Nach den Wahlen kommt das Sparen

Lahme Enten im Anflug

Nach wie vor blockieren sich Republikaner und Demokraten in den Haushalts- und Steuerfragen gegenseitig. Doch vermutlich wird es bald nach den Wahlen zu drastischen Einschnitten kommen.

Ganz gleich, wer sich bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen durchsetzt, es stehen wichtige Entscheidungen zur Haushalts- und Steuerpolitik bevor, und zwar nach der Wahl, aber noch während der bis Anfang Januar 2013 laufenden Legislaturperiode. Der Zwang, während dieser sogenannten lame duck session des Kongresses – und möglicherweise unter einem bereits abwählten Präsidenten Barack Obama – zu handeln, ist das Ergebnis zweier fauler Kompromisse beider Parteien in den vergangenen Jahren.
So entschieden Ende 2010 Obama und der zuvor abgewählte demokratisch dominierte Kongress – mit der Zustimmung der republikanischen Sperrminorität im Senat –, die 2001 und 2003 von den Republikanern und dem damaligen Präsidenten George W. Bush durchgesetzten, jedoch bis Ablauf des Steuerjahrs 2010 befristeten Steuersenkungen um zwei Jahre zu verlängern. Im Gegenzug wurde auf Antrag der Demokraten ein Gesetzespaket beschlossen, zu dem die Beibehaltung des auf 99 Wochen verlängerten Zeitraums, in dem Arbeitslosengeld gezahlt wird, kleinere ökonomische Stimulierungsmaßnahmen sowie die Aufhebung des Berufsverbots für offen lebende Homosexuelle im Militär gehörten.

Sofern die US-Regierung nicht in den kommenden Wochen handelt, werden nun Ende dieses Jahres die alle Einkommensgruppen betreffenden Steuer­erleichterungen auslaufen und die vor 2001 geltenden Steuersätze wieder in Kraft treten. Das würde zwar bis zu 2,8 Billionen Dollar Mehreinnahmen für den Staat über die kommenden zehn Jahre bedeuten, kurzfristig würde jedoch die Mehrbelastung der Armen und der Mittelschicht die Nachfrage mindern. Das könnte die Wirtschaft wieder in die Rezession treiben.
Deshalb befürworten die Demokraten im Kongress und Präsident Barack Obama die Entfristung der Bush-Steuersätze, allerdings nicht des um knapp vier Prozentpunkte gesenkten Höchstsatzes für jene, die mehr als 250 000 Dollar im Jahr verdienen. Dieser würde so nach dem Plan der Demokraten erneut 39,6 Prozent betragen. Auch die Kapitalertragssteuer soll von 15 auf 20 Prozent steigen. Immerhin würde dies über zehn Jahre etwa 700 Milliarden Dollar Mehreinnahmen bringen. Die Republikaner dagegen fordern die unbefristete Verlängerung aller Senkungen ohne Ausnahme.

Außerdem entschieden das republikanisch kontrollierte Repräsentantenhaus, der demokratisch geführte Senat und Obama im August 2011, dass der föderale Haushalt ab 2013 um 1,2 Billionen Dollar über zehn Jahre gekürzt wird, sofern in der Zwischenzeit kein great compromise zustande käme, der die wachsende Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben langfristig schließt. Damals wurde über die Erhöhung der Schuldenobergrenze gestritten: Die Republikaner drohten, dies abzulehnen und so die formale Zahlungsunfähigkeit der föderalen Regierung herbeizuführen, sofern nicht erhebliche Haushaltskürzungen beschlossen würden. Wenige Tage vor dem Eintreten der Zahlungsunfähigkeit standen die Verhandlungen zwischen Obama und dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, vor dem Durchbruch. Auf dem Tisch lag ein Sanierungsplan, der Ausgabenkürzungen im Verhältnis von vier Dollar zu einem Dollar Einnahmensteigerung vorsah. In letzter Minute ließ Boehner den Deal platzen, weil er dafür keine Mehrheit in der eigenen Fraktion fand. Denn auch 2011 ging es den Republikanern darum, die niedrigen Steuersätze der Topverdiener zu erhalten. Die geplanten Mehreinnahmen wären durch die Beendigung der Bush-Steuererleichterungen für den Höchstsatz erzielt worden.
Stattdessen beschloss der Kongress die Erhöhung der Schuldenobergrenze bis 2013 und – beim Ausbleiben eines großen Kompromisses – eine brachiale Kürzung des Haushalts vor allem bei den Militär- und Sozialetats. Schon früh scheiterten die Gespräche zwischen den Parteien über diesen Kompromiss. Nun steht sowohl die Implementierung der Kürzungen als auch das Ende aller Steuersenkungen bevor.
Die politischen Parteien in Washington haben sich damit in eine Zwangslage manövriert, die für das Zweiparteiensystem nicht ungewöhnlich ist. Wegen der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse in den Kongresskammern und insbesondere wegen der Sperrminorität im Senat enthält seit Jahrzehnten so gut wie jede Entscheidung auf der föderalen Ebene Elemente der Übereinkunft zwischen beiden Parteien. In den vergangenen Jahren hat dies oftmals zum Stillstand geführt: Keine der Parteien konnte ihre Pläne durchsetzen, und keine war bereit, die Pläne der anderen Partei passieren zu lassen. In dieser Pattsituation haben sich beide Parteien nur darauf einigen können, die Auseinandersetzung mit den großen Problemen zu vertagen und bis dahin den Status quo beizubehalten – zu Lasten des Haushalts.

