Die geilsten Göttinnen und Götter

Die geilsten Götter

… haben die Griechen erfunden. Wir haben uns im Olymp und in der Unterwelt umgeschaut und stellen Ihnen unsere Favoritinnen und Favoriten vor:

Persephone: Deckt den Tisch!
Spürbar nähert sich der Winter und Persephone bereitet sich auf ihren alljährlichen Abstieg in die Unterwelt vor. Sie ist die Tochter und gleichzeitig die Nichte des Göttervaters Zeus und seiner Schwester, der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, und hatte es wirklich nicht leicht. Als sie ein junges Mädchen war, vergewaltigte und schwängerte sie ihr eigener Vater und Onkel, die teenage mum gebar dazu noch den stierköpfigen Zagreus. Als wäre dies nicht Trauma genug, sollte ihr Sohn von den Titanen gesiebenteilt werden. Er wurde zwar später als Dionysos wiedergeboren, war dann aber als starker Trinker berüchtigt und dachte nie an den Muttertag.
Es scheint, als wäre Zeus der Persephone irgendwann überdrüssig geworden. Jedenfalls duldete er ihre gewaltsame Entführung in die Unterwelt durch seinen Bruder Hades, der sie dann ehelichte. Um Persephone nicht gänzlich an die Unterwelt zu verlieren, vereinbarte Zeus mit Hades, sie dürfe dort keine Nahrung zu sich nehmen. Aber wie sollte Persephone diese Hungerkur vier Monate lang durchhalten? Sie verspeiste heimlich Granatapfelkerne, und ihr Schicksal, fortan an Hades und die Düsternis seiner Schattenwelt gebunden zu sein, war damit besiegelt. Immerhin hatte ihre Mutter Demeter sich für sie eingesetzt, sie unterband das Pflanzenwachstum und konnte so durchsetzen, dass Persephone die Unterwelt immer wieder verlassen darf. Wenn sie es tut, beginnt der Frühling, weshalb Persephone als Göttin der Fruchtbarkeit gilt. Ihre Zeit in der Unterwelt nutzte sie, um ihren Gatten peu à peu zur Raison zu bringen, bis er kaum noch in Erscheinung trat. Schließlich wurde sie die auch von den härtesten Kriegern gefürchtete Göttin der Toten und der Unterwelt.
Chapeau, Persephone! Sie kann als Sinnbild für einige ewige Wahrheiten gelten: Man kann die Patriarchen zu der Einsicht zwingen, dass sie sich nicht alles erlauben können. Ohne Frauen läuft im Diesseits und im Jenseits gar nichts. Und am Ende haben die Männer doch Schiss. Freuen wir uns also auf den 21. März, wenn sie als Göttin des Frühlingserwachens abgemagert und hungrig wieder in unsere Welt hinaufsteigt. Deckt schon mal den Tisch!
Minou Zaribaf
Aphrodite: Baby, she’s got it!
Der bekannteste Aphrodite-Mythos handelt von einem Zickenkrieg, der zum Trojanischen Krieg führte. Aphrodite gewann den Schönheitswettbewerb um einen goldenen Apfel etwas hinterhältig gegen Hera und Athene, weil sie dem Trojaner Paris, der die Jury dieses »Olymp’s Next Topmodel Challenge« bildete, die Ehe mit der bereits verlobten Helena versprach. Dass Aphrodite, die Schutzgöttin der Hetären und Lustknaben, eine Frau verschacherte, ist ungeil. Schließlich wurde sie selbst als Versöhnungsgeschenk mit Hephaistos zwangsverheiratet. Aber Aphrodite benahm sich nicht folgsam wie die irdische Ehefrau von nebenan, die im antiken Griechenland nicht einmal das Haus verlassen durfte, sondern lebte das Leben einer sexuell befreiten Frau und vergnügte sich mit zahlreichen sterblichen und unsterblichen Liebhabern. Gleichzeitig arbeitete sie an ihrer Karriere. Aus der semitischen Fruchtbarkeitsgöttin wurde die Göttin der Schönheit, der Liebe und der Begierde.
Mit Persephone und Adonis traf sie nach dem Tod des hübschen Jünglings eine Polyamory-Vereinbarung: Ein Drittel des Jahres verbrachte Adonis bei Persephone in der Unterwelt, vier Monate mit Aphrodite, den Rest des Jahres durfte er arbeitnehmerfreundliche 17 Wochen Urlaub machen. Und irgendwie queer war Aphrodite auch. Ob sie Sapphos »Sehnsucht brünstigen Ruf« befriedigte, den die Lesbos-Dichterin in der »Ode an Aphrodite« beschreibt, ist unbekannt. Aber sie zeugte mit Hermes den zweigeschlechtlichen Hermaphroditos. Wegen ihrer Geburt aus dem Meeresschaum vor der zypriotischen Küste passt sie nicht in das Schema heterosexueller Götterstammbäume.
Popkulturpluspunkte hat sie ebenfalls verdient. Im Gegensatz zur lateinischen Venus wurde ihr Name nie von der Marketingabteilung eines Nassrasiererherstellers oder von Stock/Aitken/Waterman für einen Bananarama-Hit missbraucht. Heute würde Aphrodite vermutlich zu »Afrodiziak« von Bran Van 3000 tanzen, ein kühles Fläschchen Malamatina dabei trinken und am Slutwalk teilnehmen … Aber hey, no gods, no masters!
Christine Pfeifer

