Der Streit um die Verwertungsgesellschaften

Wir von der Gema

Die neuen Gema-Tarife haben einen geradezu martialisch ausgetragenen Konflikt hervorgerufen. Dabei sind viele im Kunstbetrieb Tätige Nutznießer und »Opfer« der Gema in einem.

Anfang Juli zählte ich in einem Blog alles auf, was mich an der Gema nervt, aber auch an der Debatte um sie, in der viele Halbwahrheiten kursieren, die teilweise auch vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) oder der Gema selbst gestreut werden. Partei zu ergreifen, fällt mir schwer, denn ich bin Mitglied der Gema und verdiene dadurch immerhin so viel, dass ich es mir nicht leisten könnte, darauf zu verzichten. Bei den Kabarettproduktionen, für die ich texte, gilt ein Abrechungsverfahren, bei dem das eingehende Geld nur den beteiligten Urhebern ausgezahlt wird. Nicht nur Stars profitieren von der Gema: Von meinen Kohlen bekommt nichts der Bohlen. Andererseits veranstalte ich Lesungen mit Musik und regle für ein queeres Vereinslokal die Gema-Angelegenheiten. In dieser Rolle verfluche ich den Sauladen regelmäßig. Über 20 000 Menschen lasen meinen Blogeintrag, plötzlich gelte ich als Gema-Experte. Das bin ich nicht. Niemand durchblickt die Gema ganz, Gema-Mitarbeiter eingeschlossen. Dennoch wage ich hier fünf Thesen:

1. Die Gema ist sinnvoll
Von Urhebern geschaffene Musik wird allenthalben genutzt, um Geld zu verdienen. Radiosender füllen die Zeit zwischen der Werbung mit Musik, ob nun Kneipe oder Supermarkt: Die Musik dort soll eine konsumfreundliche Stimmung herbeidudeln. Clubs spielen Musik, weil Menschen tanzen wollen, die zahlen dafür Eintritt, sind Musik und DJ gut, sorgen sie lange für Umsatz an der Bar. Es ist recht und billig (und unbestritten), dass die Urheber von dem so verdienten Geld etwas abbekommen. Denn es ist ein Unterschied, ob man sich Musik zu Hause anhört oder sie zur Erzielung eines Mehrwerts einsetzt. Solche Nutzungsrechte billigt das Urhebergesetz den Urhebern zu. Um sie wahrzunehmen, sind Zusammenschlüsse zu Verwertungsgesellschaften unumgänglich. Diese sorgen zudem für ihre Mitglieder: Die Gema betreibt Nachwuchsförderung und ein Sozialwerk. Zweifellos können dank der Gema in Deutschland viele Kreative von ihrer Kunst leben.