Es kann durchaus sein, dass die beiden Kammern des Kongresses sich erneut eine Fristverlängerung gewähren und die sonst zwingend eintretenden Steuererhöhungen und Etatkürzungen bis 2013 oder gar bis nach den Zwischenwahlen 2014 aussetzen. So wären die schweren Entscheidungen in der neuen Legislaturperiode entweder von einem wiedergewählten Obama oder einem neu gewählten Präsidenten Mitt Romney zu treffen. Dafür müssten allerdings Obama und beide Parteien im Kongress der Vertagung zustimmen – und die möglichen Konsequenzen im Kauf nehmen, die nicht allein beim weiter wachsenden Haushaltsdefizit, sondern auch in der US- und indirekt der Weltwirtschaft zu spüren wären. Beispielsweise drohen für den Fall eines weiteren Aufschubs die Rating-Agenturen mehr oder minder offen mit der Herabstufung der Bonität.
Andererseits könnte kurzfristig doch noch ein Kompromiss gefunden werden: Es ist nicht selten, dass die Parteien die lame duck session direkt nach den Novemberwahlen nutzen, um gemeinsam bei ihrer jeweiligen Klientel unliebsame Entscheidungen zu treffen. Seit Monaten laufen im Hintergrund informelle Verhandlungen zwischen den Parteien. Auf Basis des seit Jahren kursierenden, bilateral erarbeiteten Defizitreduktionsplans »Simpson-Bowles« würden demnach die Republikaner der Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Kürzung des Militäretats zustimmen. Im Gegenzug würden die Demokraten Ausgaben im Bereich des Sozialetats, hauptsächlich der Sozialhilfe und Gesundheitsvorsorge Medicaid, opfern. Darüber hinaus sieht der Plan die Erhöhung des Eintrittsalters für die staatliche Rentenversicherung und für die Gesundheitsvorsorge für Senioren vor.

Allen Hinweisen nach scheinen jedoch maßgebliche Kräfte innerhalb beider Parteien nach wie vor prinzipiell gegen einen solchen Kompromiss zu sein. Während die Establishment-Republikaner sich zunehmend bereit zeigen, ein paar Prozentpunkte Steuererhöhung für die Reichen zu akzeptieren, stellt sich die zahlenmäßig kleinere Tea-Party-Fraktion mit ihrer Mischung aus Ideo­logie und Verblendung dagegen. Wie der demokratische Senator Charles Schumer im September durchblicken ließ, spricht sich wohl eine größere Anzahl der gemäßigten Demokraten für einen Deal aus, wohingegen die Mehrheit der Demokraten im Kongress um die Oppositionsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, strikt gegen eine weitere Aushöhlung des Sozialstaats ist.
Wenn Obama nicht wiedergewählt werden sollte, scheint ein derartiger Kompromiss ausgeschlossen zu sein. Es ist eine Sache, eine Wahl zu verlieren. Aber warum sollte Obama auch noch seine Anhänger verraten? Dazu bestünde nach der Wahl ja keine Veranlassung mehr.