Max Goldts Sammelband »Die Chefin verzichtet«

Ja – uneingeschränkt!

Mit »Die Chefin verzichtet« liegt ein weiterer Sammelband mit Texten von Max Goldt vor. Natürlich ist er ziemlich gut.

Die immense Produktivität Max Goldts wirft die Frage auf, wie viele Stunden sein Arbeitstag haben mag. Wer eine Lesung Max Goldts besucht, weiß zumindest, dass dieser sehr gut in der Lage ist, gleichzeitig seiner Arbeit nachzugehen und Pfefferminzdrops zu lutschen. Dass ein Max Goldt im Geiste nie zu schlafen scheint, verraten auch seine Texte. Seiner Prosa scheint kein Gegenstand abwegig, jede Beobachtung der Reflexion und beziehungsreicher Fruchtbarmachung wert zu sein.
So vielschichtig wie Max Goldts Literatur ist auch seine künsterische Vita. Vergegenwärtigt man sich die Stationen der Laufbahn Max Goldts, der spätestens seit der Verleihung des Kleist-Preises 2008 der breiten Öffentlichkeit als Schriftsteller bekannt ist, so erkennt man ein interessantes Exempel der Entwicklung von Avantgarde und Pop.
Mit »Die Chefin verzichtet« legt Max Goldt sein 23. Autorenbuch vor. Hörbücher in ähnlicher Veröffentlichungszahl und Comicbände mit Stephan Katz nicht mitgezählt.
Dem Goldtschen Œuvre lässt sich entnehmen, dass es eine Verbindung von kritischer Kunst mit popkulturellen Sujets und Äußerungsformen durchaus geben kann. Doch ­provoziert sie Missverständnisse und eine Tendenz zur Trivialisierung. Anlässlich der Kleist-Preisverleihung karikierte Max Goldt den in der Urteilsbegründung formulierten Irrtum, er sei als Künstler zuvorderst Alltagsbeobachter. Gerade im Hinblick auf den unrühmlichen Modebegriff »Alltag« leistet Goldt wertvolle Dekonstruktionsarbeit. Die Denkfaulheit, die sich hinter der Normativität der Massenkultur versteckt, ist sein ehrenwertes Angriffsziel. Ganz der Aufklärung verpflichtet, führt er das für Realität Gehaltene als Resultat sprachlicher Konstruktionen vor. Die Lektüre Max Goldts macht bewusst, wie viel gerade mit beiläufigen Worten getan wird, häufig im Unguten.
Seiner schriftstellerischen Tradition bleibt Max Goldt auch in seinem neuen Werk treu: Die Prosasammlung »Die Chefin verzichtet« liest sich als eine genüsslich auf den Flüssen des Assoziativen kreuzende Sammlung gedankenvoller Stücke zu gesellschaftlichen und privaten Umgangsformen – insbesondere im Umgang mit Sprache und Denken. Die Grenzen der Textgattungen werden munter erweitert und überschritten: Anekdotisches mischt sich mit Reflexionen, Kurzgeschichten und Gedankensplittern, es entstehen frei flottierende Textcollagen, die das Bild einer gelungenen, humorvollen und freigeistigen Konversation ergeben.
In der Wahl der Gegenstände ist Max Goldt recht freimütig, doch gibt sich vordergründig Triviales unter dem wachen Blick und dem sicheren Geschmack des Autors als Artefakt kulturellen Denkens zu erkennen. Dass nichts banal ist, ist eine Grunderkenntnis Goldtscher Lektüre. In den Blick nimmt der Universalist des ästhetischen Urteils Redensarten, Konversationsmuster und Konsumgewohnheiten ebenso wie vermeintliche kulturelle Highlights und das Rauschen der Massenmedien. Dieses heterogene Material verwebt er kunstvoll zu assoziativen Erzählstücken, die die Entwicklung, den Kampf um das ästhetische Urteil, welches vom moralischen kaum zu trennen ist, nachzeichnen. Nicht selten sprung- oder übersprunghaft, stets bezogen auf die den Goldtschen Schaffenskosmos durchziehende Annahme: Die menschliche Welt ist eine der Wahl und Entscheidung, nichts ist als gegeben hinzunehmen, die Pflicht zum eigenständigen Denken unabweisbar.
Die Lektüre bezieht ihre unhintergehbare Verbindlichkeit aus der gedanklichen Methode der Hinwendung, dem kategorischen Imperativ der Goldtschen Literatur: Der Leser ist zu teilnehmender Lektüre eingeladen. Seine Denkbilder zu erwägen und seinen gedanklichen Sprüngen zu folgen, bewirkt ein selten deutliches Gefühl der Mündigkeit. Dies kennzeichnet emanzipatives Schreiben, Goldt produziert moralische Literatur im besten Sinn. Wenn es der Gegenstand geboten erscheinen lässt, wird auch ein deutliches Wort nicht gescheut. In dem Text »Weltanschauung in der Seilbahn«, der den Zusammenhang euphemistischen Missbrauchs bürgerlicher Wertbegriffe und rücksichtsloser Selbstermächtigung auf gesellschaftlichem Terrain thematisiert, heißt es etwa messerscharf: »Dass Inspiration heute nichts als ein vulgäres Glamour-Synonym für einen manchmal bloß vom Computer generierten Shopping-Vorschlag geworden ist, verdanken wir unserem heikelsten Kulturvorbild, den US-Amerikanern.« Dies ist keine unselige Selbstinszenierung als Kämpfer gegen behauptete Denktabus, der verpflichtende Diskurs ist aufklärerisch. Im Dienste der kritischen Sache werden die versteckten Sprachregeln massenmedial vergröberter Kommunikation offengelegt und gekonnt persifliert. Was Goldt über die Berliner Buddy-Bären schreibt, könnte auch auf eine mediale Praxis gemünzt sein, die auf immergleiche Weise die nächste Sensation, den nächsten Skandal beschwört, »denn sie verbreiten ein Bild der Armseligkeit, Phantasielosigkeit und Monotonie«.
Gegen Ende des Buches »Die Chefin verzichtet« bringt Max Goldt sein künstlerisches Credo auf den Punkt: »Mangelnde Sprachlogik ist keine stilistische und ästhetische Frage, sondern eine Folge schlechten und schlampigen Denkens, die den Kommunikationswert von Sprache vermindert.« An einer Verbesserung des Denkens arbeitet Max Goldt mit seiner Sprache.
Wenden wir uns der Frage zu, ob einem Autor, der es vom avantgardistischen Künstler zum Kleist-Preisträger gebracht hat, dem das Publikum huldigt und der sich in den zurückliegenden Jahren seines Schreiben kaum neu erfunden hat, zu trauen ist: Ja – uneingeschränkt!

Max Goldt: Die Chefin verzichtet. Rowohlt, Hamburg 2012, 160 Seiten, 17,95 Euro