Spitzname Kanarienvogel

Der 20jährige Fußballer Abd al-Basset al-Sarout stand im Tor der Olympiauswahl Syriens. Nun ist er in der Oppositionsbewegung in Homs aktiv und singt Lieder gegen Assads Regime.

Fußballerische Visionen kann Bashar al-Assad gerade nicht so gut entwickeln. An der Qualifikation zur WM 2014 in Brasilien darf die Nationalmannschaft Syriens nicht teilnehmen. Der Verband, der für das Regime möglichst schnell sportliche Erfolge einheimsen wollte, hatte bei der U-19-Meisterschaft des Asiatischen Fußballverbandes gepfuscht: Sechs Spieler waren zu alt gewesen.
Bei den Panarabischen Spielen, die im November 2011 in Qatar stattfanden, war auch keine syrische Mannschaft vertreten – dem Vernehmen nach befürchtete das Regime Sportlerproteste während der Wettkämpfe. Und bei den anstehenden Olympischen Spielen in London wird es zwar eine kleine syrische Mannschaft geben, auch wenn sie nicht auf Medaillen hoffen kann. Aber zumindest der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, General Mowaffak Joumaa, wird nicht dabei sein. Er wurde ausgeladen.
Immerhin, im aus sieben Mannschaften bestehenden Ligabetrieb im syrischen Fußball wurde nach einem Jahr Auszeit eine Saison gespielt. So wollte das Regime Normalität demonstrieren, und zumindest beim Weltfußballverband Fifa ist ihm das gelungen. Der lobte Anfang Juli auf seiner Website den Gewinner des diesjährigen Tippspiels zur syrischen Liga, einen 24jährigen Mann, der sich »Hanisyrian« nennt. Der Mann berichtete in einem Interview freimütig, dass 2011/12 eine »merkwürdige und lange Saison« ausgespielt worden sei und welche Schwierigkeiten er beim Tippen gehabt hätte: »In Runde 23 ist in meiner Stadt das Internet ausgefallen, und ich musste in eine andere Stadt fahren, nur um die 23. und 24. Runde zu tippen!«
Fußball ist in Syrien sehr populär, doch beim Olympischen Turnier in London fehlt das Land, auch wenn es bei der Qualifikation eine ganze Weile danach aussah, als könnte es diesmal – ausgerechnet zu Zeiten des tobenden Bürgerkriegs – mit der Qualifikation zu einem wichtigen Turnier klappen. Im Februar hatte die syrische Olympiaauswahl 2:1 über Japan gesiegt. Aus Sicherheitsgründen war das Spiel nach Jordanien verlegt worden. Dort fanden sich zwei sehr unterschiedliche Fangruppen im Stadion ein: Anhänger des Diktators Assad auf der einen, und Anhänger der Opposition, die demonstrativ Japan unterstützten, auf der anderen Seite.
Nicht gespielt hat Abd al-Basset al-Sarout. Der 20jährige ist zwar ein Talent und stand auch bis zu Beginn des Aufstands noch im Tor der Olympiaauswahl, aber mittlerweile hat ihn der Verband lebenslänglich gesperrt. Er ist Mitglied der Oppositionsbewegung in Homs, es gibt Gerüchte, dass das Regime vier Millionen syrische Lira, umgerechnet 50 000 Euro, auf seinen Kopf ausgesetzt hat.
»Ich weiß, dass die Mehrheit der Sportler nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen will«, sagte Sarout in einem Fernsehinterview. Ob das stimmt, lässt sich nicht klären. Jedenfalls ist Sarout nicht der einzige prominente Fußballer, der sich in die Opposition gegen Diktator Assad eingereiht hat.
Der 29jährige Nationaltorwart Mosab Balhous wurde vergangenen August verhaftet, weil er an gewaltsamen Demonstrationen beteiligt gewesen sein soll. Von ihm hat man seither nichts mehr gehört. Ahmed al-Shaban, auch er Profi in der syrischen Liga, soll in Homs erschossen worden sein.
Die Verhaftung seines sportlichen Idols Balhous empörte Sarout so sehr, dass er mehr oder weniger spontan bei Demonstrationen als Redner auftrat. Man sagt ihm nach, er habe auch viele Lieder der Protestbewegung komponiert, und auf Youtube kursieren etliche Videos, die ihn als Sänger zeigen. Das hat ihm den Spitznamen »Kanarienvogel« eingebracht.
