Abschaffen!

Einfach mal dichtmachen!

Von jan korte

Der Verfassungsschutz ist nicht reformierbar und darf erst recht nicht zentralisiert und zu einem Supergeheimdienst umgewandelt werden.

Erfreulicherweise ist der Inlandsgeheimdienst, der verharmlosend Verfassungsschutz (VS) genannt wird, in einer Legitimationskrise wie noch nie. Dass diese Behörde schon immer auf der falschen Seite stand, wissen Linke jedweder Couleur, und das belegt auch die Geschichte: Kommunistenjagd, Berufsverbote, »Celler Loch«, Aktionen gegen die Volkszählungsboykottbewegung, gegen die Anti-G8-Proteste bis zur Beobachtung der Linkspartei und eines Teils ihrer Bundestagsabgeordneten. Für den VS und seine Dienstherren stand und steht der Feind vor allem links. Also alles nichts Neues.
Erfreulicherweise diskutiert zurzeit die Linksfraktion gerade mal nicht über Personalfragen, sondern über eine inhaltliche, drängende Frage: Wie kann der Verfassungsschutz ab- oder um­gebaut werden? Mein Fraktionskollege Wolfgang Nešković hat nun ein Papier vorgelegt, in dem er Reformen vorschlägt. Dort finden sich durchaus einige überlegenswerte Forderungen: etwa die Abschaltung der V-Leute oder die eigentliche Selbstverständlichkeit, dass der VS auf allen Ebenen gründlich evaluiert werden muss. Auch die Forderung nach Neuordnung und Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle klingt erstmal richtig. Reicht aber nicht und löst ein grundsätzliches Problem nicht. Allein durch mehr Personal kann die Kontrolle des VS nicht wirkungsvoller werden. Zudem bleibt ein Kernproblem: Der VS ist ein Fremdkörper in der Demokratie und als Geheimdienst grundsätzlich zur Verdunkelung, Desinformation und zur Geheimhaltung vor jedem und jeder gezwungen.

Auch die Forderung meines Kollegen nach einer »Auflösung und Umwandlung der Landesämter zu Außenstellen des Bundesamtes« kann ich nicht unterstützen: Gerade wegen der geschichtlichen Erfahrungen darf es eben keinen zentralen Supergeheimdienst geben. Ob und in welcher Ausgestaltung das Grundgesetz einen Verfassungsschutz vorschreibt, ist umstritten. Mit Sicherheit nicht grundgesetzlich vorgeschrieben ist aber, dass ein Verfassungsschutz geheimdienstliche Kompetenzen braucht. Diese Einschätzung wird etwa vom Bürgerrechtler Rolf Gössner geteilt, der meint, dass dem VS »die geheimdienstlichen Mittel entzogen (werden sollten) – voll im Einklang mit dem Grundgesetz, wonach der VS kein Geheimdienst sein muss«.
Leider geht Wolfgang Nešković nicht auf die ideologischen Grundlagen der Arbeit des VS ein: Gegründet unter anderem von alten, antikommunistisch erprobten Nazis ist er auf einen Extremismusbegriff verpflichtet, der per se antidemokratisch ist, da »Verfassungsfeindschaft (…) mit anstößigen Gesinnungen und Meinungen begründet« wird (Claus Leggewie/Horst Meier). Die geheimdienstliche Überwachung und damit Einschüchterung und Diskreditierung von Linken, Querdenkern, Störenfrieden und anderen sympathischen Menschen – kurzum: Demokraten – ist ein nicht tolerierbarer Eingriff in die allgemeinen demokratischen und notwendigen Bürgerrechte. Allein diese Frage ist mit einer Strukturreform, sei sie auch noch so grundlegend, nicht vereinbar. Ein Dienst, der auf Freund-Feind-Denken beruht und über geheimdienstliche Befugnisse verfügt, die er weit, weit im Vorfeld von echter oder (meistens) herbeihalluzinierter Gefahr anwendet, ist grundsätzlich demokratisch irreparabel.

Natürlich müssen wir uns auch dem intellektuellen Zustand des VS zuwenden. Im aktuellen VS-Bericht wird die Beobachtung der Linkspartei unter anderem so begründet: »Das Programm enthält nunmehr eine ausdrückliche Bezugnahme auf das ›Manifest der Kommunistischen Partei‹ (1848).« Potzblitz! Hier sind wahre Politik- und Literaturkenner am Werk. Und noch besser: »Die Linke« beziehe sich auf »die sozialistischen Theoretiker Karl Marx und Friedrich Engels«. Wie soll ich mit Leuten, die sowas aufschreiben, eine grundlegende Reform hinbekommen?
Fazit: Es ist gut, dass die Linksfraktion eine inhaltliche, substantielle Debatte zu diesem Thema führt. In ihrem mit großer Mehrheit verabschiedeten Erfurter Grundsatzprogramm heißt es: »Wir wollen die Geheimdienste abschaffen.« Angesichts der Geschichte dieser Behörde und der gegenwärtigen Skandale ist diese Forderung voll auf der Höhe und damit für einige ihrer Zeit weit voraus. Wir müssen systematisch als erstes dem VS die geheimdienstlichen Mittel entziehen und alle V-Leute abschalten. Längerfristig wollen wir statt einer geheimdienstlich arbeitenden Behörde eine Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie. Bis dahin ist jede Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten zu begrüßen. Wie allerdings elf Abgeordnete mit jeweils bis zu fünf Mitarbeitern eine Megabehörde von 10 000 Geheimdienstlern kontrollieren sollen, ist nicht vorstellbar.
Am Ende des Tages bleibt aber: Dieser Verfassungsschutz ist nicht reformierbar. In diesem Fall hat die Partei einfach mal Recht.

Der Autor ist Abgeordneter des Deutschen Bundestags für die Linkspartei und Mitglied des Innenausschusses.