Parteitag der KP in China

Männer ohne Eigenschaften

Vorige Woche wurde in Peking der 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas eröffnet. Außer einem Führungswechsel an der Parteispitze ist kein großer Wandel zu erwarten.

Obwohl es in China auf nationaler Ebene keine Wahlen gibt, strebt die Kommunistische Partei (KPCh) an, alle zehn Jahre die Führung auszuwechseln. Damit sollen eine Vergreisung der Führungskader verhindert und Fraktionskämpfe durch eine Neuverteilung von Posten gemildert werden. Die Ära unter Staats- und Parteichef Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao geht ihrem Ende entgegen. Der Parteitag, der alle fünf Jahre stattfindet, soll auch der alten Führung einen ehrenvollen Abgang ermöglichen.
Im Mittelpunkt des siebentätigen Parteitages stand bisher der Rechenschaftsbericht Hus. Hu legt darin die Ziele und Leitlinien für die kommenden Jahre fest. Bis 2020 soll China den Aufbau der »Gesellschaft des bescheidenen Wohlstands« abgeschlossen haben. Das bedeutet, dass das Bruttosozialprodukt und die Pro-Kopf-Einkommen in Stadt und Land verdoppelt werden sollen. Dass auch hinsichtlich der Einkommen der Bürgerinnen und Bürger Planziele vorgegeben werden, ist im Vergleich zum letzten Parteitag ein Novum. Hu machte der chinesischen Bevölkerung auch noch andere Versprechen, wie den gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, ohne allerdings konkret zu werden. Außerdem sprach er von einem neuen Wachstumsmodell, das stärker auf die Entwicklung des inländischen Konsums setzen soll anstatt einseitig auf die Exportwirtschaft. Das ist keinesfalls eine neue Strategie.

Die Kräfte des Marktes sollen mehr Berücksichtigung finden, außerdem sollen Reformen des Finanzsektors eingeleitet werden. Auch hier wurde Hu nicht konkret. Der Übertragung westlicher politischer Systeme auf China erteilte er eine deutliche Absage. Die Parteiführung betrachtet den »Sozialismus chinesischer Prägung« als Erfolgsmodell in der globalen Wirtschaftskrise und sieht sich nicht unter Druck, grundlegende Reformen durchzuführen.
Deutlich sprach Hu das Problem der Korruption an. Wenn es nicht gelöst werde, seien die Macht der Partei und sogar der Erhalt des Staats bedroht. Korrupte Kader müssten ohne Rücksicht auf Rang und Namen betraft werden. Den Namen des gestürzten Parteivorsitzenden von Chongqing, Bo Xilai, nannte Hu allerdings nicht. Bo, der als Vertreter des linkspopulistischen Flügels und des »Chongqing-Modells« gilt, war bereits vor dem Parteitag wegen Korruption und Machtmissbrauchs aus der Partei ausgeschlossen worden und wird nun vor Gericht gestellt. Sein Nachfolger Zhang Dejiang verkündete bei einer Pressekonferenz am Rande des Parteitags, dass es so etwas wie das »Chongqing-Modell« gar nicht gebe. Vor Bos Sturz erschienen unzählige Artikel und Bücher, die das »Chongqing-Modell« (Jungle World 02/2012) wegen der Stärkung des Sozialstaats, des öffentlichen Wohnungsbaus sowie der Rechte der Wanderarbeiter feierten. Anstatt nun Bos Politik in Chong­qing offen anzugreifen oder gar darüber zu debattieren, wird zum Sieg über den linkspopulistischen Flügel Schweigen verordnet. Die Führung bleibt bei der Version, dass Bo nur wegen Korruption und Amtsmissbrauchs gestürzt wurde.
Ein Parteitag der KPCh ist ein minutiös geplantes Ritual der Macht. Wie bei allen Großereignissen in der Volksrepublik ist der Veranstaltungsort für die einfachen Bürger weiträumig abgesperrt. Dissidenten wurden präventiv in Haft genommen. In Peking herrscht »Ordnung«: Schon seit Monaten sind Prostitution, Nachtmärkte und Schwarzhändler für den Devisenumtausch aus dem Stadtbild verschwunden.
Wichtige Personalentscheidungen wurden vorher geheim getroffen. Meinungsverschiedenheiten oder sogar Fraktionskämpfe sollen auf dem Parteitag nicht sichtbar werden. Westliche Journalisten können über die Existenz von Fraktionen nur spekulieren. Einige behelfen sich mit der Methode des Kaffeesatzlesens der »Kremlogie« aus den siebziger Jahren, indem sie beispielsweise die Häufigkeit des Wortes »Reform« im Bericht von Hu mit früheren Reden vergleichen, um die Zu- oder Abnahme des Willens zur Veränderung zu analysieren.
Für ein Ritual ohne wirkliche Diskussionen und Kampfabstimmungen betreibt die Partei keinen geringen Aufwand. 2 270 Delegierte sind in der Großen Halle des Volkes zusammenkommen, die 82 Millionen Parteimitglieder vertreten. Die Delegierten werden von den Regionen entsandt, aber auch von Ministerien, Staatsbetrieben oder Massenorganisationen. Neben Vertretern von 43 ethnischen Minderheiten sind auch 27 private Unternehmer als Delegierte anwesend.
Bei der Auswahl der Delegierten soll es mehr Kandidaten als Plätze geben, um ein reines Abnicken von vorgefertigten Listen zu verhindern. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Delegierte gegen den Willen der Führung ernannt werden. Nach offiziellen Angaben sind 23 Prozent der Delegierten weiblich, was auch dem Anteil unter den Parteimitgliedern entspricht. 1 578 der 2 270 Delegierten sind Führungskader und nur 196 Arbeiter. Trotz der Bemühungen um ein buntes Auftreten trifft sich hier die technokratische Elite Chinas, um über die Zukunft des Landes zu entscheiden. Über 95,5 Prozent der Delegierten haben einen höheren Bildungsabschluss als das Abitur. Einfache Bauern oder junge Wanderarbeiterinnen, die in Regel nur einen Mittelschulabschluss haben, sind also kaum vertreten.

Der Parteitag wählt das neue Zentralkomitee (ZK) mit 365 Mitgliedern sowie die Zentrale Kontrollkommission, deren Aufgabe es ist, Korruption zu bekämpfen und Verstöße gegen die Parteidisziplin zu ahnden. Am letzten Tag des Parteitags wird dann das neue ZK zusammentreten, um den neuen Generalsekretär der Partei, das neue Politbüro sowie dessen ständigen Ausschuss zu wählen, der das eigentliche Machtzentrum des Landes ist. Der Staatspräsident und der Ministerpräsident werden erst im März kommenden Jahres vom Volkskongress gewählt. Die Führungsrolle der KPCh ist in der Verfassung festgeschrieben und die Abstimmung im Volkskongress gilt als reine Formsache. Eine Zustimmung von über 99 Prozent ist nicht ungewöhnlich.
Es wird damit gerechnet, dass Xi Jinping der neue Generalsekretär der Partei wird und Li Keqiang der neue Ministerpräsident. Der 59jährige Xi absolvierte wie viele leitende Funktionäre einen Ingenieursstudiengang an der Eliteuniversität Qinghua. Später forcierte er als Parteisekretär der Provinzen Fujian und Zhejiang die Wirtschaftsreformen. Der wenig charismatische Technokrat ist bisher weder durch eine eigene politische Agenda noch durch besondere persönliche Eigenschaften aufgefallen.
Der 57jährige Li begann seine politische Karriere als Funktionär im Kommunistischen Jugendverband. Von 1998 bis 2004 war er Parteisekretär der relativ armen Provinz Henan, die in dieser Zeit ökonomisch stark aufholte. Ihm wurde aber vorgeworfen, auf die ländliche Aids-Epidemie infolge von Infektionen durch Blutspenden nicht angemessen reagiert zu haben. Xi und Li stiegen beide bereits vor dem Parteitag in den Ständigen Austausch des Politbüros auf und waren damit an den wichtigsten Entscheidungen beteiligt. In der Regel muss eine neue Führung den Programmen der Vorgänger erst einmal Respekt zollen, bis sie dann nach ein bis zwei Jahren eigene Akzente setzen darf. Unklar ist auch noch, wann Hu Jintao den Vorsitz über die Militärkommission des ZK der KPCh und damit den Oberbefehl über die Volksbefreiungsarmee an Xi abgeben wird.

Der Parteitag zieht auch eine Bilanz der Ära unter Hu (2002–2012). Als Errungenschaften werden der Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Wirtschaftsnation der Welt, die Abschaffung der drückenden Agrarsteuern für die Bauern, die Durchsetzung des kostenlosen neunjährigen Pflichtschulbesuchs sowie der Aufbau von Kranken- und Rentenversicherungen genannt. Wirtschaftsliberale Kritiker bemängeln, dass Hu im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jiang Zemin (1989–2002) keine »Strukturreformen« durchgeführt habe. Unter Jiang wurden Teile der Staatsindus­trie sowie das Gesundheitswesen privatisiert und der Schutz des privaten Eigentums in die Verfassung aufgenommen. Unter Hu wurden die Staats­industrie und auch der Parteiapparat hingegen wieder gestärkt.
Letztlich kann die Hu-Ära aber nicht als soziales Gegenmodell zur »neoliberalen« Jiang-Ära gelten. Die sozialen Unterschiede sind in China weiter gewachsen. Die strukturelle Benachteiligung der Landbevölkerung durch das Haushaltsregistersystem Hukou wurde nicht beseitigt. Dass sich zumindest die Löhne der Arbeiterinnen und Arbeiter in den vergangenen Jahren stark erhöht haben, ist eher ihrer Streikfreudigkeit zu verdanken als staatlichen Maßnahmen. Allerdings sind auch die Lebenshaltungskosten in den Städten enorm gestiegen.
Die schamlose Bereicherung und der Machtmissbrauch von Parteikadern und Angestellten des öffentlichen Diensts sind weitere Gründe für die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft. Alle Jahre wieder führte die Partei auch unter Hu Antikorruptionskampagnen durch. Selbst Kader auf Ministerebene wurden bestraft. Bisher konnte die Ausbreitung von Korruption und Unterschlagung nicht gestoppt werden, weil sie auf allen Ebenen der Gesellschaft stattfindet und sich klientelistische Netzwerke kollektiv bereichern. Im Bildungssektor fängt die Korruption häufig schon bei der Kindergärtnerin an und endet bei den Professorinnen und Professoren der Universitäten. Wer selbst keine Bestechungsgelder annimmt, kann das System nicht mehr »füttern«. Korruption schadet zwar dem Ansehen der Partei in der Bevölkerung, hat aber durchaus auch eine systemstabilisierende Funktion.
Bisher gibt es jedenfalls wenig Grund zur Annahme, dass die neue Parteiführung grundlegende Veränderungen durchführen wird. Die KPCh beweist mit dem Führungswechsel, dass ihre Herrschaft nicht an Personen gebunden ist und die herrschende technokratische Elite in der Lage ist, im Interesse des Systemerhalts zu handeln.