Das syrische Regime bezichtigt Sarout und Balhous, Salafisten zu sein. »Das sind wir nicht«, widerspricht Sarout. In einem 25minütigen Dokumentarfilm über ihn, der im Internet zugänglich ist, macht er ständig Anspielungen auf den angeblich absurden Vorwurf. Einmal steht er mit Gummistiefeln auf einer von Regenfällen überfluteten Straße, versucht, den verstopften Abfluss wieder zu reparieren und fragt, ob so etwa einer aussehe, der die salafistische Lehre durchsetzen möchte.
Welche politischen Ziele Sarout wirklich verfolgt, ist aber immer noch unklar. Vor einer riesigen Menge in Homs rief er: »Ich erkläre, bei gesundem Geist und aus eigenem Willen, dass wir, das freie syrische Volk, nicht zurückweichen werden, bis unsere einzige Forderung erfüllt ist: der Sturz des Regimes.« Es kursiert aber auch ein Video, in dem er die syrischen Mütter aufruft, im Namen Allahs ihre Söhne auf den Märtyrertod vorzubereiten. Andererseits gehört Sarout zu den wenigen Sprechern der islamisch geprägten Opposition in Syrien, die versuchen, auch Christen miteinzubeziehen.
Vielleicht ist die politische Haltung Sarouts so unklar wie die der gegenwärtigen syrischen Oppositionsbewegung insgesamt. In jedem Fall steckt viel Wut in seinem Engagement. Sein Bruder und sein Onkel wurden bei Kämpfen getötet und es soll mehrere Anschläge auf sein eigenes Leben gegeben haben. »Meine Botschaft als Fußballer, Sportler und Aktivist ist, dass wir hier gerade ein Massaker erleben und dass die Welt dazu schweigt«, sagte er in einem Interview.
Dass seine Fußballerkarriere mit ziemlicher Sicherheit vorbei ist, gleichgültig wie der Aufstand ausgeht, ist ihm bewusst. Einer kanadischen Journalistin sagte er: »Die Rechte des Volkes zu verteidigen, das ist wirklicher Ruhm.«
Dass es ausgerechnet ein Profifußballer ist, der in Syriens Opposition eine bedeutende Rolle spielt, dürfte Assad besonders schmerzen. James M. Dorsey, US-amerikanischer Politologe und Experte in Fragen zur politischen Bedeutung des Fußballs im sogenannten arabischen Frühling, schreibt auf seinem Blog »The Turbulent World of Middle East Soccer«, dass unter arabischen Regimen besonders der Fußball nach einem Begünstigungsprinzip organisiert war oder ist. »In einer patriarchalen Gesellschaft beteiligen sich die Unterdrückten an ihrer Unterdrückung. Das Regime ist in Wirklichkeit der Vater aller Väter an der Spitze der Pyramide.« Der Fußball sei das »perfekte Spiel« für diese Patriarchen, heißt es auf dem Blog. »Ihre Werte waren Fußballwerte: die Behauptung, dass Männer in den meisten Bereichen des Lebens überlegen sind, die Beherrschung von Frauen und der Glaube an einen männlichen Gott.« Genau das habe bei Diktatoren wie Hosni Mubarak (Ägypten), Abdullah Ali Saleh (Jemen), Muammar al-Gaddafi (Libyen) und auch bei einem nichtarabischen Herrscher wie Mahmoud Ahmadinejad (Iran) dazu geführt, dass der Fußball als Indikator dafür angesehen wurde, wie es gerade um das Regime stand. Aus dieser Fürsorge heraus hätten die berühmten Fußballer der jeweiligen Länder dann »den Autokraten als ihre Vaterfigur« angesehen.
Sarout ist da anders. Was ihn der Fußball über das Leben gelehrt hat, versucht er für den derzeitigen syrischen Aufstand zu nutzen. »Ich bin durch die ganze Welt gereist, um Fußball zu spielen«, sagte Sarout dem Fernsehsender al-Jazeera. »Aber bei Freiheit geht es nicht nur um mich und nicht nur ums Reisen. Was ist mit den anderen? Freiheit ist ein großes Wort, es geht um Redefreiheit und Meinungsfreiheit. Wenn etwas falsch läuft, dann muss es möglich sein, darüber zu sprechen.«