Eine Ausstellung über Gehörlosenkultur

Uns gehört die Welt

Eine Ausstellung in Berlin widmet sich der Gehörlosenkultur.

Die Ausstellung »Gebärde Zeichen Kunst – Gehörlose Kultur/Hörende Kultur« im Künstlerhaus Bethanien in Berlin ist die weltweit erste Schau, die sich explizit mit der Kunst Gehörloser und der Gebärde als küntlerischem Mittel beschäftigt. Mögliche Fallen bei einem solchen Vorhaben gibt es viele, etwa die Romantisierung von Gebärdensprachlern oder das diskriminierende Zurschaustellen Gehörloser als Freaks. Die Ausstellung tappt in keine davon, dafür erweist sie sich als viel zu analytisch. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis von hörender und gehörloser Kultur, besonders die Grenzbereiche und Übergänge interessieren hier. Wie funktionieren die jeweiligen Sprachsysteme? Was unterscheidet die Gebärdensprache von der gesprochenen Sprache? Welche ästhetischen und politischen Möglichkeiten ergeben sich daraus? Was bedeuten gehörlosen Menschen Sound und Musik?
Als Modell für ihr Anliegen dient den Ausstellungsmachern An Paenhuysen und Wolfgang Müller die Möbiusschleife, eine nicht-hierarchische, amorphe und im Grunde auch gestische Form. »Ihr Oben und Unten sind ununterscheidbar. Sie kennt kein Innen und kein Außen, weil ihr Außen das Innen und ihr Innen das Außen zugleich ist. Sie trennt und vereint gleichermaßen«, heißt es im Katalog. Die Möbiusschleife fordert unsere Wahrnehmung heraus.
Man erfährt in der Ausstellung eine Menge über Gebärdensprache, erhält Einblick in die Geschichte gestischer und gebärdender Kunst und lernt schließlich mit der Künstlerin Chris­tine Sun Kim, dem Klang nachzuspüren.
Die Ausbildung und Ausübung des gestischen Sprechens stellen die Selbstermächtigung Gehörloser innerhalb der hörenden Mehrheitsgesellschaft sicher. Noch vor 100 Jahren herrschte in Europa die Praxis vor, gehörlose Kinder ungeachtet ihrer Besonderheit in die orale Kultur zu zwingen, ihnen die Arme am Oberkörper festzubinden, um sie am Gestikulieren zu hindern, und ihnen Laute abzupressen, die sie selbst nicht hören konnten. So wurde ihre Stimme enteignet und eine ihnen adäquaten Äußerungsform verhindert.
Im US-Bundesstaat Massachusetts liegt vor der Südküste die Insel Martha’s Vineyard. Dort gab es bereits im 19. Jahrhundert eine große Community Gehörloser, was dazu führte, dass die Gebärdensprache dort gut entwickelt und auch unter den Hörenden bekannt war. Es entstand sogar ein regionaler Gebärdendialekt. In den USA dürfte die Akzeptanz der Gebärdensprache in der Gesellschaft höher sein als in Europa.
Ein kurzer Amateurfilm, den Charles Krauel bereits 1940 gedreht hat, zeigt eine ältere Dame, Mrs. Washington-Barrow, beim Gebärden der amerikanischen Nationalhymne, »The Star-Spangled Banner«.
Im Katalog berichtet Thomas Elenz, ein Berliner Student der Deaf Studies, von seinen ­Erfahrungen als Gehörloser in den USA: »Vor acht Jahren reiste ich erstmals in die Staaten. Ich war allein auf dem Flughafen. Ich wusste nicht mehr, wo es weitergehen soll. Da sah ich plötzlich einen Polizisten. Ich bin zu ihm hingegangen, habe mein Problem dargestellt, plötz­lich fing der an zu gebärden. Ich habe ­geschaut: Was hat er gesagt? Obwohl ich ihn schon verstanden habe. Aber – für mich ist es ganz ungewohnt, wenn ein Hörender so gut gebärden kann.«
