Die Finanzkrise erreicht die Niederlande und Dänemark

Die Sorgenkinder aus dem Norden

Von Ralf Hess

Die Kredit- und Wirtschaftskrise hat nun auch die Niederlande und Dänemark erreicht.

Nicht nur die immer wieder für ihre laxe Haushaltspolitik gescholtenen Spanier, Portugiesen, Italiener und Griechen haben große finanzielle Schwierigkeiten. Auch in anderen EU-Staaten macht sich die Krise langsam, aber sicher bemerkbar. Besonders hart trifft es momentan einen der sogenannten Eurostabilitäts­anker, die Niederlande. Galten sie lange Zeit als wirtschaftliches Vorbild in der Eurozone, wird nun immer offensichtlicher, dass dort die Blase, die sich im Immobiliensektor gebildet hat, zu platzen droht.
Wie der niederländische Finanzdienstleister SNS Reaal kürzlich mitteilte, stieg der Anteil »fauler« Kredite in seinen Immobilienbüchern in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres um 38 Prozent. Damit umfassen sie jetzt ein Volumen von 1,33 Milliarden Euro, was insgesamt 42 Prozent aller Kredite des Finanzdienstleisters entspricht. Vergleichbare Meldungen kamen im selben Zeitraum von der größten Konkurrentin, der ING Groep. So musste das Unternehmen nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr bereits 120 Millionen Euro für faule Hypothekenkredite zurückstellen – mehr als doppelt so viel wie in den Quartalen zuvor. Auch die niederländische Großbank ABN Amro meldet für das zweite Quartal 2012 einen Nettogewinneinbruch von 36 Prozent. Hauptauslöser dafür waren, so ein Sprecher des Unternehmens, die fallenden Immobilienpreise. Auch andere niederländische Banken melden, dass der Anteil an faulen Hypothekenkrediten in ihren Büchern in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich gestiegen sei.

In den Niederlanden wächst damit die Sorge vor einem Immobiliencrash. Das niederländische Statistikamt CBS meldete, dass die Preise für Häuser im Vergleich zum Vorjahresmonat um 8,3 Prozent gefallen seien. Damit befinden sie sich wieder auf dem Niveau von 2002. Die niederländische Zentralbank indes warnte bereits vor Monaten, dass ein solcher Preisverfall die holländischen Banken in arge Schwierigkeiten bringen könnte. Eine wirksame Strategie dagegen hatte jedoch auch dort niemand vorzuweisen.
Als Hauptursache für die niederländische Immobilienkrise wird häufig die viel zu laxe Kreditvergabepraxis der Banken angegeben. So hätten viele Finanzinstitute zwischen Groningen und Eindhoven in den neunziger Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends im großen Stil Hypotheken vergeben, ohne dabei auf ausreichende Sicherheiten zu achten. Hinzu kam, dass durch Steuernachlässe auf den Kauf einer Immobilie viele Holländerinnen und Holländer animiert wurden, nun ihren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen, obwohl sie finanziell eigentlich nicht dazu in der Lage gewesen wären.
Doch nicht nur Euro-Staaten sind von dieser Entwicklung betroffen. Auch außerhalb der Eurozone ist die finanzielle Lage angespannt. So meldete das dänische Aufsichtsamt für das Kreditwesen (FSA) bereits vergangenes Jahr, dass sich die Bankenkrise im Land verschlimmere. »Wir haben eine Gruppe von Instituten, von denen wir denken, dass sie innerhalb der nächsten zwölf bis 18 Monate Insolvenz anmelden müssen«, sagte der Generaldirektor der FSA, Ulrik Koedgaard, der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg. Schuld daran sei die Vergabe fauler Kredite an landwirtschaftliche Betriebe, kleine Unternehmen und gewerbliche Immobilienkäufer. Bereits Ende Januar dieses Jahres warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass dringend etwas getan werden müsse, um die Anfälligkeit des dänischen Bankensystems zu verringern. Trotz aller Hiobsbotschaften sieht Koedgaard derzeit noch keinen Grund zur Panik: »Die großen Banken lassen die Krise hinter sich, indem sie ihre Kapitalbasis gestärkt und ihre Bilanzen in entsprechendem Maße wertberichtigt haben.« Dies werde sich auch dadurch nicht ändern, dass einige mittlere und kleinere Häuser Probleme bekämen.