Prometheus: Her mit dem Feuer!
Wer seinen Vater betäubt, entführt und am Rand der Welt aussetzt, um eine Schreckensherrschaft zu errichten, kann eigentlich nicht mit Verehrung rechnen. Anders verhielt es sich leider mit Zeus, der durch die intrigante Entmachtung seines Vaters Kronos das Goldene Zeit­alter beendete. Selbst erschaffen hat der Putschist Zeus nichts. Es war Prometheus, der die Menschen aus Ton formte.
Zeus wäre auf so eine Idee nicht gekommen, da die Menschheit aber nun mal da war, forderte er, sie müsse ihn anbeten und ihm gehörig opfern. Der Don Corleone des Olymp versprach Schutz, worunter man den Verzicht auf den Einsatz der Blitze und anderer Massenvernichtungswaffen zu verstehen hat, die Zeus natürlich auch nicht selbst erfunden, sondern sich von den Kyklopen beschafft hatte. Prometheus, dem Verehrung viel eher gebührt hätte, stellte keine Forderungen. Es kam ihm nicht in den Sinn, seine Geschöpfe ständig auf den Knien rutschen zu lassen und sie mit Geboten zu drangsalieren – eine für einen Gott vorbildliche Haltung, die leider keine Nachahmer fand. Zeus war erbost, zumal Prometheus auch noch der einzige war, der sich offen gegen die Junta im Olymp auflehnte. Es gelang, die Last der Opfergaben für die Menschen zu reduzieren. Prometheus erzwang Tarifverhandlungen, und bei einem Probeopfer lenkte er die Aufmerksamkeit des gierigen Zeus auf den größeren, aber weniger wertvollen Haufen. Zeus, der auch ein schlechter Verlierer war, nahm den »Betrug« zum Vorwand, um den Menschen das Feuer zu verweigern. Aber Prometheus brachte es ihnen, und es handelte sich dabei nicht, wie der Kai Diekmann des Olymp verbreiten ließ, um Diebstahl. Prometheus hatte nur den Stengel eines Riesenfenchels am Sonnenwagen entzündet.
Die unappetitliche Geschichte mit dem Adler und der Leber kennen Sie ja. Als erster Gewerkschafter und erster Rebell war Prometheus zwangsläufig auch der erste politische Gefangene. Dass er von Herkules befreit wurde, beweist jedoch, dass nun auch andere widerspenstig wurden. Das Feuer der Rebellion konnte nicht mehr gelöscht werden.
Jörn Schulz

Athene: Auf sie mit Gebrüll!
Der Göttervater Zeus hatte, einer alten Familientradition folgend, die mit den gemeinsamen Kindern schwangere Thethis verschlungen, weil ihm prophezeit worden war, seine Tochter werde ihm ebenbürtig sein und sein Sohn ihn stürzen. Als ihn später starke Kopfschmerzen plagten, öffnete der Schmied Hephaistos Zeus’ Schädel und es entsprang, in voller Rüstung, Athene. Die Prophezeiung bewahrheitete sich; die Kopfgeburt des Zeus bescherte den Olympiern endlich eine ernstzunehmende Frau in ihrer Mitte.
Vor Athenes Auftauchen war die Götterwelt in streng dichotomischen Geschlechterklischees geteilt, die albern genannt werden könnten, wären sie nicht so traurig: Zeus, Ares und Poseidon verbrachten ihre Zeit damit, Krieg zu spielen und Frauen zu verführen oder, wenn sie nicht willig waren, zu vergewaltigen. Hera und Aphrodite waren in einen ewigen Zickenkrieg verwickelt, der allen Olympiern und Menschen den letzten Nerv raubte. Die Hippie-Mädchen Demeter und Artemis flochten sich Bänder ins Haar und sprangen mit Rehlein und Schäfchen über Wald und Flur, Hestia hütete treu das Herdfeuer. Athene hingegen, die dem Kopf des Zeus mit Kampfgebrüll entsprang, so dass Helios vor Schreck den Sonnenwagen anhielt, veränderte nicht nur die Welt der Götter, sondern auch die der Menschen. Sie war es, die den Geschöpfen ihres Freundes Prometheus den Verstand einhauchte und sie damit in die Lage versetzte, sich von dem ganzen durchgeknallten Götterhaufen zu emanzipieren.
Als Göttin der Weisheit und der Wissenschaften, der Städte und der Künste steht sie für Aufklärung und Emanzipation, auch wenn diese Zuordnung leider nicht dazu geführt hat, dass Frauen in der Antike an diesen Errungenschaften teilhaben konnten. Doch als waffentragende Frau machte sie vor, wie man sich der Zudringlichkeiten der männlichen Mitgötter bzw. -menschen erwehrt. Mit ihrem Geschenk des Ölbaums, der Schatten, Holz und Früchte spendet, wurde sie die Schutzpatronin Athens, der Stadt, in der Dreisatz, Demokratie und Dialektik erfunden werden sollten. Wenn man schon Götter haben muss, dann nur solche wie Athene.
Josefine Haubold