Dass die Gebärde mehr ist als ein Hilfsmittel für behinderte Menschen und als eigenstän­diges Ausdrucksmittel verstanden werden muss, zeigen die Arbeiten der 1978 verstorbenen Tänzerin und Kabarettistin Valeska Gert, die zu den wenigen in der Ausstellung vertretenen hörenden Künstlerinnen zählt. Präsentiert wird ein kurzes Video, in dem die »mimische Tänzerin« sich mit dem Thema Tod auseinandersetzt. Es ist eine Abfolge extremer Gefühlsäußerungen wie Angst, Schmerz, Freude, Überwältigung und Entspannung, die in Form gestischer Poesie ausgedrückt werden.
Erzählt wird in der Ausstellung die Geschichte von Gunter Trube, einem Protagonisten der West-Berliner Subkultur der Achtziger und Aktivisten der Gehörlosenkultur. Bei einer Performance im Punkladen »O-Bar« greift sich Trube einen prallen roten Luftballon, hält ihn ans Ohr und malträtiert den Ballon mit seinen Händen. Dabei erzeugte er ein unangenehmes Quietschen, und natürlich wächst bei den Zuhörern auch die Angst vor dem unvermeidbaren Knall. Trube, der 2008 im Alter von 47 Jahren verstorben ist, war taub, die Geräusche machten ihm also nichts aus. Er hatte eine Situation geschaffen, in der er gegenüber der hörenden Mehrheit im Vorteil war. Von Trube stammt auch die erste Aids-Broschüre in Gebärdensprache, für die er, verkleidet als Teufel und Krankenschwester, Begriffe wie Blut, Speichel und Sperma gebärdet. Er arbeitete als Barmann in der queeren Szenekneipe »Kumpelnest 3 000«. Auf lässig zugerufene Bestellungen ­reagierte er nicht, wer ein Bier wollte, musste schon direkt mit Trube kommunizieren. Für den Berliner Barbetreiber Sezer Yiğitoğlu, der kürzlich als erster Gehörloser ein privatwirtschaftliches Café eröffnet hat, ist Trube ein Vorbild: »Ohne ihn hätte ich nie den Mut gehabt, ein solches Projekt zu starten.«
Die in New York lebende Künstlerin Christine Sun Kim ist seit ihrer Geburt gehörlos. Ihr Werk beschäftigt sich mit der Materialisierung von Klang. Es geht um die Spürbarkeit von Sounds. »Als ich in die Welt der Klänge und der Klangkunst einstieg, spielte sich der mir zugängliche und mich berührende Klang hauptsächlich im tieferen Frequenzbereich ab. Das konnte ich physisch in meinem Körper spüren, ich konnte den Bass fühlen. Nun bin ich dabei, die Ausweitung meiner Reichweite zu initiieren. Großteils widmen sich meine Arbeiten der Betrachtung von Klang ganz allgemein, wie er mit Verhaltensweisen zusammenhängt, wie er in Umlauf kommen kann, wie es mir manche schwer machen, sie körperlich zu fühlen, etwa die hohen Frequenzen. Ich kann technische Mittel verwenden, um Klänge auf eine Weise zu dehnen, um sie näher zu mir zu bringen«, erzählt sie im Videointerview in American Sign Language. Dabei gibt es auch Tücken. Rückkopplungen, mit denen sie besonders gerne arbeitet, verursachen bei ihr gelegentlich länger anhaltendes Unwohlsein: »Leute, die hören, haben ein Warnsystem, das sie wissen lässt, wenn es weh tut. Mir fehlt dieses System.«
Von besonderer Wichtigkeit ist für sie die Frage, wem der Sound gehört. Geht es um den Klang, den sie selbst, etwa mit ihrer Stimme, erzeugt, so stellt sie klar: Ihr Klang gehört ihr.

Gebärde Zeichen Kunst – Gehörlose Kultur/Hörende Kultur. Kunstraum Kreuzberg/Bethanien.
Bis 13. Januar