Roma in Tschechien wehren sich gegen Vertreibung

Widerstand vorm Bahnhof

Im tschechischen Ostrava wehren sich Roma gegen ihre Vertreibung aus einer heruntergekommenen Wohnanlage.

Die kleine Straße mit mehreren alten Klinkerbauten zwischen dem Gewerbegebiet, den Bahnschienen des Hauptbahnhofs und einer großen Straße heißt schlicht Přednádraží (vor dem Bahnhof). Die Anlage im tschechischen Ostrava existiert seit 1902, früher wohnten in den Häusern Bahnangestellte. Seit den sechziger Jahren leben hier Roma, einige ihr ganzes Leben lang. Vor einigen Jahren wurden die Häuser, die der staatlichen Eisenbahngesellschaft gehörten, verkauft, seitdem sind sie in privaten Händen. Lange wurde die Anlage dem Verfall preisgegeben, was auch an den unklaren Besitzverhältnissen seit dieser Zeit liegt. Die Kanalisation ist seit einem Hochwasser 1997 an mehreren Stellen zerstört, voriges Jahr häuften sich Fälle von Hepatitis.

Anfang August entschied die Baubehörde, dass die Häuser nicht bewohnbar seien – unter anderem wegen der hygienischen Probleme, um deren Lösung sich die Behörden bis jetzt nicht gekümmert haben – und innerhalb von 24 Stunden evakuiert werden müssten. Von den ursprünglich etwa 400 Bewohnern sind etwa 120 geblieben. Dann kam kein Wasser mehr aus den Leitungen. Einige Bewohner hatten ihre Wasserrechnungen nicht mehr bezahlt, da sie kein Wohngeld mehr erhielten. Die Stadt Ostrava hatte nämlich nicht nur den problematischen Zustand der Anlage nach all den Jahren »entdeckt«, sondern auch ein Dokument aus den achtziger Jahren, das besagt, dass die Gebäude gar keine Wohnhäuser seien – und daraufhin die Hilfen gestrichen.
Die Baubehörde bemühte das Gericht, um gegen den Eigentümer vorzugehen, da die Familien weiterhin in ihren Häusern blieben. Dieser musste 30 000 Kronen Strafe zahlen, behauptete aber, dass die Stadt verantwortlich für das Funktionieren der Kanalisation sei – eine diesbezügliche Untersuchung brachte drei sich widersprechende Dokumente zutage. Dem derzeitigen Eigentümer gehören die Häuser seit zwei Jahren und von Anfang an bat er die Stadt um Hilfe. Da aber keine Reaktion kam, hörte er auf, in die Häuser zu investieren.
Im Grunde, erklärt Kumar Vishwanatan, der sich seit dem Hochwasser für die Roma in Ostrava engagiert, gebe es zwei Arten der Geschäftemacherei mit dem Wohnraum für Roma: Es gebe diejenigen, die Roma verdrängen wollen, so werde zum Beispiel der Verkaufspreis einer Wohnung gemindert, wenn Roma darin gewohnt haben; zum anderen diejenigen, die von der Armut und Ausgrenzung der Roma profitieren. Roma bekommen nicht so einfach eine neue Wohnung, ihnen wird misstraut und die Kaution wird besonders hoch angesetzt. Deshalb werden sie meist in speziellen »Sozialwohnungen« untergebracht, die privaten Unternehmen gehören. Dort teilt sich eine Familie einen Raum ohne eigene Küche und Bad. Gezahlt werden muss trotzdem pro Person, die Kosten sind dadurch so hoch wie für eine gute Wohnung. Der Staat übernimmt seit Anfang des Jahres nur noch die Hälfte der Wohnkosten, so geben viele Romafamilien oft fast ihr gesamtes Einkommen aus, um nicht auf der Straße zu landen.
Ermutigend an dem Fall Přednádraží ist, dass in den Medien landesweit und einigermaßen neutral darüber berichtet wird, unter anderem weil sich einige Roma selbst organisieren und Versammlungen veranstalten, zu denen auch solidarische Aktivisten kommen. Geht es nach Jakub Polak von der Organisation Proalt, könnte diese Selbstorganisation noch weiter gehen. Er schlägt in einem Positionspapier vor, die Bewohner sollten ein Kollektiv bilden, dem die Häuser gehören. Das Positionspapier wurde bereits auf romea.cz veröffentlicht, einem Server für Roma in der Tschechischen Republik. Die Bewohner stehen dem Vorschlag wohlwollend gegenüber, sind aber skeptisch, ob er sich finanziell realisieren lässt.
Am 28. August gab es erst einmal Entwarnung. Hieß es bisher, dass die Häuser unbewohnbar seien, spielt das auf einmal keine Rolle mehr. Kurz zuvor hatte ein Gutachten festgestellt, dass ein leichtes Gefälle des Geländes es möglich macht, die Kanalisation wesentlich günstiger zu erneuern als bisher von der Stadt veranschlagt. Allerdings scheint es ein Interesse daran zu geben, die Roma um jeden Preis von dort zu vertreiben. Weiterhin erhalten sie kein Wohngeld.