Nicht ohne Grund erinnert diese Situation an die Zeit des Immobiliencrashs in den USA. Denn auch dort wurden von den Banken riskante Immobilienkredite vergeben, um damit auf steigende Immobilienpreise wetten zu können. Ähnlich wie in den USA wurde auch in den Niederlanden und Dänemark auf diese Art wirtschaftliches Wachstum geschaffen. Nachdem in beiden Ländern das so geförderte Wachstum zum Stillstand gekommen war, begannen auch die Preise für Immobilien langsam zu sinken. Diese Entwicklung, die bereits in den USA und Südeuropa zu beobachten war, erreicht nun auch Nordeuropa. Zunächst stagnieren die Immobilienpreise und sorgen so dafür, dass die Kredite für einen Teil der Kreditnehmer nicht mehr finanzierbar werden. Danach kommt es zu ersten Kreditausfällen, so dass die Immobilien an die Banken übergehen. Anschließend versuchen diese, die Immobilien zu versteigern. Kommt es gehäuft zu solchen Zwangsversteigerungen, führt dies unweigerlich zu weiter sinkenden Preisen, die Hypothekennehmer unter finanziellen Druck setzen und damit neue Zwangsversteigerungen provozieren. Ist diese Spirale einmal in Gang gesetzt, kann sie kaum noch aufgehalten werden.
Eine schwache Konjunktur wirkt sich zusätzlich negativ aus. Kreditnehmer geraten nicht nur aufgrund sinkender Preise unter Druck. Auch sinkende Einnahmen sorgen bei niederländischen, jedoch vor allem dänischen Banken für immer mehr Ausfälle. So wird in Dänemark gerade die Vergabe von Krediten an landwirtschaftliche Betriebe zu einem Problem. Die Vereinigung der dänischen Banken schätzt, dass Ende 2011 elf Prozent der Kredite an die Landwirtschaft gingen. Die Schulden der Agrarbetriebe, so der dänische Landwirtschafts- und Nahrungsrat, lagen 2010 bei 63 Milliarden Euro. Gerade in diesem Sektor leiden kleine Einzelhändler und kleinere Unternehmen, wenn der Binnenkonsum schwächelt. Im dritten Quartal des vergangenen Jahres schrumpfte die dänische Wirtschaft um 0,5 Prozent und im vierten Quartal stagnierte das Wachstum. »Es wird kein Wachstum geben«, so der Chefökonom des Verbandes der dänischen Industrie, Klaus Rasmussen, über die nähere wirtschaftliche Zukunft des Landes. Die kleineren Unternehmen, so Rasmussen, werde es wahrscheinlich härter treffen, weil die herrschende Kreditklemme sie stärker belaste als die Großbetriebe. Tatsächlich ist es gerade dieses stagnierende Wachstum, das dafür sorgt, dass die Betriebe ihre Schulden nicht zurückzahlen können. In manchen Regionen Dänemarks haben landwirtschaftliche Betriebe bereits die Hälfte ihres Wertes verloren. Welche Auswirkungen dieser Preisverfall auf die Fähigkeit der dänischen Bäuerinnen und Bauern hat, ihre Kredite abzuzahlen, kann derzeit an der niederländischen Immobilienkrise studiert werden.

Zu diesen finanziellen und konjunkturellen Entwicklungen in den beiden Ländern kommen weitere die Krise verstärkende Einflüsse hinzu. Denn während die Staaten versuchen, gegen die drohende Pleitewelle anzukämpfen, wächst an den Finanzmärkten das Misstrauen ihnen gegenüber. Ende Mai dieses Jahres hat die Rating-Agentur Moody’s bereits neun dänische Banken herabgestuft. Grund dafür seien Refinanzierungsschwierigkeiten und die sinkende Qualität der vergebenen Kredite, also ein erhöhtes Risiko von Kreditausfällen. Auch die Niederlande sind von einer Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit bedroht. So haben die beiden Rating-Agenturen Standard & Poor’s und Fitch mit einer Senkung des niederländischen Top-Ratings gedroht, sollte die Regierung die Schulden des Landes nicht in den Griff bekommen. Das würde jedoch unweigerlich dazu führen, dass für aufgenommene Kredite ein höherer Zinssatz bezahlt werden muss und die Refinanzierungskosten steigen. Der derzeitige niederländische Ministerpräsident, Mark Rutte, kämpft nun darum, deutliche Einsparungen im niederländischen Haushalt durchzusetzen. Sein Plan ist es, die Mehrwertsteuer auf 21 Prozent zu erhöhen, die Beamtengehälter einzufrieren und das Renteneintrittsalter heraufzusetzen. Darüber hinaus möchte Rutte auch bei der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sparen.
Welche Auswirkungen diese Politik auf die betroffene Bevölkerung haben kann, zeigt sich in Südeuropa oder den USA. Aufgrund steigender Preise bei Konsumgütern und sinkender Einnahmen der Konsumentinnen und Konsumenten können immer weniger Unternehmen die notwendigen Gewinne machen. In der Folge müssen sie entweder aufgeben oder einen Teil ihrer Belegschaften entlassen. Durch das sich so verkleinernde Nationaleinkommen singt der Binnenkonsum weiter, so geraten weitere Unternehmen unter Druck, die nun ebenfalls Beschäftigte entlassen müssen. Am Ende dieser Entwicklung steht die Stagnation der wirtschaftlichen Prosperität ganzer Volkswirtschaften, mit allen folgenden negativen Auswirkungen. Wie diese letztendlich aussehen können, kann derzeit an der US-amerikanischen oder griechischen Mittelschicht betrachtet werden. In den USA ist das Durchschnittseinkommen von Normalverdienern zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges am Ende einer Dekade niedriger als zu deren Beginn. Griechenland trifft es aufgrund fehlender Arbeitslosenunterstützung deutlich härter. Dort ist die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen.