Psiram im Gespräch über Verschwörungstheorien im Netz

»Geschwafel über Feinstofflichkeit«

Scharlatane, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker – die Mitarbeiter von Psiram kennen sie alle. Ein Gespräch mit den Machern des bis vor kurzem noch unter dem Namen Esowatch betriebenen Aufklärungs-Wikis über die Namensänderung, die beliebtesten Verschwörungstheorien und die Verbreitung irrationaler Ideen.

Aus Esowatch wurde plötzlich Psiram. Wie kam es dazu?
Die Umbenennung war schon länger angedacht. Wir waren öfter mit der Frage konfrontiert, warum wir uns mit diesem oder jenem beschäftigten, das ja gar keine Esoterik sei. Die Namensfindung fiel uns nicht leicht, wir haben tagelang Ideen gewälzt. Sehr schnell wurde uns klar, dass der Name ein Kunstwort ohne eigene Bedeutung sein muss, da eine Bedeutung nie wirklich treffend sein würde. Als dann das Wort Psiram fiel, waren wir uns recht schnell einig.
Haben Sie einen Tipp, wie man sich den neuen Namen leichter merken kann?
Psiram merkt man sich am besten, indem man die Adresse bookmarkt und jeden Tag aufruft.
Schon Esowatch war Anfeindungen von Rechten und Esoterikern ausgesetzt, nun kursieren Spekulationen über Hintermänner genauso über Psiram. Wie gehen Sie mit diesen Angriffen um?
Gegen Gerüchte können wir nichts machen. Im Wesentlichen ignorieren wir die Anfeindungen und versuchen, uns auf unsere Inhalte zu konzentrieren. Für inhaltliche Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Artikelkritik sind wir hingegen immer offen. Wir haben in unserem Forum dafür sogar spezielle Bereiche eingerichtet.
Wer sich bei Psiram schlau macht, merkt schnell, dass Esoterik häufig mit rechtsextremem Gedankengut einhergeht. Warum sind Esoterikanhänger so empfänglich für rassistische, antisemitische und verschwörungstheoretische Ideologien?
Zum einen, weil mit dem Zugang zur Esoterik die kritische Distanz als Kontrollinstanz für das eigene Urteilen lahmgelegt wird. Wer ohne kritische Prüfung glaubt, folgt dem Glauben überall hin, auch in Abgründe. Zum anderen haben rassistische, antisemitische und verschwörungstheore­tische Positionen eine Eigenschaft, die sie mit der Esoterik teilen: Sie sind, verglichen mit dem rational und naturwissenschaftlich geprägten Weltbild, reduktionistisch.
Vom Standpunkt der wissenschaftlichen Vernunft betrachtet, ist die Welt prinzipiell, möglicherweise auch nur in bestimmten Graden, verstehbar. Der Preis dafür ist allerdings die Einsicht, dass sie sehr komplizierten Gesetzmäßigkeiten folgt, von denen viele Menschen entweder intellektuell überfordert oder emotional angewidert sind. Noch das absurdeste Geschwafel über Feinstofflichkeit und irgendwelche Schwingungen ist einfacher zu verstehen als das Higgs-Boson, und die Ästhetik einer Märchenwelt ist einfacher zugänglich als die Biochemie einer Autoimmunreaktion. Esoterik bietet einfache, aber eben völlig haltlose Verständnismodelle für die Welt.
Die gleiche Vereinfachungsmasche findet man bei den genannten Ideologien. Infiziert man esoterische Weltmodelle damit, erhält man sehr schnell eine beträchtliche Schnittmenge in der Anhängerschaft. Diese Infektion geschieht umso leichter, da Esoterik und solche Ideologien aus mythologischen Quellen schöpfen – manchmal sogar aus denselben.
Auch wenn Esoterik mehrheitlich mit rechtem Gedankengut Hand in Hand geht, ist irrationales Verhalten kein Alleinstellungsmerkmal der Braunen. Auch in der Linken gibt es sektiererische Gruppen. Und Marxismus-Leninismus ist nach unserem Dafürhalten ebenfalls eine Pseudowissenschaft.
Wissenschaft und Rationalität versus Esoterik und Verschwörungstheorien – so einfach ist es in der Praxis nicht immer. In der Verschwörungsszene tummeln sich durchaus auch Naturwissenschaftler. Was zieht Wissenschaftler zum Beispiel in 9/11-Gruppen?
Eine wissenschaftliche Ausbildung schützt nicht davor, Verschwörungstheorien anzuhängen. Zum einen kann man sich durch ein wissenschaftliches Studium schummeln, ohne je das Prinzip verstanden zu haben, zum anderen schützt Genie auch nicht vor Wahnsinn. Verschwörungstheorien fußen auf psychischen Mechanismen, denen oft gerade intelligente Menschen zum Opfer fallen. Gerade wer sich für intelligent hält, ist anfällig dafür, dem Heureka-Effekt zu erliegen und zu meinen, plötzlich alles durchschaut zu haben.
Des Weiteren ist längst nicht jeder, der sich in der Verschwörungsszene als Wissenschaftler verkauft, auch wirklich einer. Viele haben ein sehr eigenes Verständnis von Wissenschaft und betreiben in Wirklichkeit Pseudowissenschaft. Es gibt genug Nobelpreisträger, die jenseits ihres Fachgebietes völligen Unsinn verzapfen. Deshalb zählen in der Wissenschaft nicht Personen, Autoritäten und deren Meinungen, sondern Daten, Fakten und Nachweise.
Welche Verschwörungstheorien sind denn derzeit besonders beliebt? Kann man davon ausgehen, dass wegen der Wirtschaftslage derzeit beispielsweise die meist antisemitisch gefärbte Zinskritik populär ist, oder machen sich aktuelle Geschehnisse erst langfristig bemerkbar?
Zinskritik, Goldwährung und Ähnliches sind natürlich heiße Themen. Die gefühlt beliebteste Verschwörungstheorie ist allerdings zurzeit die um sogenannte Chemtrails. Jedenfalls schlagen da dauernd Leute im Forum auf.
Wie arbeiten Sie konkret, wie viel Zeit nehmen Sie sich beispielsweise für einen neuen Eintrag zu einem Thema?
Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Manche Texte schreiben sich recht leicht und flüssig, andere müssen Zentimeter für Zentimeter recherchiert werden. Ein Kochrezept gibt es dafür nicht. Im Wesentlichen schreibt jemand von uns einen Artikel; wenn die Person soweit fertig und zufrieden ist, setzen sich die anderen ran und machen den Artikel rund. Da es eine freiwillige Geschichte ist, nimmt sich jeder so viel Zeit, wie er möchte. Die Beschäftigung mit den unappetitlichen Themen und Typen der Branche hält man auch nicht permanent durch. Dazu kommt ein ständiger Strom an notwendigen Erweiterungen, Aktualisierungen und sonstigen Verbesserungen der Artikel.
Wie hat man sich einen typischen Psiram-Mitarbeiter vorzustellen?
Wir sind ganz normale Leute aus diversen Bereichen, Atheisten und Gläubige, Studierte und Nichtstudierte, und kommen aus mehreren Ländern, nicht nur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wir arbeiten in verschiedensten Branchen, im Krankenhaus, in Schulen, Büros und am Bau. Idealismus und Skeptizismus sind vermutlich die einzigen Gemeinsamkeiten. Wie unterschiedlich die Ansichten sein können, merken wir immer wieder im Forum, wo bei einigen Themen heftig diskutiert wird. Mitmachen ist nicht schwierig.
Und wie kann man mitmachen?
Man schreibt uns und sagt: »Hey, da bin ich, darüber will ich schreiben oder das habe ich schon geschrieben.« Und dann findet sich der Rest.