Eris: Streit dich glücklich!
Insgeheim ist sie die Gebieterin der linken Griechen. Eris, die Göttin der Zwietracht und des Streits, scheint unter ihnen viele Anhänger zu haben. Freilich bekäme sie jenen Status niemals offiziell verliehen. Denn darüber würde sich die hiesige Linke mit Sicherheit – zerstreiten. Mit diesem inneren Widerspruch ist zugleich ein dritter Geschäftsbereich angezeigt, dem Eris indirekt vorsteht: die Dialektik. Monotone Sichtweisen sind der Eris Sache nicht. Doch ist die Tochter der Nyx eine verkannte Gottheit. In der griechischen Mythologie erscheint sie als miese Intrigantin, die den sprichwörtlichen »Zankapfel« unter die Menschen bringt. Sogar den Trojanischen Krieg soll sie angezettelt haben.
Entsprechend sind die Nachkommen der Eris nicht gerade mit ruhmvollen Eigenschaften ausgestattet. Sie stehen für Lüge, Schmerz oder Mord. Und auch Platon bewertete die Eristik, eine nach der Streitspezialistin benannte Form der Rhetorik, negativ. Sie diene lediglich dazu, die eigene Position durchzusetzen, urteilte der Altphilosoph, der ihr ein dialektisches Verfahren entgegenhielt. In Wirklichkeit jedoch ist Eris die Mutter nicht nur der Dialektik, sondern auch des gerechten Wandels. Wer den Dissens scheut, kann in Sachen Wahrheit nicht fündig werden. Und jede soziale Innovation hat als Ursprung ein Nein, mit dem angemeldet wird, dass die eigene Position nicht weiter übergangen werden soll. »Die Revolte«, sagt Albert Camus, »kommt nicht zustande ohne das Gefühl, auf irgendeine Art selbst Recht zu haben«.
Der Ruf nach Zurückhaltung und sozialem Frieden dagegen ist die Knute, mit der man Menschen lehrt, zu buckeln. »So ist es eben«, murmelt es dann aus gestutzten Seelen, die Widerstreit als Chaos und Diversität als Unordnung empfinden. Eris steht aber auch in einer Verwandtschaft zum Humor. Wer bereits Zeit mit linken Konsenspredigern verbracht hat, weiß das. Gerade solche moralischen Zirkel, die Harmonie und Einheit per Gebot erzwingen wollen, neigen zur Spaßvermeidung. Und weil sie weder lachen noch streiten können, enden sie meistens – im Streit.
Holger Marcks

Dionysos: Hyper, Hyper!
Versucht man, die Mythologie der griechischen Götterwelt zu verstehen, wer da was mit wem am Laufen, wer wen gezeugt und hintergangen hat, was das überhaupt für lauter irre Wesen sind, die da die Welt, die Unterwelt und den Olymp bevölkern, dann wird schnell klar: Wer immer sich diesen ganzen Kram ausgedacht hat, der hatte entweder ganz schwer einen an der Waffel oder war voll auf Droge, und die Rede ist hier nicht nur vom allgegenwärtigen Ouzo. Man kann also sagen: Ohne Rausch und Wahn gäbe es gar keine griechischen Götter. Es ist daher nicht übertrieben, Dionysos als den wichtigsten aller Götter – und geilsten sowieso – zu bezeichnen. Der Gott des Rausches und des Wahnsinns, des Weines, der Freude, der Fruchtbarkeit und der Ekstase, ist sozusagen für die Schöpfung seiner selbst ­verantwortlich.
Nun höre ich schon atheistische Schlaumeier sagen, dass das doch schön wäre, wenn uns ohne den ollen Hallodri Dionysos die Religionen erspart geblieben wären. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: Denn gegen die Freakshow-Sitcom der griechischen und der adaptierten römischen Götterwelt sind die Erzählungen aus dem Neuem Testament und dem Koran geradezu sterbenslangweilig rational. Nur der Hinduismus ist mit seinen ungezählten Haupt- und Nebengöttinnen und -göttern, Affenkriegern, Göttergattinnen und so weiter, die es dann jeweils alle auch noch in der ersten oder achten Inkarnation gibt und in diversen Gestalten, vielleicht vergleichbar. Man könnte auch vom Prinzip Lindenstraße oder Bigbeatland reden, manche mögen sich auch noch an »Lilly und Poldi« erinnern – das jedenfalls ist es, was eine Story ausmacht, die es schafft, jahrhundertelang über die Maßen erfolgreich zu sein.
Der lebensbejahende Wahnsinn, den der Partygott Dionysos verkörperte, wurde später von den Philosophen aufs Unterschiedlichste interpretiert und meist positiv beurteilt. Nietzsche sah im Rausch einen »alle Formen sprengenden Schöpfungsdrang«, bei Hölderlin wurde Dionysos zum Revolutionsgott. Und nicht zuletzt: Bärte, wie Dionysos einen getragen hat, sind ja auch wieder in.
Ivo Bozic