Kombinat Fortschritt im Gespräch über den Fall Drygalla bei Olympia

»Die Beziehung hält lange genug«

Rein sportlich lief es für den deutschen Frauen-Ruderachter bei den Olympischen Spielen in London nicht besonders gut: Im Hoffnungslauf ausgeschieden, belegte man in der Gesamtwertung nur den siebten Platz. Und so war Nadja Drygalla bisher auch nur ausgewiesenen Fans der Sportart bekannt – bis sie Ende voriger Woche vorzeitig nach Hause fahren musste. Durch Recherchen der Gruppe »Kombinat Fortschritt« war Drygallas Beziehung zum Rostocker Neonazi Michael Fischer bekannt geworden. Was ist nun von Drygallas Beteuerungen, ihr Freund habe sich von der Szene distanziert, zu halten? Ein Gespräch mit Kombinat Fortschritt

Eure Recherchen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Ruder-Sportlerin Nadja Drygalla das Olympische Dorf verlassen hat. Wertet Ihr diese Abreise als Erfolg?
Wir glauben, dass sie gegangen wurde, ist letztlich nur die logische Konsequenz. Alles andere wäre bei ihrem Verhalten ja auch ein Skandal gewesen. Immerhin sind die Olympischen Spiele ein internationales Großereignis, eine langwierige Debatte hätte sich das NOK in dem Fall gar nicht leisten können. Wir haben die Vorgänge lediglich publik gemacht.
Wie schwer war es, die Fakten zusammenzutragen. Mit anderen Worten: Hätten Trainer und Funktionäre diese Informationen auch haben können?
Sofern Nadja Drygalla mit ihren Ansichten nicht hausieren gegangen ist, vermutlich nicht. Anscheinend wussten ja auch manche Mannschaftskollegen nicht, dass sie einen Freund hat. Da sollte man realistisch bleiben.
Allerdings verhält es sich in dem Fall insofern anders, als sie ja früher bei der Polizei war und, nachdem ihre Verbindungen zur Naziszene, übrigens damals ebenfalls von Antifaschisten, öffentlich gemacht worden sind, nach »intensiven Personalgesprächen« dann »freiwillig« aus dem Dienst und der Sportfördergruppe ausschied. Wir können nur mutmaßen, ob sie ihrem Team eine Legende dazu aufgetischt hat und wenn ja, welche. Schließlich ist der Verzicht auf den Polizeidienst für eine Ausnahmeathletin mehr als ungewöhnlich. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass das Innenministerium offensichtlich davon ausging, dass sie als Polizeibeamtin untragbar geworden war. Innenminister Lorenz Caffier hat laut seinen eigenen Angaben in einem Interview mit dem NDR auch die Funktionäre über die Gründe informiert, die zur Auflösung des Dienstverhältnisses führten. Da diese Frau Drygalla dennoch nach London entsandten, liegt die Verantwortung wohl bei ihnen.
Drygallas Freund wird als NPD-Politiker bezeichnet – nun ist die NPD allerdings nicht verboten. Was wisst Ihr über ihn konkret und gibt es Anhaltspunkte, dass Nadja Drygalla seine Aussichten teilt?
Ganz abgesehen von aller Kritik, die auch wir an Olympia haben, steht die Inszenierung der Spiele in einem deutlichen Kontrast zur geistigen Haltung der NPD. Voraussetzung für jeden Wettstreit muss die Anerkennung des sportlichen Gegners und Fairness sein. Dies steht im scharfen Widerspruch zu den menschenverachtenden Positionen der NPD. Sie wusste um seine Haltung und hat auch zu ihm gehalten, als sie seinetwegen die Anstellung als Polizeibeamtin verlor.
Die Beziehung hält lange genug, da kann sie sich nicht mit einer rosa Brille herausreden, sondern da stellt sich vielmehr die Frage, ob sie nicht trotz, sondern wegen seiner Ansichten mit ihm zusammen ist. Schließlich ist Michael Fischer kein einfaches Parteimitglied, er war Direktkandidat bei den Landtagswahlen, er ist führendes Mitglied der »Nationalen Sozialisten Rostock« und in diesem Zusammenhang auch für einen versuchten Übergriff anlässlich einer Kundgebung zum Gedenken an das NSU-Opfer Mehmet Turgut verantwortlich.
In Nadja-Drygalla-Soligruppen auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken wird beklagt, dass sie lediglich wegen ihres Freundeskreises vorverurteilt werde. Was sagt Ihr dazu?