2. Die Gema ist ungerecht
Die neuen Club-Tarife belegen, wie wirklichkeitsfremd die Gema die ihr übertragenen Rechte bisweilen verwaltet. Dabei war die Neuordnung vom Dehoga sogar gewünscht, doch als er den Verhandlungstisch verließ, setzte die Gema ihre Maximalforderungen im Alleingang durch. Zur ihrer Ehrenrettung muss man sagen, dass sie zugleich die Schiedsstelle beim Patentamt anrief. Seitdem bemüht sie die Metapher vom Arbeitskampf. Einerseits ist das richtig: Am Ende werden alle Seiten zähneknirschend einen Kompromiss verkünden und von »Schmerzgrenzen« faseln. Andererseits ist der Tarif ja schon eingeführt, es wird also nachträglich verhandelt. So ein Vorgehen kann sich nur ein Monopolist leisten. Zudem geht es nicht um drei bis fünf Prozent Tariferhöhung, sondern um 100 bis 1 000 Prozent. Die Gema will ihren Tarifen von ein bis zwei Prozent vom Eintrittsumsatz auf zehn Prozent erhöhen. Die Zahl ist nicht aus der Luft gegriffen, auch bei Platten- oder Buchverkäufen verdienen Urheber rund zehn Prozent. Ein bis zwei Prozent vom Eintrittsumsatz wären angesichts der in Clubs erwirtschafteten Mehrwerte in der Tat erbärmlich. Wie es zu den massiven Mehrbelastungen kommt, erklären folgende Tücken im Detail:
Quadratmeter: Den zehn Prozent nähert man sich durch einen Koeffizienten aus Eintrittspreis und beschallter Fläche an. Die Rechnung ist aber verzerrend, da man 1.) von stets voll ausgelasteten Flächen ausgeht, 2.) den höchsten Eintrittspreis als Referenzgröße ansetzt und 3.) die Platzkapazität in 100-Quadratmeterschritten berechnet. Sinnvoller wäre echte Prozentrechnung. Bei Konzerten fordert die Gema fünf Prozent von den real erzielten Eintrittsumsätzen ein. Wieso es bei Konserventanzmusik zehn Prozent sein sollen, bleibt ihr Geheimnis.
Sinnlose Aufschläge: Mit angewandter Prozentrechnung könnte sich die Gema auch bizarre Aufschläge ersparen, z. B. 50 Prozent, wenn die Veranstaltung länger als fünf Stunden dauert. Rechnete sie mit dem real erzielten Umsatz, erübrigte sich das, denn wer länger geöffnet hat, nimmt auch mehr ein. Auch Musik von anderen als Originaltonträgern kostet 50 Prozent Aufschlag – lachhaft im Digitalzeitalter.
Gema-Infektion: Ein Abend wird in voller Höhe Gema-pflichtig, sobald ein einziger Titel aus ihrem Repertoire verwendet wird. Auch hier plädiere ich für Prozentrechnung. Damit wäre ein Hauptkritikpunkt von Elektroclubs vom Tisch: Kann ein Club nachweisen, dass er nur 50 Prozent Gema-Material spielt, sollte er auch nur 50 Prozent zahlen.
Die Entlastungsmär: Die Gema rechtfertigt die neuen Tarife mit Verweis auf die entlastende Wirkung für Kleinveranstalter. Die gibt es tatsächlich. Theoretisch. Entlastet wird vielleicht ein Sommerfest im Kleingartenverein, aber wer regelmäßig veranstaltet, hatte bislang Jahrespauschalverträge, quasi eine Gema-Flatrate. Diese Pauschalverträge werden abgeschafft – was in keiner Vergleichsrechnung der Gema auftaucht. Die Kategorie »Veranstaltungen ohne Tanz« fällt ersatzlos weg. Das trifft das Kneipenquiz mit zwei Euro Eintritt, das Speeddating im Club, den Schingelschangel in der Gay-Bar ebenso wie den Veranstalter von queeren Sexpartys oder den Galeriebetreiber, der regelmäßig Vernissagen ausrichtet. Jede Veranstaltung, bei der Musik läuft, die aber nicht Zweck des Abends ist, wird zukünftig wie ein voller Club abgerechnet. Für mein Vereinslokal bedeutete dies ein Plus von 266 Prozent (von 1 018 Euro auf 3 729 Euro), das sind existenzgefährdende zwölf Prozent des Jahresumsatzes.
Die Härtefallnachlassregel: Auf sie wird nur zu gern verwiesen, doch sie ist ein bürokratisches, intransparentes Bittstellverfahren auf Einzelantrag. Eine »angemessene Vergütung« werde errechnet, heißt es, »sofern der Veranstalter den Nachweis erbringt, dass die Bruttoeinnahme (…) in grobem Missverhältnis« zum regulären Tarif steht. Nähere Definitionen erfolgen aber nicht.

3. Die Gema handelt gegen ihre Mitglieder
War sich die Gema der Tragweite ihrer neuen Tarife nicht bewusst? Sie säte Wind und wunderte sich, dass der Dehoga einen Sturm entfachte, der selbst die politische Unterstützung hinwegfegte. Als Gema-Mitglied ist mir unbegreiflich, wieso niemandem klar war, dass das so kommen musste, und wieso man dann noch eine PR-Arbeit mit dem Charme nordkoreanischer Regierungsrhetorik startete, die dem »Gema abschaffen«-Gesang erst zur Fischerchor-Größe verhalf. Die Gema abzuschaffen, würde aber die völlige kommerzielle Freigabe aller Musiknutzung bedeuten, die reine Ausbeutung der Urheber. Im Moment leistet die Gema ihren Mitgliedern einen Bärendienst, weil sie auf dem besten Wege ist, sich selbst abzuschaffen.
Zwar glaube ich nicht an das vom Dehoga beschworene Schreckgespenst des flächendeckenden Club-Sterbens, doch ich glaube, dass viele einzelne Veranstaltungen nicht mehr finanzierbar sein werden. Clubbetreiber müssen sich schwächer besuchte Abende mit Musik abseits des Mainstreams zukünftig gut überlegen. Nicht nur die Clubkultur könnte verarmen, auch die hart getroffenen Kleinveranstalter werden noch weniger veranstalten. Das trifft die Minderheitenkultur in besonderem Maße, das kann nicht im Interesse der in der Gema versammelten Urheber sein, die sich ausdrücklich als Solidargemeinschaft begreifen. Vielerorts wird man auf Gema-freie Musik wechseln. Sprich: Der Gema gehen Einnahmen flöten. Als Veranstalter kann ich diesen Schritt nur empfehlen. Als Gema-Mitglied müsste ich sagen: Wir sägen am eigenen Ast!
Noch ein Kuriosum: Veranstalter müssen auch für selbstaufführende Künstler Gema-Gebühren zahlen, die später wieder an genau diese Künstler ausgezahlt werden. Solche Zirkelzahlungen gibt es oft im Gema-Apparat, der Verwaltungsaufwand erscheint mir verzichtbar. In langwierigen Recherchen und Schriftverkehren treibt die Gema zudem von Kleinstveranstaltern Minimalbeträge ein. Da wird sicher mehr Geld verbraten als eingenommen. Die Gema braucht Bagatellgrenzen! Die würden es allen Seiten einfacher machen.

