Die südkoreanische Atompolitik

Anreichern oder anreichern lassen

Südkorea will nicht nur weitere Atomkraftwerke bauen, sondern auch verstärkt Nukleartechnik entwickeln und exportieren.

Während Japan erst kürzlich den Ausstieg aus der Atomkraft bis zum Jahr 2040 angekündigt hat, verfolgt der Nachbarstaat Südkorea ganz andere Pläne. Neben dem Neubau von Kraftwerken und dem Export von Nukleartechnik wird auch der mögliche Einstieg in die Urananreicherung und Wiederaufbereitung erwogen. Zwar hat sich Südkorea im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit den USA verpflichtet, darauf zu verzichten, allerdings gilt die Vereinbarung bislang nur bis zum Jahr 2014.
Gespräche, die zwischen Südkorea und den USA Ende September in Seattle stattfanden, wurden ohne Ergebnis vertagt. Der Berater des US-Präsidenten für Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Gary Samore, hatte vorgeschlagen, dass Südkorea wie bisher seine Anreicherung in den USA, Frankreich oder anderen Ländern durchführen lassen solle. Daraufhin beschloss die südkoreanische Regierung unter Präsident Lee Myung-bak, die Fortsetzung der Gespräche der nächsten Regierung zu überlassen.
Lees einmalige fünfjährige Amtszeit endet im Februar 2013, die Präsidentschaftswahlen finden bereits am 19. Dezember statt. Nachfolgekandidatin seiner konservativen Saenuri-Partei ist deren ehemalige Vorsitzende Park Geun-hye, Tochter des früheren Diktators Park Chung-hee. Sie hat bereits angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs den Atomkurs ihres Vorgängers fortzusetzen. Umfragen sehen sie derzeit als Favoritin.

Die US-Regierung befürchtet neue Spannungen in der Region, sollte ihr Bündnispartner Südkorea in die Wiederaufbereitung von Plutonium und die Urananreicherung einsteigen. Der Ton zwischen den beiden verfeindeten koreanischen Staaten hatte sich bereits nach den nordkoreanischen Raketentests im April verschärft. Vorläufiger Höhepunkt war der Auftritt des nordkoreanischen Vize-Außenminister Pak Kil-yon, der Ende September vor der UN-Vollversammlung mit einem Atomkrieg drohte.
Die Pläne Südkoreas werden angesichts dessen sehr ernst genommen. »Bei den kritischen Vorhaben, in die Urananreicherung und Wiederaufarbeitung einzusteigen, verfolgt das Land zunächst einmal zivile Ziele«, glaubt Tom Bielefeld, Physiker im »Project Managing the Atom« der Harvard-Universität. Bei der Anreicherung gehe es um die zukünftige Versorgung der eigenen Reaktoren sowie jener, die man zu exportieren hofft. »Nicht zuletzt will Südkorea den politischen Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen Atomtechnik produzierenden Staaten wie etwa Japan.«

Derzeit betreibt Südkorea 20 Atomkraftwerke. Die abgebrannten Brennstäbe, bislang etwa 10 000 Tonnen, werden auf dem Gelände der Atomanlagen gelagert. Experten nehmen an, dass die Kapazitätsgrenze im Jahr 2016 erreicht wird. Bereits in den Jahren 2009 und 2010 produzierte das Land mehr Nuklearstrom als Deutschland. Der Anteil der Atomenergie soll bis 2022 von knapp einem Viertel auf fast ein Drittel der gesamten Kraftwerkskapazitäten ansteigen, der Bau von 14 Atomkraftwerken ist vorgesehen. »Falls wir die Atomenergie aufgeben, müssten die Menschen 40 Prozent mehr für den Strom zahlen«, behauptete Präsident Lee.
Der Erfolg seiner Saenuri-Partei bei den Parlamentswahlen im Frühjahr dürfte ihn bestärkt haben. Die Opposition hatte im Wahlkampf eine Umkehr in der Energiepolitik gefordert und dabei die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich gewähnt. Die Katastrophe von Fukushima ein Jahr zuvor hatte Politiker und Bevölkerung für kurze Zeit aufgeschreckt, doch nach wenigen Wochen kehrte wieder Normalität ein. Gerade rechtzeitig, um das Vorhaben zu forcieren, künftig verstärkt Nukleartechnik zu exportieren. So liefern Experten aus Südkorea derzeit die Technik und das Know-how für ein Atomkraftwerk in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ein von der Korea Electric Power Corporation angeführtes Konsortium hatte sich unter anderem gegen den US-Konzern General Electric und das französische Unternehmen Areva durchgesetzt.

