Der Baum ist nicht der Feind

Mein Freund, der Baum

Die Fällung der »Friedenseiche« in Rostock war bestenfalls eine Kritik an der konkreten Form des staatlichen Gedenkens, nicht aber daran, dass die politischen Profiteure der Pogrome von 1992 das Gedenken heute vereinnahmen wollen.

Ich bin ein Öko. Ein Freund der Erde und der Bäume! Bäume finde ich knorke! Sie produzieren frischen Sauerstoff, spenden Schatten im Sommer und man kann in ihre Rinde allerlei Herzchen ritzen. Im Zeitalter des Waldsterbens und der allgemeinen Betonaufforstung ist der Tod eines Baums daher nur selten ein Anlass zur Freude. Selbst Deniz Yücel kommt in seiner lesenswerten Polemik »An die Holzfäller von Lichtenhagen« (Taz, 29. August 2012) nicht umhin, die standhaften Alleebäume in Ostdeutschland für ihre fraglos enormen Verdienste im praktischen Antifaschismus zu loben. Schließlich haben Ahorn, Linde, Esche und die in den vorigen Wochen so gescholtene deutsche Eiche mehr Nazis gestoppt bzw. aus dem Verkehr gezogen, als die militantste autonome Antifa oder gar der deutsche Staat.

Wenn es um die Bekämpfung von Nazis geht, versagen der Staat, seine Bürger und sein politisches Personal bekanntlich regelmäßig. Darüber können auch keine von oben initiierte Menschen- oder Lichterketten und kein verlogener »Aufstand der Anständigen« hinwegtäuschen. Als vor 20 Jahren nach Hoyerswerda und Mannheim-Schönau auch Rostock-Lichtenhagen zum Schauplatz eines Pogroms wurde, begaben sich der deutsche Mob und seine politische Elite wieder in ihre alte Komplizenschaft. Nazis, Pogrombürger, untätige Polizisten und mitzündelnde Presse schufen gemeinsam eine komplexe Eskalationsinszenierung zugunsten rassistischer Politstrategie. Das Ziel war die Abschaffung des alten Asylrechts.
Entgegen dem Aberglauben linker Verschwörungstheoretiker wurden die Pogrome zwar nicht am Eichenholzschreibtisch des Kanzleramts beschlossen, aber im Rahmen der »Asylkampagne« der CDU/CSU, FDP und einzelner Sozialdemokraten – besonders Oskar Lafontaine wäre hervorzuheben – bereitwillig in Kauf genommen. Unter dem Eindruck der rassistischen Ausschreitungen kam 1993 schließlich die nötige Mehrheit im Bundestag für die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl zustande. Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nicht verwunderlich, dass in den vergangenen 20 Jahren keine Regierung auch nur eine simple Gedenktafel in Erinnerung an die Pogromtage von Rostock zustande bekommen hat.
Der 20. Jahrestag zeigte, dass es beim Lichtenhagener Gedenken um Politik geht. Am 25. und 26. August ging es in Rostock um die Deutungshoheit über die Ereignisse. In stiller Konkurrenz zur Bündnisdemonstration von Autonomen, Gewerkschaften und antirassistischen Gruppen veranstaltete die Stadt ihr offizielles Gedenken mit Bratwurst und Kinderhüpfburg. Als ein feierlicher Höhepunkt wurde dann des Deutschen liebster Baum, die Eiche, vor das Sonnenblumenhaus gepflanzt. Bundespräsident Joachim Gauck hielt anschließend eine Rede, in der er das Wort »Rassismus« weitgehend vermied. Antifas nannten hingegen das Kind lautstark beim Namen und Joachim Gauck einen Heuchler. Die unmissverständlichen »Heuchler, Heuchler!«-Störrufe sind die erfolgreichste und treffendste Aktion der Antifaschistinnen und Antifaschisten am Gedenkwochenende gewesen.

Die militante Nacht- und Nebelaktion der »AG antifaschistischer Fuchsschwanz«, der die sogenannte Friedenseiche zum Opfer fiel, konnte mich hingegen nicht überzeugen. Als ein »Symbol für Deutschtümelei und Militarismus« sägten die Aktivisten den Baum ab. Ein Blick in das Nähkästchen autonomer Militanz zeigt, dass sich gelungene Aktionen aus sich selbst erklären müssen. Ohne Beipackzettel auf »indymedia« hätte man die nächtliche Holzfällerei von Lichtenhagen als Anschlag von Nazis missverstehen können.
Man braucht kein Heraldiker zu sein, um zu wissen, dass die Eiche und das Eichenblatt tatsächlich eine lange Tradition als deutschnationale Symbole haben. Im Alltag interpretiert jedoch niemand Eichenbäume als ein deutschtümelndes Zeichen. Die Aktion stößt daher in der Öffentlichkeit auf breite Verständnislosigkeit oder gar Empörung. In der Regel hat man etwas richtig gemacht, wenn die Spießbürger toben. Wer aber nachher selbst als infantiler Wirrkopf dasteht, der völlig realitätsfern »Hitler-Eichen« vor dem Sonnenblumenhaus auszumachen glaubt, spielt der bürgerlichen Gedenkpolitik und ihrer Propaganda nur in die Hände.
Die Fuchsschwanz-Antifas kritisieren in erster Linie die Baumauswahl. Zum eigentlichen Skandal, dem blinden Fleck des staatlichen Gedenkens, der Tatsache, dass die Ausschreitungen in Lichtenhagen Teil einer rassistischen Kampagne waren, verlieren sie leider kein Wort. Genau diese Verstrickung gehört aber in den Mittelpunkt der Kritik. Die demokratischen Eichenpflanzer hätte man als Parteigänger von Pogromprofiteuren dann auch fragen können, was sie sich erdreisten, sich überhaupt aus diesem Anlass zu Wort zu melden.