Manche Vorwürfe gehen sogar noch weiter. Von »Sippenhaft wie bei den Nazis« ist da stellenweise die Rede. Fakt ist: Michael Fischer ist nicht ihr Onkel, Cousin oder Bruder, den man sich im Zweifelsfall nicht aussuchen kann. Er ist ihr Freund. Sie entscheidet sich jeden Tag aufs Neue dazu, einem Menschen Achtung, Respekt und Liebe entgegenzubringen, der ein Nazi ist. Wenn sie das tut, dann ist das ihre Entscheidung, aber sie kann dafür keinen Beifall erwarten. Zumindest nicht von uns.
Ist Drygallas zwangsweiser Abschied vom Polizeidienst ein Zeichen, dass aus dem NSU-Skandal gelernt wurde?
Nun, das lag zeitlich vor dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie. Bei einem Neonazi wie Michael Fischer wäre aber nicht auszuschließen gewesen, dass sie im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit vielleicht zumindest perspektivisch, wenn etwa ihr sportlichen Aktivitäten nicht mehr so im Vordergrund stehen, gegen ihn hätte vorgehen müssen. Das ist ein simpler Interessenkonflikt und liest sich außerdem auch nicht gut in der Zeitung.
In Hinblick auf die Aufarbeitung der NSU-Morde gibt es in Mecklenburg-Vorpommern leider keine positiven Anzeichen. Das hat auch schon die regionale Tageszeitung Nordkurier – unserer Meinung nach völlig richtig – bemängelt. Die Behörden rücken nur sehr zögerlich Informationen raus und geben im Prinzip meist nur das zu, was sowieso nicht mehr zu leugnen ist. Eine offensive Aufarbeitung sieht für uns anders aus.
In diversen Zeitungen wurde ein Foto einer Neonazidemonstration veröffentlicht, auf dem angeblich Drygalla zu sehen ist. Ihr habt daraufhin – allerdings erfolglos – versucht, Redaktionen dazu zu bewegen, das Bild wieder zu entfernen. Warum?
Wir beobachten diese Geschichte schon seit einer ganzen Weile, die Beziehung der beiden wurde bereits mehrfach öffentlich thematisiert. Wenn Nadja Drygalla auf Neonaziveranstaltungen mit dabei gewesen wäre, dann hätten wir das auch mitbekommen. Wenn gegen sie Vorwürfe erhoben werden, die sich nicht nur nicht beweisen, sondern womöglich sogar widerlegen lassen, dann schadet dies eher der Aufklärung, die wir mit unserem ursprünglichen Artikel im Sinn hatten, als dass es ihr nützt.
Nadja Drygalla erklärte am Sonntag, ihr Freund sei bereits im Mai aus der Naziszene ausgestiegen. Für wie glaubhaft haltet Ihr ihre Versicherung, dass Fischer sich aus seinem bisherigen Umfeld gelöst habe?
Also zunächst mal wirkt diese Aussage zum jetzigen Zeitpunkt wie eine Schutzbehauptung. Fischer hat noch im Mai an NPD-Demonstrationen in Neubrandenburg und in Demmin als Fotograf teilgenommen sowie am 16. Juni einen Artikel auf dem rechten Internetportal Mupinfo veröffentlicht. Auch auf der Facebook-Seite seines Fotoprojekts hat Fischer im fraglichen Zeitraum noch Bilder von Neonazistinnen veröffentlicht, die ebenfalls am 1. Mai in Neubrandenburg auf der Demonstration der NPD waren.
Wenn ich aus der NPD ausgetreten bin, weil ich mich vom Nazisein distanzieren will, dann gehe ich doch nicht mehr auf NPD-Demos und veröffentliche nicht auf NPD-nahen Seiten Artikel und schwadroniere dort dann von »linken Gutmenschenlobbies«, »illegalen Ausländern« und »Asylbetrügern«.
Darüber hinaus verstehen wir unter einem Ausstieg natürlich etwas anderes, als sich unter dem Druck der öffentlichen Aufmerksamkeit verbal zu distanzieren. Ein Aussteiger muss sich glaubhaft von seinem alten Umfeld gelöst und sich jeden Rückweg in die Neonaziszene selbst versperrt haben.
Diesen langen Weg hat Michael Fischer in unseren Augen in keiner Weise auch nur eingeschlagen. Wir würden uns allerdings immens freuen, wenn wir in diesem Punkt in Zukunft nicht recht behalten werden. Momentan fällt es uns aber nicht leicht zu glauben, dass Fischer ernsthaft aussteigen will.
Zum Schluss eine ganz andere Frage: Wer seid Ihr eigentlich?
Wir sind Leute aus Mecklenburg-Vorpommern, die sich zu einem Kollektiv zusammengeschlossen haben und schwerpunktmäßig Medienarbeit aus der und für die linksradikale Szene im Bundesland betreiben. Dabei verfolgen wir zwei Ziele: Zum einen wollen wir linke Politik in Mecklenburg-Vorpommern stärker sichtbar machen, indem wir viele Aktivitäten journalistisch begleiten. Anderseits glauben wir, was wir können, können andere auch – vielleicht sogar besser. Deswegen bemühen wir uns auch, die Leute zum Self-Empowerment anzustiften.