»Der weltweite Markt war eigentlich aufgeteilt und relativ übersichtlich, durch den Einstieg von Südkorea kompliziert sich die Lage«, glaubt Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Das sehen auch die westlichen Atommächte so. Sie versuchen, Länder wie Südkorea in die Diskussion über Sicherheitsfragen einzubinden. Auch aus diesem Grund fand am 26. und 27. März dieses Jahres das zweite weltweite Gipfeltreffen über Nuklearsicherheit, an dem 50 Staats- und Regierungschefs teilnahmen, in Seoul statt.
Vor wenigen Jahren noch gab es Befürchtungen, dass Südkoreas Nuklearwissenschaftler heimlich auch an militärischer Atomtechnik arbeiteten. Im Jahre 2004 musste die Regierung zugeben, dass hinter dem Rücken der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Experimente zur Urananreicherung und Wiederaufbereitung stattgefunden hatten. Von 1979 bis 1981 hatten südkoreanische Forscher mit Uran experimentiert, bis März 2003 mit Plutonium. Der Präsident des Koreanischen Atomenergie-Forschungsinstituts in Taejon hatte die Versuche abgesegnet.
Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben 200 Milligramm angereichertes Uran und 700 Milligramm Plutonium hergestellt – Mengen, die für den Bau von Atombomben viel zu gering sind. Die IAEA hat als kritische Einheit 25 Kilogramm hochangereichertes Uran und acht Kilogramm Plutonium festgelegt. »Zu folgern, die Wiederaufbereitungsaktivitäten und die Geheimhaltung der Experimente zur Urananreicherung wären Vorboten eines militärischen Nuklearprogramms, wäre übertrieben«, sagt Oliver Meier.
Nach dem Abzug der amerikanischen Atomwaffen im Jahr 1992 hatten die verfeindeten Nachbarstaaten Süd- und Nordkorea die Halbinsel zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Beide Staaten hatten auch auf jegliche Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsaktivitäten verzichtet. Obwohl der Vertrag nie gekündigt wurde, hält sich Nordkorea nicht daran. Das Land hat nicht nur selbst Atomwaffen entwickelt und getestet, sondern es unterhält, wie erst kürzlich herauskam, seit Jahren auch ein geheimes Urananreichungsprogramm.
Zudem werfen die USA Nordkorea vor, Nukleartechnik, die zur Herstellung von Atomwaffen genutzt werden kann, in »Schurkenstaaten« zu exportieren. Im Jahr 2007 war eine im Bau befind­liche syrische Atomanlage von der israelischen Luftwaffe bombardiert worden, weil vermutet wurde, dass dort Plutonium für ein Atomwaffenprogramm hergestellt werden sollte. Die IAEA bestätigte vor einem Jahr, dass die Technik für die Anlage wahrscheinlich aus Nordkorea kam.
Südkorea ist bei der Suche nach Kunden bislang wählerischer. Die Vereinten Arabischen Emirate, derzeit einziger Abnehmer südkoreanischer Nukleartechnik, gelten als verlässlich. Sie haben das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, das der IAEA weiter reichende Kontrollrechte einräumt, und sich in einem Abkommen mit den USA dazu verpflichtet, auf Urananreicherung und Wiederaufbereitung – die Schlüsseltechnologien für den Bau von Atomwaffen – völlig zu verzichten. »In Bezug auf die nukleare Nichtverbreitung verhalten sich die Emirate international vorbildlich«, sagt Tom Bielefeld.
Doch es könnte zu weiteren Verstimmungen kommen. Während etwa die USA und Frankreich den Export von Nukleartechnik meist davon abhängig machen, ob die potentiellen Kunden auf die Möglichkeiten der Urananreicherung und der Wiederaufbereitung verzichten, gibt es in Südkorea keine vergleichbaren Ausschlusskriterien.