Abschiebungen von Roma in den Kosovo

Aufnahme gegen Rücknahme

Der Kosovo und die EU nähern sich an. Dazu werden unter anderem Roma aus der EU abgeschoben.

»Wir werden hart daran arbeiten«, versicherte Vlora Çitaku, die kosovarische Ministerin für Europäische Integration, vergangene Woche in Brüssel. Die Europäische Kommission hatte der Regierung des Kosovo am Donnerstag vergangener Woche einen Katalog mit 95 Kriterien übergeben, die erfüllt werden müssen, damit Bürgerinnen und Bürger des Kosovo in Zukunft ebenso wie Angehörige anderer Balkanländer ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Die Bevölkerung des Kosovo mag sich über die lang ersehnte Reisefreiheit, sollte sie tatsächlich zustande kommen, freuen. Für dort lebende Roma wird sich bis dahin an der Diskriminierung, die sie erfahren, aber wohl kaum etwas ändern, auch wenn unter anderem die Wahrung von Grundrechten zu den genannten Kriterien gehört.

Nach Schätzungen des Roma- und Aschkali-Dokumentationszentrums vom August 2009 erreicht die Arbeitslosenrate von Roma im Kosovo im Durchschnitt 90 Prozent und mehr. In einem Bericht vom Mai 2010 nannte Amnesty International dies als einen Aspekt der strukturellen Diskriminierung, der im Kosovo lebende Roma ausgesetzt seien. Sie werden zudem in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Wohnrecht und behördlicher Registrierung stark benachteiligt.
Das dringendste Problem seien jedoch die Abschiebungen aus Ländern wie Deutschland und Frankreich, meint Ralf T., einer der Organisatoren eines Austauschs mit »Initiative 6«, einer Roma-Vereinigung aus dem Kosovo. »Die Politik der Abschiebung ist sehr schlecht«, bestätigten deren Mitglieder der kürzlich auf einer Diskussionsveranstaltung in Berlin, auf der sie ihre Arbeit vorstellten und über die Situation im Kosovo berichteten. Den Namen der Organisation erklärt Osman Osmani, der Älteste in der Gruppe, so: »Die Nummer sechs ergibt sich aus den fünf Mitgliedern, die die Initiative gegründet haben. Die Sechs symbolisiert den fehlenden, einen noch offenen Platz.« In der unabhängigen Initiative 6 engagieren sich Roma für Roma, die meisten arbeiten ehrenamtlich.

Hintergrund der europäischen Abschiebepolitik sind die Statusverhandlungen des Kosovo im Rahmen des geplanten EU-Beitritts. Dazu zählt etwa das sogenannte Rücknahmeabkommen aus dem Jahr 2010, das ungefähr 8 500 in Deutschland lebende Roma betrifft. Viele von ihnen waren nach dem Kosovo-Krieg geflohen und leben heute unter Duldungsstatus. Deutschland habe diese Leute nach dem Kosovo-Krieg als humanitäre Geste aufgenommen, aber das Interesse an den Folgen des Krieges sei verflogen, meint Ralf T. Inzwischen habe ein Generationenwechsel stattgefunden. Tatsächlich handelt es sich bei der Hälfte der vom Abschiebeabkommen betroffenen Menschen um Kinder, von denen nach Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung zwei Drittel in Deutschland geboren wurden. Viele von ihnen sprechen kein bzw. kaum Albanisch. Das Abkommen sieht vor, jährlich an die 2 500 Roma von Deutschland in den Kosovo zu überführen.
Diese Politik bekommen auch die Mitglieder von Initiative 6 zu spüren. Dennoch gibt es dank ihres Engagements positive Entwicklungen. Initiative 6 setzt sich vor allem in Prizren, der zweitgrößten Stadt des Kosovos, für bessere Bildungschancen von Kindern und jugendlichen Roma ein. »In den acht bis neun Jahren, in denen unsere Organisation existiert, ist viel passiert: Die Zahl der Roma-Kinder, die in Schulen gekommen sind, ist stark gestiegen«, lautet Osmanis Resümee. Außerdem sei etwa eine Vorschulklasse eingerichtet worden, was es im Kosovo in der Art vorher nicht gegeben habe – schon gar nicht für Roma oder andere benachteiligte Gruppen.
Trotz der Abschiebepolitik der deutschen Regierung ist Osmani vom Besuch in Deutschland positiv überrascht. Die sieben Tage in Berlin hätten ihm gezeigt, dass sich viel geändert habe. Es sei eine schöne Erfahrung zu sehen, dass es Leute gebe, die sich mit Roma als Menschen auseinandersetzten.