von Menschen meinen.
Wie zufrieden waren Sie mit dem Ergebnis der letzten Wahl?
Abgesehen davon, dass auch eine rechtsradikale Partei ins Parlament eingezogen ist, bin ich sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Es bedeutet eine Umwälzung des politischen Systems in Griechenland. Die beiden großen Parteien, die bisher immer über 40 oder 50 Prozent hatten, erhielten nur noch unter 20 Prozent der Stimmen. Die Leute glauben nicht mehr an diese Herrschaften. Ob sie aus Überzeugung, Enttäuschung oder Wut so gewählt haben, ist mir erst einmal egal. Ich war zufrieden damit, dass die Bevölkerung ihr »Nein« zu diesem Zustand geäußert hat.
Was erhoffen Sie sich von den kommenden Wahlen?
Ich glaube, dass die Griechen am 17. Juni etwas stabiler wählen werden. Sie werden denjenigen Politikern die meisten Stimmen geben, die eine vernünftige Lösung vorschlagen, die die Situation der Bevölkerung nicht verschlimmert, sondern stabilisiert und mit täglichen kleinen Fortschritten verbessert. Sie sind bestimmt nicht bereit, Richtlinien aus Europa zu folgen, die ein miserables Leben für sie selbst bedeuten. Zuerst muss man das Leben retten, das Dach über dem Kopf und die medizinische Versorgung der Menschen, bevor man anfängt, die Banken zu retten.
Das linke Parteienbündnis Syriza konnte bei den letzten Wahlen die meisten Stimmen dazugewinnen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Syriza sagt zwei, drei Dinge, mit denen die Bevölkerung einverstanden ist: Wir müssen uns noch einmal anschauen, was die Europäer von uns verlangen. Wir müssen herausfinden, woher diese Schulden kommen, wer schuld daran ist, und was wir dagegen machen können. Und dann können wir den Europäern sagen: Schaut her, durch diese Ersparnisse geht dieses Land kaputt. Wir müssen ein anderes System finden.
Alexis Tsipras, der Vorsitzende von Syriza, hat in einem Interview eine Art Marshallplan für Griechenland gefordert. Die Deutschen sagen gerne: »Wir haben hart gearbeitet, und durch un­sere Arbeit ist alles entstanden.« Aber so einfach war es nicht. Nach dem Krieg sind die Kredite, die Deutschland in der Welt hatte, halbiert worden und es musste keine Zinsen mehr zahlen. Deutschland hat mehrere Jahrzehnte Zeit gehabt, um seine Schulden zu bezahlen. Und die Deutschen mussten erst dann zahlen, als sie etwas exportieren konnten. 3,5 Prozent ihrer Exporteinnahmen mussten sie zur Rückzahlung verwenden, den Rest konnten sie behalten, um damit die Wirtschaft aufzubauen.
Man müsste also eine ähnlich vernünftige Lösung für Griechenland finden. Eine Lösung, die menschlich ist und auf die man später als Europäer stolz sein kann.
Denken Sie, dass Syriza bei der nächsten Wahl noch erfolgreicher sein wird?
Die letzten Umfragen sehen Syriza derzeit an erster Stelle, vor der Nea Dimokratia. Syriza hat sehr viele junge Mitglieder und Tsipras ist ein sehr ernsthafter junger Mann. Seine Jugend macht ihn auf keinen Fall leichtsinnig. Weil er noch lange zu leben hat, denkt er besser an die Zukunft als ein 80jähriger. Menschen aus allen politischen Lagern in Griechenland wählen ihn.
Alle anderen Parteien hatten ihre Chance und sie haben uns in dieses Desaster geführt. Alles, was Tsipras gesagt hat, finde ich sehr richtig und ich hoffe, dass er mit seiner Partei eine Regierung bilden wird. Und das wird historisch für Griechenland sein, nicht in dem Sinne, dass Griechenland kaputt geht, sondern, dass das Land ohne dieses Klientelsystem, das es bis gestern gab, vorwärts kommt.
Die faschistische Partei Chrysi Avgi hat bei den Wahlen sieben Prozent der Stimmen erhalten und ist erstmals im Parlament vertreten. Was denken Sie über das Erstarken der Faschisten in Griechenland?
Die meisten, die sie gewählt haben, sind Nationalisten, weil sie ungebildet sind und ihre Heimat lieben, und weil sie dachten, das sind nur Patrioten. Ich bin froh, dass sie so viele Stimmen bekommen haben und sich geoutet haben, so dass auch diejenigen, die sie gewählt haben, sehen, was das für rechtsradikale Idioten sind. In den Umfragen haben sie jetzt schon wieder drei oder vier Prozent verloren. Ich hoffe, dass sie nicht wieder in das Parlament kommen. Und falls doch, finde ich es insofern nicht schlecht, als dass die Regierenden von morgen dadurch immer daran erinnert werden, dass es viel Arbeit ist, diese Kräfte politisch und gesellschaftlich zu bekämpfen, indem man den Menschen Bildung ermöglicht, damit die Faschisten keine Anhänger mehr ­haben.
Welche Hoffnungen haben Sie für die Zukunft?
Ich weiß nicht, welche Entwicklung die Finanzkrise nehmen wird. Aber für mich, der während des Krieges schon ein erwachsenes Kind war, ist die Zukunft, was wirtschaftliche Probleme angeht, zu bewältigen. Ich und auch viele Griechen in meinem Alter haben schon in schlimmeren Zeiten gelebt. Nach dem Krieg hatten wir einen Bürgerkrieg, nach dem Bürgerkrieg hatten wir zehn Jahre lang eine korrupte Regierung. Und als die Demokratie gerade zu blühen anfing, bekamen wir eine Diktatur und so weiter. Das Problem ist für mich nicht, wie man den ökonomischen Alltag nach der Krise bewältigt, sondern wie viel Schaden unter den Menschen bleiben wird, wie viel Misstrauen gegenüber dem vereinigten Europa bleiben wird. Das ist für mich das Wichtigste, denn das wird auch die weitere Zukunft beeinflussen. Und ich habe Angst, dass das für die Zeit nach der Krise sehr markant sein wird.