4. Die Gema braucht Konkurrenz
Dieser Gedanke lässt Gema-Lobbyisten wettern wie Katholiken, die per Dekret zum Salafismus bekehrt werden sollen. »Aber das gibt doch nur Chaos!« schreien sie. Aber das haben bei der Freigabe des Strommarktes auch alle geschrien, heute wechselt man munter den Stromanbieter. Was spricht dagegen, wenn Veranstalter Hintergrundmusik bei einem Gema-Konkurrenten kaufen? Wieso sollte sich keine »VG elektronische Musik« gründen, die Technoclubs beliefert? Wieso soll es undenkbar sein, dass ein Club 80 Prozent seiner Musik bei der Gema und 20 Prozent bei einem Konkurrenten einkauft?
Die Gema gebärdet sich gegenwärtig als Monopolist alter Schule: unflexibel, überbürokratisch, mit dem kommunikativen Feingefühl einer Planierraupe. Nur so kann man drakonische Tarif­erhöhungen planen und ernsthaft glauben, niemand hätte etwas dagegen. Nur so kann es die gerichtlich sanktionierte »Gema-Vermutung« geben, derzufolge die Gema davon ausgehen darf, dass sie so viele Urheber vertritt, dass bei jedem Musikeinsatz ihr Repertoire betroffen ist, es sei denn der Veranstalter beweist das Gegenteil. Fiele das Gema-Monopol, fiele auch dieses Prinzip, und die Gema könnte in einen Wettbewerb eintreten und beweisen, dass sie für Musiknutzung der kompetente und faire Dienstleister ist, für den bislang nur sie selbst sich hält.

5. Die Gema-Debatte kommt zur Unzeit
Das Urheberrecht wird immer stärker kritisiert, und als Schriftsteller und Verleger, der von seiner kreativen Tätigkeit leben will, verteidige ich dieses Recht, denn es geht hier auch um Existenzen. Kunst ist nicht nur Selbstzweck, man soll auch davon leben können. Wer die Verwertungsgesellschaften abschaffen will, müsste tief ins Urheberrecht eingreifen und sämtliche Nutzungsrechte vom Urheberrecht abkoppeln. Das könnte ­sogar verfassungsrechtlich bedenklich sein. Solange die Nutzungsrechte beim Urheber liegen, wird es ohne Verwertungsgesellschaften nicht gehen.
Gewiss ist die Gema noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen, wie etwa die oben genannten Unsinnsaufschläge für selbsterstellte Tonträger zeigen oder der Rechtsstreit mit Youtube. Doch Modelle wie Kulturwertmark oder -flatrate sind keine Alternative zu den Verwertungsgesellschaften, da sie nur die Internetnutzung im Blick haben. Hier haben sie Charme, wenngleich das Verteilungsproblem bislang bei keinem der Modelle zufriedenstellend gelöst ist. Denn auch den Befürwortern dieser Modelle ist klar, dass man eines nicht will: eine Art Super-Gema, die den digitalen Milliardenkuchen unter sämtlichen Einzelurhebern aufteilt. So könnte es gar darauf hinauslaufen, dass die Einnahmen einer möglichen Digitalabgabe den bisherigen oder neu hinzukommenden Verwertungsgesellschaften zufließen. Und ich glaube, das wäre nicht einmal die schlechteste Lösung.

Volker Surmann ist Autor, Satiriker und Verleger. Als Texter von Kabarettliedern ist er Gema-Mitglied und erhielt bei der vorigen Ausschüttung 630 Euro. Er schreibt im Blog: browserboy.de