Ein Baum ist nicht genug

Deutschland roden!

Solange in Deutschland ein gefällter Baum aufrichtiger betrauert wird als ein totgeschlagener Asylbewerber, muss weiter­gerodet werden!

Wer noch einen Beweis dafür benötigte, dass dem Deutschen ein Stück Holz heiliger ist als ein Menschenleben, bekam ihn vergangene Woche geliefert: Zeitungsredakteure und Tausende von Amok laufenden Leserbriefschreibern und Online-Kommentatoren ereiferten sich mit Schaum vorm Mund darüber, dass die wehrlose Rostocker »Friedenseiche« den Opfertod sterben musste, setzten wutschnaubend das Umhacken des Gehölzes mit der Bücherverbrennung der Nazis und die antifaschistischen Freizeitgärtner mit mordenden und brandschatzenden Neonazis gleich. »Diesem Fuchsschwanz gehört jedes Haar einzeln gezogen«, artikulierte jemand per Online-Kommentar seine Gewaltphantasien.

Tränenreich wurde »Respekt vor dem Lebewesen Baum« gefordert. Man war voller Sorge darum, wohin das unschuldige Grünzeug, das nur ein so kurzes Leben genießen durfte, von garstigen Gewaltverbrechern verschleppt worden sei, und stellte vielfache Überlegungen über die korrekte rassekundliche Zuordnung von Eichen, Linden und Eschen an. Kein Zweifel: Um des auf dem Feld der Ehre gefallenen Volksgenossen Baum willen zöge der Deutsche gleich morgen wieder in den Krieg.
Man sieht: Die »AG Antifaschistischer Fuchsschwanz« hat auf ihre bescheidene Art einen Anfang gemacht, ein kleines Zeichen gesetzt, das uns ermutigen sollte, den von ihr eingeschlagenen Weg eines Antifaschismus der strafenden Hand konsequent weiterzugehen. Wie lehrte uns die Image-Kampagne »Du bist Deutschland« vor einigen Jahren? »Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen./Der Windstoß, der durch seinen Flügelschlag verdrängt wird,/entwurzelt vielleicht ein paar Kilometer weiter Bäume./Genauso wie sich ein Lufthauch zu einen Sturm entwickelt,/kann deine Tat wirken.« Nehmen wir uns diese weisen Worte zu Herzen.
Mein Vorschlag lautet daher wie folgt: Wird auf der Straße ein Flüchtling, Homosexueller oder Jude beleidigt, geohrfeigt oder verprügelt, wird künftig im Handumdrehen die Motorsäge angeworfen: Rrrrrränggggwwwrrrrrräängggg! »Zu fällen einen schönen Baum/braucht’s eine halbe Stunde kaum.« (Eugen Roth, populärer Dichter, 1895 – 1976) Und zack: Da fallen sie auch schon reihenweise, die Eichen und Buchen. Welche Sorte Baum es trifft, das ist uns scheißegal, solange er nur hierzulande wächst und mit seinem Grünzeug die Gegend verschandelt. Hübsch anzusehen ist es, wie die dicken Stämme niederpurzeln wie Mikadostäbchen auf einer Tischplatte. Da geht einem vor Freude das Herz im Leib auf! 20 putzige, kleine Apfelbäumchen für eine rassistische Bemerkung, 50 Trauerweiden für eine ausgesprochene Drohung, 100 bis 1 000 dicke, alte deutsche Eichen für einen tätlichen Angriff, je nach Schweregrad der Verletzungen, die das Opfer der Attacke davontrug. Max und Moritz, gar nicht träge/Sägen heimlich mit der Säge/Ritzeratze! voller Tücke/In die Landschaft eine Lücke. Wo Wald ist, soll eine schöne Brache entstehen. Und wenn plötzlich das eine oder andere unschuldige, kleine Rehlein vor uns steht und uns mit seinen großen Augen furchtsam anblinzelt, dann nehmen wir’s per elegantem Schwenk mit der Motorsäge gleich mit in die ewigen Jagdgründe. Ob nun Baum, Strauch oder Reh – wen kümmert’s? Hauptsache, der deutschen Natur wird effektiv und sachgerecht der Garaus gemacht. Ein kleiner Schnitt in den Wald, ein großer Schritt für die Menschheit.

Man solle die Hoffnung nie aufgeben, heißt es. Vielleicht gelingt es ja, nach all den fruchtlosen, jahrzehntelangen Bemühungen, die bis heute nichts als Misserfolge nach sich zogen, mit dieser neuartigen Therapie, dem Deutschen ein Minimum an Zivilisation anzuerziehen. Und falls dieses Vorhaben erneut scheitern sollte, macht es auch nichts: Hauptsache, man hat dem deutschen Feld-, Wald- und Wiesenhausmeister und seinen Eichenschutzbeauftragten Schmerzen zugefügt. Alle sieben Sekunden fällt ein deutscher Baum, 24-Stunden-TV-Live-Übertragung. Zack, zack, zack. Und das Rassistenpack muss im Fernsehen dabei zusehen, wie sein alberner Wald mit Stumpf und Stiel ausgerottet wird. Und aus dem Holz fertigen wir sinnlose Wegwerfartikel mit Aufdruck (»Ich war eine deutsche Eiche«) und kostenloses Toilettenpapier für die ganze Welt. Auge um Auge, Baum um Baum. Wo gutes Zureden und Appelle nicht mehr helfen, wird ohne viel Federlesen die Säge angesetzt.
Die deutschnationalen Naturfreunde und anderen Angehörigen der Baumschutzstaffel werden toben, wir aber werden ihnen – wie einem unartigen Kind, das vom Nasebohren nicht lassen will – mit einem Lächeln auf den Lippen und gefalteten Händen sanft entgegnen: Strafe muss sein. Erst wenn der letzte Juchtenkäfer ausgerottet, die letzte Eiche gefällt und der bayerische Wald ausradiert ist, werdet ihr merken, dass der Mitmensch nicht zum Totschlagen da ist. Gut Holz!