Freut sich über die Wiederentdeckung des Autoren Richard Yates

Der den Cranberrysaft verachtet

Richard Yates lebte von Alkohol, Zigaretten und schließlich von einer Sauerstoffflasche. Zeit seines Lebens hat sich sein großer
literarischer Durchbruch nicht ergeben wollen. Posthum wird einer der besten Autoren der USA endlich wiederentdeckt.

Beklommen sieht ein aufstrebender New Yorker Stand-up-Comedian namens Jerry seinem ersten Zusammentreffen mit dem Vater seiner Freundin entgegen. Um vor dem Mann, einem einst gefeierten US-amerikanischen Autor, möglichst gut dazustehen, wird er seine schicke neue Jacke tragen. Das gute Stück aus feinem Wildleder hat leider den Nachteil, dass es unter keinen Umständen mit Feuchtigkeit in Berührung kommen darf. Doch sei’s drum – der außergewöhnliche Anlass ist die modische Mühe wert, einen solchen Autor trifft man schließlich nicht alle Tage. Der Schriftsteller stellt sich als bärbeißiger Greis mit grässlichem Husten heraus, vor dessen groben Kriegsanekdoten selbst die Kellner zittern. Charakteristischerweise besteht sein erster Wortbeitrag in einer Einladung zum Trinken. Scheu bestellt Jerry ein keusches Cranberrysäftchen. Als sich der junge Komiker ziert, in seiner neuen Jacke durch den New Yorker Schneeregen zu laufen, ist die zwischenmenschliche Katastrophe besiegelt: Für den Scotch saufenden Hau­degen kann der abstinente Mode-Geck Jerry nur ein unwürdiger Waschlappen sein.
Mit einer als Masochismus getarnten Gehässigkeit hat der Co-Autor der US-amerikanischen Comedy-Serie »Seinfeld«, Larry David, in der Episode »The Jacket« ein offenbar traumatisches Zusammentreffen mit dem Schriftsteller Richard Yates nachgezeichnet. David hatte den Autor von »Zeiten des Aufruhrs« kennengelernt, als er Mitte der achtziger Jahre mit dessen Tochter Monica liiert war. Die Darstellung mag überpointiert wirken, doch sie arbeitet sowohl einen Generationenbruch als auch die Tragik des alten Schriftstellers deutlich heraus. In der Tat war der 1926 in Yonkers geborene Yates in den achtziger Jahren nur noch ein Schatten seiner selbst – ein alkoholkranker Frühvergreister, der in ständig wechselnden Wohnungen voller Dreck und Kakerlaken hauste, ein zweifach Geschiedener mit psychischen Problemen, den allein eine Sauerstoffflasche und die Vollendung seiner kaum noch beachteten Bücher am Leben erhielten. Wenn der junge Comedian dem abgehalfterten Autor begegnet, trifft die Spaßgeneration Frozen Yogurt auf die Generation der Kriegsveteranen, denen das Lachen schon früh vergangen ist. Kein Wunder mithin, dass in »The Jacket« alle harmlosen Witzeleien der Jugend an der Desillusioniertheit des Alters abprallen müssen. Was David unterschlägt, ist allein die Tatsache, dass er mit Yates einen der besten US-amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts porträtiert hat.
Der Literaturkritiker Rainer Moritz hat mit »Der fatale Glaube an das Glück« nun die erste Biographie über Yates in deutscher Sprache vorgelegt. Seine Darstellung ist eine Hommage an den Autor, die mit viel Überzeugungskraft die These entfaltet, dass »auch schwächere Yates-Bücher besser (…) als die meisten Nicht-Yates-Bücher« sind. Wer sich mit dem 1992 verstorbenen Autor beschäftigt, wird nicht umhin kommen, sich mit dessen Misserfolgen zu Lebzeiten sowie der Tatsache auseinanderzusetzen, dass erst 1999 mit einem Essay von Stewart O’Nan eine angemessene Würdigung eingesetzt hat. Moritz gelingt dies schlüssig, indem er, ähnlich wie David, einen schroffen Bruch zwischen den Generationen diagnostiziert. Seine Argumente stützen sich freilich nicht auf so triviale Lifestyle-Produkte wie Cranberry-Saft und Frozen Yogurt. Vielmehr beschreibt Moritz den ästhetischen Wandel in den sechziger Jahren, der Yates schon bald Schwierigkeiten macht. Im Vergleich zu postmodernen Schreibweisen wirkt sein Stil, der noch dem kühlen Realismus Flauberts und dem psychologischen Scharfsinn Scott Fitzgeralds verpflichtet ist, seltsam antiquiert. In dem Moment, wo der Leser mit Thomas Pynchon die Lust am Diskurs und am intellektuellen Spiel entdeckt, wirkt Yates’ illusionslose Zuspitzung menschlicher Katastrophen plötzlich altmodisch.
In »Easter Parade«, einem seiner Meisterwerke, wird diese biographische Erfahrung thematisiert. Ganz unsentimental wird von einem Autor namens Jack Flanders erzählt, der sein neues Buch vollenden will und Studierende in der Kunst des kreativen Schreibens unterrichten soll. Was zunächst wie ein idealer Job für einen Schriftsteller erscheint, stellt sich schon bald als emotionale Höllenqual heraus. Das eigene Werk stagniert und die Studierenden laufen mit fliegenden Fahnen zu jüngeren Kollegen über, die sich brüsten, experimentell und gewagt zu ­schreiben. Zwar ist Flanders in »Easter Parade« lediglich eine Nebenfigur. Dass Yates damit seine bitteren Erfahrungen als belächelter Lehrer in akademischen Schreibkursen reflektiert hat, ist aber offensichtlich.
Über die eingangs erwähnte Seinfeld-Episode »The Jacket« konnte Yates übrigens nicht lachen. Der alte Mann sei vielmehr, so sein Biograph, wutschnaubend mit der Drohung aus dem Zimmer gerannt, diesen »Hurensohn« David umbringen zu wollen. Verwundern kann diese Reaktion nicht, schließlich wurde Yates in der Comedy als versoffenes Fossil verhöhnt, das junge Menschen mit staubigen Geschichten belästigt. Yates’ Verhältnis zu Film und Fernsehen war nie ein glückliches, zumal die Drehbücher, die er für Hollywood schrieb, entweder in den Schubladen verstaubten oder bei der Bearbeitung bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurden. Erst Sam Mendes’ Verfilmung von »Zeiten des Aufruhrs« mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio kann als gelungen gelten.
Besonders erschütternd ist das verkorkste Verhältnis zu Hollywood insofern, als die Magie Yates’ auf einer glasklaren Erzähltechnik beruht, die zwischen Film und Flaubert oszilliert und größte Objektivität bei größter emotionaler Anteilnahme erlaubt. In seinem Roman »Eine gute Schule« kommt diese Technik zum Einsatz, wenn Grove, ein begabter ärmlicher Schüler, plötzlich erkennt, dass er beim Schreiben eine »seltsame neue Fähigkeit« entwickelt hat, »nämlich sich ganz zu sehen, von außen, wie durch eine Filmkamera in zehn Metern Entfernung«. Es ist diese bestechende Mischung aus Distanz und Präzision, die es Yates ermöglicht, von all dem Scheitern und dem Schmutz in seinem Leben Abstand zu nehmen und es in Kunst zu verwandeln. Die Deutsche Verlagsanstalt hat den fabelhaften Internatsroman von 1978 nun zum ersten Mal auf Deutsch vorgelegt. Dass wir ihn überhaupt in Händen halten dürfen, ist einer glücklichen Fügung zu verdanken. 1976 musste das damals noch unvollständige Manuskript als verkohlter Klumpen aus Yates’ Wohnung geborgen und wieder rekonstruiert werden. Der Autor hatte mit einer Zigarette sein Zuhause in Brand gesteckt.

Richard Yates: Eine gute Schule. DVA, Frankfurt/Main 2012, 231 Seiten, 19,99 Euro
Rainer Moritz: Der fatale Glaube an das Glück. DVA, Frankfurt/Main 2012, 208 Seiten, 19,99 Euro